Ausgabe Nr. 51/1973

Weichende Schatten

In Prag fing es an, in Prag hörte es auf. Auf der Prager Burg unterzeichnete Adolf Hitler am 15. März 1939 den Erlaß über das "Protektorat Böhmen und Mähren"; hier begann das imperialistische Abenteuer, das ein paar Jahre später mit der Teilung des Reiches und der Austreibung der Sudetendeutschen endete.

Dem Frieden eine Chance

Das Datum wird man sich merken müssen: den 18. Dezember 1973. Es kann, wenn die Hoffnungen nicht wieder trügen, ein historischer Tag werden.

Trauerspiel

Seit Monaten dauert nun das Trauerspiel um die Neubesetzung des Intendantenpostens beim NDR an. Am vergangenen Wochenende ist die Liste um zwei neue Namen bereichert worden.

Europa – bloß ein Spektakel?

Das "Jahr Europas" begann in Washington Am Anfang war es nichts weiter als eine Verlegenheitsphrase, von Henry Kissinger geprägt, um den europäischen Verbündeten nach jahrelanger Nichtachtung, ja Mißachtung, abermals die wohlwollende Aufmerksamkeit der Vereinigten Staaten in Aussicht zu stellen.

Nixon-Nachfolge : Ein Präsident im Wartestand

Gerald Ford: Kein intellektueller Überflieger – aber "sauber wie ein Hundezahn"

Worte der Woche

Selbstdarstellung der CDU/CSU : Die Union auf dem Weg nach links?

Sein Großvater habe noch auf Preußen geschossen, bemerkte der Landesvorsitzende der CSU, um den Wandel der Zeiten zu illustrieren – wobei im Dunkeln blieb, ob er diesen Wandel begrüßte oder eigentlich doch bedauerte.

Zeitspiegel

Zur gleichen Zeit, als Bundeskanzler Brandt nach Prag reiste, warben junge Linke aus der Bundesrepublik, unter ihnen auch einige Tschechen, für die Gründung eines "Komitees gegen die Repression in der ČSSR und Osteuropa".

Am Dienstag wurde in Prag der deutsch-tschechoslowakische Normalisierungsvertrag unterzeichnet. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Budapest und Sofia steht bevor. Damit ist das ostpolitische Programm von 1969 erfüllt. Bundesminister Egon Bahr, sein Hauptarchitekt, zieht Bilanz : Vier Jahre Bonner Ostpolitik

Nach vier Jahren ist mit der Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakischen Volksrepublik das System der bilateralen Abkommen vollendet.

Berlinguer bei Honecker : Spaghetti in Ostberlin

Die Szene hat bei manchen altgedienten Konservativen im römischen Außenministerium leise Schauer, bei den Liebhabern der "Linken Mitte" jedoch Entzücken erregt: Da dampften "Unter den Linden" Ostberlins in der neuen Wohnung des italienischen Botschafters die Spaghetti, von der Dame des Hauses selber zubereitet, und Enrico Aillaud – als Diplomat stets auch ein Sammler von Raritäten – hob mit genießerischer Freude das Glas auf seine ersten offiziellen Gäste.

Ostpolitik : Schritt nach vorn

Die Sondierungen und Verhandlungen seit dem Sommer haben ergeben: Nach den Vereinigten Staaten ist die Bundesrepublik für Warschau der wichtigste Staat im Westen; das Interesse an Bonn geht soweit, daß die polnische Führung zu einer endgültigen Regelung aller Vergangenheitsprobleme bereit ist.

Deutschland-Politik : Mehr Härte erwünscht

Wenn Brandt und Bahr in Berlin sind", sagt ein Berliner SPD-Politiker, "dann finden sie ihre alte Sprache wieder." In der Tat warnte Willy Brandt in einer Rede auf dem Landesparteitag der Berliner SPD die DDR-Regierung vor den "weitreichenden Folgen" einer willkürlichen Auslegung und Praktizierung der Berlin-Vereinbarungen, versicherte, daß die Berlin-Präsenz des Bundes nicht abgebaut werde, und meinte, die drastische Erhöhung der Zwangsumtauschsätze sei für die Bundesregierung ebenso wie für den Senat nicht "einfach vom Tisch".

Frankreich – Sowjetunion : Kritik aus dem Kreml

Die französisch-sowjetischen Beziehungen werden vom Kreml derzeit abwechselnd mit warmen und kalten Duschen behandelt. Für die Freundlichkeiten sind die Politiker zuständig, zur Kritik bedienen sich die Sowjets anderer Mittel, der französischen KP und der eigenen Zeitungen.

England – Sowjetunion : Liebesgrüße aus Moskau

Mit seinem fast schon übertriebenen Optimismus erinnert das britisch-sowjetische Kommuniqué an deutsch-französische Vereinbarungen längst verblichener Tage.

Koalition unter Druck : Warten auf Weihnachten

Noch nie", so der ironische Stoßseufzer eines SPD-Abgeordneten, der dem linken Flügel der Fraktion zugerechnet wird, "haben Sozialisten so sehr ein christliches Weihnachten herbeigesehnt.

Steiner-Affäre : Suche nach der Wunderwaffe

Der 16. Untersuchungsausschuß des Derschen Bundestages hat das Handtuch in den Ring geworfen: Er erklärt sich für geschlagen, weil er seinen vergeblichen Kampf um die Wahrheit in der Affäre Steiner/Wienand ohne Spielregeln habe führen müssen.

Gerd Bucerius zu Fragen der Zeit : Warum verliert Brandt Anhänger?

Die SPD ist in der Wählermeinung stark zurückgegangen. Die Gründe dafür sehe ich freilich anders als Sie. Die SPD hat mehr verloren als eine Menge Wählerstimmen.

Washington : Ford vereidigt

Die Vereinigten Staaten haben wieder einen Vizepräsidenten – zwei Monate, nachdem Spiro Agnew wegen Steuerhinterziehung zurückgetreten war.

Dokumente der ZEIT – Brandt: Brücke über den Abgrund

"Der Staat, mit dem wir heute einen Vertrag geschlossen haben und mit dem wir diplomatische Beziehungen aufnehmen, dieser Staat barg in seinen Grenzen die Heimat für Millionen Menschen deutscher Sprache und Lebensart.

Im Januar weniger Erdöl

Der Monat Dezember bringt in den Beziehungen der arabischen Erdölländer zu den Industrienationen nur ein Zwischenhoch. Am Sonntag beschlossen neun der zehn Förderstaaten (außer Irak) auf einer Konferenz in Kuwait, die Produktion im Januar um weitere fünf Prozent zu kürzen.

Polen: Mehr Ausreisevisa

Polen will im nächsten Jahr 50 000 Volksdeutsche ausreisen lassen. Bei Verwirklichung dieser Zusage des polnischen Außenministers Olszowski in Bonn würde sich das Rinnsal der Umsiedlungen deutschstämmiger Polen zu einem Strom erweitern.

Nato-Partner sind uneins

Die zweitägige Außenministerkonferenz der Nato hat "einige Mißverstandnisse ausgeräumt, wenngleich es noch Meinungsverschiedenheiten unter den Verbündeten gibt", sagte Generalsekretär Luns am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Brüssel.

Irischer Rat als Bindeglied

Trotz fortdauernder Terroranschläge können die gemäßigten Kräfte Nordirlands innerhalb weniger Tage einen weiteren Fortschritt verbuchen.

Diplomatische Beziehungen Bonn-Prag

Brandt und Scheel unterzeichnen den im Juni paraphierten Normalisierungsvertrag

Wahlanfechtung in Venezuela ist sicher

Unzulängliche Organisation – Sechzigtausend Bürger konnten nicht regulär wählen

Dies sind harte Tage für Europa. Beim Nato-Rat in Brüssel wurden den Europäern von Henry Kissinger ihre Grenzen aufgezeigt. Beim EG-Gipfel in Kopenhagen haben sie noch einmal eine Chance, zu sich selber zu finden. : Kissingers Lektion für die Europäer

Henry Kissingers "europäisches Jahr" gipfelte in Brüssel in einem Rencontre mit dem französischen Verbündeten. Auf seinen verschlungenen Wegen um den Erdball war der Weltreisende in das Hauptquartier der atlantischen Allianz gekommen, um den europäischen Horizont zu öffnen und das vom Oktobersturm zerrüttete Bündnis wieder zusammenzufügen.

Krisengipfel in Kopenhagen

Aus den geplanten Kamingesprächen in Kopenhagen, bei denen die Staats- und Regierungschefs "ungezwungen und freimütig" (Brandt) über neue Impulse für die Gemeinschaft nachdenken wollten, ist unversehens ein Krisengipfel geworden.

Genfer Nahost-Konferenz : Krieg der Worte

Vier Tage vor Beginn der Genfer Friedenskonferenz gibt es Anzeichen genug, die vermuten lassen, daß der letzte israelischarabische Krieg ein Krieg zum Frieden gewesen sein könnte.

Südkorea : Terror der Agenten

Vor einem Jahr ließ sich Südkoreas Präsident Park Chung Hee die Verfassung maßschneidern – für sich selbst und um mit Unterdrückung und Terror seinem Volk den "besonderen koreanischen Weg zur Demokratie" zu weisen.

Aufmarsch in Nahost : Eine rote Fremdenlegion?

Die Sowjets kennen die antisowjetische Stimmung im Offizierskorps und unter den Studenten Ägyptens. Sie wissen auch, daß der Hauptverbündete Sadats, König Feisal von Saudi-Arabien, alles andere als ihr Freund ist.

Wolf gang Ebert : Plötzlich, diesen Winter

Da war auf einmal die Energie-Krise. Sozusagen über Nacht. Wie konnte es überhaupt soweit kommen – und so plötzlich? Hat sie keiner von denen da oben erwartet? Das war wohl wie mit einem riesigen Meteor, der plötzlich aus dem Weltall auf die Erde niederging.

Gesamtirischer Rat : Kein Kind der Liebe

Vier Tage berieten die drei Delegationen, um zwei entgegengesetzte Meinungen über Irlands Zukunft auf eine Formel zu bringen.

Geschäfte mit Ost-Geld : Suche nach Sündern

Die West-Berliner zögern jetzt, nach Ost-Berlin zu fahren. Seit der Verdoppelung des Zwangsumtausches auf 10 Mark für Besuche in Ost-Berlin und 20 Mark pro Tag für Reisen in die DDR wurden in den Besucherbüros erheblich weniger Anträge für Besuchsgenehmigungen gestellt.

Lokalzeit : Bürger-Zorn

Nordrhein-Westfalen steht vor einem Volksbegehren. Nach Monaten hartnäckigen Ringens um eine vernünftige und vor allem realisierbare Gebietsreform für das wild ausgewucherte Ballungszentrum Ruhrgebiet sieht sich die Regierung Kühn mit dem organisierten Bürgerunwillen konfrontiert.

Fall Klaus Gomert : Abgeschoben als lebender Beweis

Am 21. Juli dieses Jahres wurde er von der DDR nach Westberlin abgeschoben. Bei einem mißglückten Fluchtversuch hatte er zuvor sein Leben riskiert.

Abgeordneten-Diäten : Einigkeit nach fünfzehn Sekunden

Die Zeiten sind längst vorbei, da ein Abgeordneter voll seinem Beruf nachgehen konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, die Tätigkeit des Abgeordneten sei mehr und mehr zu einem Beruf geworden, der den vollen Einsatz der Arbeitskraft des einzelnen fordere.

Landesschülerwoche Schleswig-Holstein : Putzende Pennäler

Das Reinigungsamt der Stadt Kiel will nicht helfen, "die Karte aus dem Dreck" zu ziehen, die Stadtväter von Wyk auf der Nordseeinsel Föhr haben schon einen Zweihundert-Mark-Scheck an das Kultusministerium überwiesen.

Rechaud für müde Minister

Franz Josef Strauß besann sich auf das "C" im Namen seiner Partei. So, als ob allein die Delegierten im verräucherten Jungbräu-Saal von Fürstenfeldbruck darüber zu entscheiden hätten, schmeichelte ihnen der CSU-Chef: "Wenn es gewünscht wird, bin ich bereit, an der vordersten Spitze im Wahlkampf meine Pflicht zu erfüllen.

Folgen der Ölkrise : Langfinger an den Tanks

Bei den bundesdeutschen Kripofahndern liegen die Folgen der Energiekrise seit einigen Wochen sozusagen auf dem Tisch. Seit Öl und Benzin nur noch spärlich fließen und Tankwarte selbst der Stammkundschaft den Kraftstoffbehälter nur mehr halb füllen, häufen sich die Anzeigen verärgerter Autofahrer.

Hartmut von Heutig: : Notwendiges Forum

Zu Anfang des Podiumsgesprächs wurde gefragt: "Warum überhaupt Reform?" Die sehr allgemeinen und scheinbar gemeinsamen Gründe, die hierfür gegeben wurden, fielen alsbald in ebenso wirre wie laute Gegensätze auseinander.

Golo Mann: : Sinnloser Bruch

In den Hessischen Richtlinien für Gesellschaftslehre kommt Natur eigentlich nicht vor; alles ist Gesellschaft, alles "historisch geworden und darum veränderbar".

Die Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre, alt und neu : Hessen-Forum 1973

Am Anfang steht das Grundgesetz. Das ist neu an den neuen Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre. Diese zweite Fassung veröffentlichte Kultusminister Ludwig von Friedeburg anläßlich des Hessen-Forums, einer Mammutdiskussion von international bekannten Gelehrten, die am Donnerstagabend letzter Woche im Gesellschaftshaus des Frankfurter Zoos sieben Stunden lang dauerte.

Open University – Der Minister hat das Wort : Mit der Börse vor der Tür

Rudolf Walter Leonhardt gibt mir in seiner Glosse "Jedem seine Chance" das Wort zum Thema "Offene Universität". Ich will diese Chance nutzen, tue das aber, wie ich offen zugebe, in diesem Fall ungern.

Zeitmosaik

Wer noch ausgeschimpft worden ist, weil "man nichts auf dem Teller läßt", wer seinen Füllfederhalter oder seine Uhr, die ihm zur Erstkommunion geschenkt wurden, nicht weggeworfen hat, kurz, wer vor der Zeit der Verschwendung geboren wurde, empfindet jetzt eine Art düsteren und vage sadistischen Vergnügens bei der Idee, daß die verwöhnten Kinder der Konsumgesellschaft drauf und dran sind, den wahren Preis der Dinge kennenzulernen.

Einst eine sturmfreie Bude

Erotica Romana – so sollten die berühmten "Römischen Elegien" heißen, die Schiller, trotz den moralischen Bedenken des Großherzogs, in seinen "Hören" veröffentlichte.

Heinrich Böll in der Sowjetunion : Wie ein Verwandter

Lew Kopelew, 1912 in der Ukraine geboren, heute als Literatur- und Theaterwissenschaftler in Moskau lebend, Vorbild zu einer der Hauptfiguren in AlexanderSolschenizyns Roman "Der erste Kreis der Hölle", hat in vielen Aufsätzen, Vorträgen und Büchern in der Sowjetunion für ein verständnisvolles Interesse an der deutschen Literatur geworben.

Jahresausstellung des Deutschen Künstlerbundes : Zukunft gesucht

Der Deutsche Künstlerbund wird in diesen Tagen siebzig Jahre alt. Da will ihn mancher in Pension schicken. Dabei hat er ja, obwohl in diesem stattlichen Alter stehend, noch nicht einmal richtig angefangen zu existieren.

Filmtips

"Gelegenheitsarbeit einer Sklavin" von Alexander Kluge. Eine mit dialektischem Witz, filmischer Phantasie und spröder Poesie erzählte Geschichte, die freilich in einer vagen Ratlosigkeit endet: Aus der unterdrückten Intellektuellengattin, die eine Abtreibungspraxis unterhält, um ihre Familie zu ernähren, wird eine agitierende Revolutionärin, die den Arbeitern in Flugblättern eingewickelte Wurstsemmeln verkauft.

ZEIT-Starreporter Charlie op den Draht: : Der sogenannte Gute

Im Kreise der auf ihn geprägten Graugänse empfing uns ein auf Konrad Lorenz geprägter Assistent. Von überall her hörte man Balzgeräusche und das "Wiwi" künftiger Ersatzmütter.