Lesezeichen
© ZEIT ONLINE

Ausgabe Nr. 32/1973

DIE ZEIT

Ohne Trümpfe

Ein halbes Jahr nach der Unterzeichnung des Pariser Vietnam-Abkommens ist es den Weltmächten noch immer nicht gelungen, auch in Kambodscha die kriegführenden Parteien an einen Tisch zu bringen.

Ausschuß-Ware

Parlamentarische Untersuchungsausschüsse dienen zwei Zwecken: Offiziell sollen sie einen als skandalös empfundenen, aber umstrittenen Sachverhalt aufklären, inoffiziell sind sie ein Instrument der Parteipolitik, von Regierungsparteien und Opposition gleicher maßen benutzt, um sich selber reinzuwaschen und den Gegner anzuschwärzen.

Ab nach Brüssel

Moskau hat kundgetan, daß der Generalsekretär des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon) beauftragt wurde, mit der Europäischen Gemeinschaft Sondierungsgespräche über Kooperationsmöglichkeiten zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken aufzunehmen.

Später Spruch

Überraschung hat der Spruch des Verfassungsgerichtes nirgendwo ausgelöst. Nachdem die Bayern schon mit zwei Anträgen gescheitert waren, die das Ziel verfolgt hatten, das Inkrafttreten des Grundvertrages zu verhindern, mußten sie sich nun auch noch von den Karlsruher Richtern darüber belehren lassen, daß dieser Vertrag mit der Verfassung vereinbar ist.

Amerika braucht eine Antwort

Wer heute ein paar Wochen durch Amerika reist und den zunehmenden Verfall der präsidentiellen Macht registriert, wird doch gleichzeitig auch immer wieder gewahr, daß es in absehbarer Zeit keine US-Regierung mehr geben wird, die so stark außenpolitisch – interessiert und einsatzbereit ist wie die Regierung Nixon.

Zeitspiegel

Eines der Hauptanliegen von Mohamed Reza Pahlevi, Schah des ölreichen Iran, während seines viertägigen Staatsbesuchs in Washington war, seinem ohnehin bereits waffenstarrenden Land noch mehr militärisches Gerät zu beschaffen.

Jenseits der Legalität

Mit verlegenem Unbehagen reagierte Bonn auf die Berichte über eigenmächtige Abhörpraktiken des amerikanischen Geheimdienstes und der US-Armee in der Bundesrepublik.

Gespräche mit "Max"

Es ist eine alte Weisheit: Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande, oder, anders gesagt, eine Geschichte muß erst in der New York Times stehen, um auch hier geglaubt zu werden.

Was macht Solidarität? Spaß!

Dieter weiß, wie man Spalier bildet, er kann im Takt zu "Frieden, Freundschaft, Solidarität" in die Hände klatschen, und er läßt mit bewundernswerter Geduld stundenlange Reden auf Solidaritätstreffen über sich, ergehen.

Fäuste ballen, Händchen halten

Im Hörsaal 2093 der Humboldt-Universität war der Übersetzer dem Redeschwall des algerischen Sprechers nicht mehr gewachsen. Er sah sich hilflos um und flüchtete sich schließlich in ein paar holperige Sätze, die aus den Wörtern Solidarität, Kampf, Tod und Sieg bestanden.

Biermanns Lied

In der Chausseestraße 131 in Ostberlin, unweit des Dorotheenstädtischen Friedhofs, auf dem Bert Brecht begraben liegt, lebt Wolf Biermann.

Das Urteil von Karlsruhe

Im Verfassungsstreit um den Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR hat sich die bayerische Staatsregierung am Dienstag ihre dritte Niederlage geholt: Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe befand einstimmig, daß der Vertrag mit dem Grundgesetz vereinbar sei und nicht gegen das Wiedervereinigungsgebot der Bonner Verfassung verstoße.

Weltjugendspiele

Mit einem dreieinhalb Stunden dauernden Aufmarsch der Delegationen wurden am Wochenende in Ostberlin die "X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten" eröffnet.

Streit um den Vorsitzenden

Der Steiner-Untersuchungsausschuß des Bundestages wird seine Arbeit vermutlich erst im Spätherbst abschließen können, da er seine Untersuchungen auf die Übertritte von Abgeordneten während der vorigen Legislaturperiode ausgedehnt hat und außerdem interne Auseinandersetzungen einen zügigen Fortgang lähmen.

Aktuelle Krisenherde

Die politische Lage Zyperns hat sich in der vergangenen Woche schlagartig verschlechtert. Bei Gefechten zwischen Polizei und EOKA-Anhängern des Generals Grivas, der für einen Anschluß der Insel an Griechenland kämpft, gab es mehrere Verletzte.

Argumente für und gegen : Klassiker

W’ir wollen hier nicht nach deutscher Historikerart zurückgehen auf römische Steuerklassen oder dergleichen, sondern nur fragen, was eigentlich dafür und was dagegen spricht, in der Literatur das Erbe etwa Shakespeares, in der Malerei das Erbe etwa Rembrandts, in der Musik das Erbe etwa Mozarts zu pflegen und weiterzugeben an die, die nach uns kommen.

Akrobaten aus Peking : Leistung ohne Brimborium

Politische Assoziationen liegen natürlich nahe. Denn wie vor einiger Zeit so leichtgewichtige Gegenstände wie Pingpongbälle erste Risse in das vereiste Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und Rotchina ritzten, so möchte man jetzt mutmaßen, daß sich die Volksrepublik China mittels Bodenakrobatik, Hochseilartistik und Zauberei der Bundesrepublik Deutschland zu nähern versucht und auf diese Weise mit Leben erfüllen will, was im vergangenen Jahr formell vereinbart wurde: Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Bonn und Peking.

Ein Festival für Istanbul

Kaiser und Sultane wußten, was gut ist. Als Mehmet II., den sie auch Fatih ("der Eroberer") nannten, sich 1475 bis 1478 seinen Palast bauen ließ, suchte er sich dafür die schönste – und wohl auch strategisch günstigste – Stelle Instanbuls aus, die Spitze der Halbinsel zwischen Marmara-Meer und Goldenem Horn, gegenüber dem Eingang zum Bosporus.

Filmtips

"Total verrockt und rollt" von Sid Levin und Bob Abel. Nach "Keep on Rockin’" von Pennebaker ein weiterer Film auf der von den Plattenfirmen angeheizten und von der Nostalgiestimmung begünstigten Rock-’n’-Roll-Wiederbelebungswelle.

Kunstkalender

Als die Bilder von Gnoli 1968 auf der 4. documenta zu sehen waren, gehörte radikaler Realismus noch nicht zum gängigen Vokabular.

Schallplatte

Auf seiner Reise zurück ins Märchenland der Nostalgie entdeckte der amerikanische Sänger Harry Nilsson populäre Standard-Songs von den zwanziger bis zu den späten fünfziger Jahren, Kompositionen wie Irving Berlins "What’ll I do?", Gus Kahns "It had to be you" und Dooley Wilsons "As Time goes by", die er fast ausnahmslos besser und intensiver singt als deren originale Interpreten.

Henry Moore wurde am 30. Juli 75. Jahre alt : Ohne Vergangenheit keine Gegenwart

Von Sir Nikolaus Pevsner, dem Doyen der englischen Kunst- und Architekturkritiker (geboren 1902 in Leipzig), stammt das schöne Buch über "Das Englische in der englischen Kunst" ("The Englishness of English Art"): überzeugend vorgetragene Beispiele für eine ebenso einleuchtende wie problematische These, bei deren Demonstration Pevsner nur einmal höchst offensichtlich aus dem Takt gerät: ".

Kritik in Kürze

"Anpassung als Notwendigkeit", herausgegeben von Johannes Schlemmer. Dreizehn Aufsätze, die – so der Untertitel – "zur Überwindung eines modischen Mißverständnisses" beitragen sollen.

Unser Seller-Teller

Kein zweiter Verleger-Briefwechsel könnte spannender sein, aufschlußreicher für die Situation des Exils und den Charakter der beiden Briefschreiber, die sich nichts geschenkt haben.

Zeitmosaik

Um sich falscher Freunde zu erwehren, hat Heinrich Böll seinen Interviews, in denen er sich offen und deutlich für die sowjetischen Dissidenten eingesetzt hatte, in der "Frankfurter Rundschau" einen Nachtrag hinterhergeschickt: "Wer sich hierzulande für Solschenizyn, Bukowski, Amalrik, Grigorenko, Maximow und Galitsch verwenden zu müssen glaubt, muß sich erst einmal legitimieren.

Weitere Artikel anzeigen

Merkliste

Hier können Sie interessante Artikel speichern, um sie später zu lesen und wiederzufinden.