Kirishimas PoV
Die Bilder vor meinem inneren Augen erstickten mich. Oder war es die Panik, die sich schwer wie ein Fels auf meine Brust nieder gesenkt hatte? Immer und immer wieder erfuhr ich, wie der grausame Metzger mir meine Unterarme zerstörte. Ich spürte den Schmerz, als würde ich immer wieder neu erleben. Doch noch mehr schmerzten mein Handgelenke, die von dem groben Seil zusammengebunden waren. Ich hing dort wehrlos.
Ich schlug um mich, wollte nicht, dass mich wieder jemand packte und mich einem brutalen Schicksal auslieferte. Dass mich wieder jemand festband. Dass mich wieder jemand auf grausame Weise verstümmelte. Ich hielt das nicht noch einmal aus.
Blinde Panik übermannte mich. War das real? Am Rande meines Bewusstseins registrierte ich das weiche Bett unter mir. Aber der Schmerz schien so wirklich.
Ich versuchte mich zu beruhigen, doch die Bilder vor meinem Auge verschwanden nicht. Allmählich verlangsamte sich meine Atmung und es war so, als würde ich die Ereignisse von damals nur noch als Außenstehender betrachten. Die Panik war fort, aber es machte es nicht weniger grausam.
Dann war da eine andere Berührung. Sanfter. Warme behandschuhte Finger, die sich federleicht auf meine Wange legten. Ich zuckte zusammen, konnte eine kurze neue Welle von Panik nicht unterdrücken, doch plötzlich verblasste das hasserfüllte Gesicht des Metzgers vor meinem inneren Auge.
Die Realität schob sich in mein Sichtfeld und ich blinzelte. Ich blickte unmittelbar in tiefe rote Augen, die mich voller Sorge musterten.
„Ich bin da, Eijirou.", flüsterte eine tiefe raue Stimme leise. „Ich bin da."
Ich blinzelte erneut und ich kam wieder zu mir. „Kat ... Katsuki?", fragte ich brüchig. Warum war meine Stimme so rau? Wann hatte ich sie das letzte Mal verwendet? Hatte ich in den letzten Stunden geschrien?
Katsuki antwortete nicht. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. Sein Mund war leicht geöffnet und er musterte mich eingehend. „Was ist passiert?", fragte er flüsternd.
Ich schüttelte nur ganz leicht den Kopf. Ich wollte es nicht erklären. Ich wollte nicht einmal daran denken. Die Panik wallte wieder in mir hoch und meine Atmung beschleunigte sich. Doch sofort spürte ich Katsukis warme Hände, die mein Gesicht umfassten. „Sch. Ist okay. Alles gut. Du musst nicht darüber reden." Erleichtert atmete ich aus. „Aber deine Handgelenke musst du mir zeigen."
Er strich mit dem Daumen beruhigend über meine Wangenknochen, doch die Angst, die in mir hochwallte, konnte er nicht stillen. Seit damals hatte ich immer diese milde Panik gespürt, wenn mich jemand am Handgelenk gegriffen hatte. Ich dachte, ich hätte dieses Unbehagen über die Zeit weitgehend abgelenkt, doch was gestern Abend passiert war hatte es nicht nur zurückgebracht, sondern mich in blinde Panik versetzt.
Doch jetzt da Katsuki da war spürte ich, wie meine Gedanken zunehmend rationaler wurden und meine irrationale Angst in den Hintergrund rückte. Was aber blieb waren die Schmerzen in meinen Handgelenken. Ich wusste, dass es schlimm war, hatte aber bisher nicht gewagt einen Blick darauf zu werfen. Die Decke, die ich vor mir umklammert hielt, verdeckte sowohl mir als auch Katsuki die Sicht auf das Ausmaß der Verletzung.
Katsuki nahm seine beruhigenden warmen Hände von meinem Gesicht und ich unterdrückte ein Seufzten. Ich vermisste die tröstende Wärme unmittelbar.
Der Aschblonde begann an der Decke zu zupfen und ich beobachte seinen Gesichtsausdruck dabei. Ich wollte nicht sehen, wie schlimm es war. „Eijirou. Du musst die Decke loslassen.", sagte er leise. Ich versteifte mich und schloss kurz die Augen. Konzentriert löste ich Finger für Finger aus ihrer versteiften Position. Sofort wurden die Schmerzen größer, als Bewegung in die verletzte Region kam.
Katsuki zog vorsichtig die Decke zur Seite und seine Augen weiteten sich. Zischend atmete ich ein und ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. „Eijirou. Da ist viel Blut und die Wunde ist mit dem Stoff verklebt. Verzeih mir, aber ich muss die Decke von ihr lösen." Ich wimmerte, hatte Angst davor, dass der Schmerz noch größer wird.
Er ging vorsichtig und konzentriert vor, genauso wie das eine Mal, als er meinen Cyborg-Arm gewartet hatte. Dennoch tat es weh, als er die verklebten Schichten löste. Ich schloss die Augen, als ich eine warme Flüssigkeit spürte, die langsam über meine rechte Hand rann. Schließlich jedoch war es vorbei und Katsuki zog die Decke zwischen meinen Armen heraus und warf sie zur Seite. Ich hielt meine Arme ausgestreckt von mir, noch immer unfähig hinzuschauen.
„Mindy! Hol den Verbandskasten!", rief Katsuki. Ich zuckte zusammen. Zu einem da ich den lauten Ausruf nicht erwartet hatte, zum anderen, weil ich gar nicht wusste, dass Mindy im Raum war. Dennoch hörte ich jetzt ihre leichtfüßigen schnellen Schritte, die mein Zimmer verließen.
„W-was ist meinen Handgelenken?", fragte ich schließlich stockend. Der besorgte Gesichtsausdruck meines Gegenübers sprach Bände, doch ich musste es genauer wissen.
Katsukis Blick wurde sanft. Er nahm meine Hände und strich vorsichtig über meine Finger. Beunruhigt stellte ich fest, dass sie zum Teil taub waren. „Die Schnittstelle zwischen deiner menschlichen Hand und deinem mechanischen Unterarm ist stark in Mitleidenschaft gezogen. Es sieht so aus, als hätte etwas mit großer Krafteinwirkung hineingeschnitten. Aber keine Sorge, wir bekommen das schon wieder hin." Aufmunternd drückte er meine Finger.
Große Krafteinwirkung? Natürlich. Die Handschellen. Der Kunde hatte mich gefesselt. Wahrscheinlich hatte ich mir die Verletzungen durch meine Panik größtenteils selbst zugefügt.
Ich hörte wie Mindy wieder in mein Zimmer trat und um das Bett herumging. Ich fing ihren besorgten Blick auf, als sie sich neben Katsuki kniete, den Verbandskasten öffnete und ihn ihm darbot. Er hielt meine Hände noch immer vorsichtig umschlossen und betrachtete den Inhalt.
Mindy assistierte ihm bei der Versorgung meiner Wunden, doch ich hatte die ganze Zeit nur Augen für Katsuki. Es schien mir wie ein Wunder, dass er nach all den Wochen und nach dem Vorkommnissen bei seinem letzten Besuch ausgerechnet jetzt hier auftauchte. Ich war der festen Überzeugung gewesen, dass ich ihn nie wiedersehen würde. Doch jetzt kniete er vor meinem Bett, mit besorgtem Gesichtsausdruck und säuberte, desinfizierte und verband meine Handgelenke.
Seine Anwesenheit beruhigte mich unheimlich und ich spürte die Erschöpfung, die einsetzte, jetzt wo ich nicht mehr vollgepumpt mit Adrenalin war. Vielleicht war es auch der Blutverlust, doch nun setzte eine unheimlich starke Müdigkeit ein.
„Eijirou?" Ich öffnete die Augen, hatte gar nicht gemerkt, dass ich sie geschlossen hatte. „Kannst du aufstehen? Wir müssen dich wegbringen und das professionell versorgen lassen." Katsukis Stimme war leise, aber dennoch eindringlich.
Ich versuchte mich aufzurichten, was sich als gar nicht so einfach erwies, wenn man schwach war und keinen Druck auf seine Handgelenke bringen konnte. Schließlich war es Katsuki, der mir unter die Arme griff und mir half mich hinzusetzten.
Alles drehte sich und das Blut rauschte in meinen Ohren. Unbewusst tastete blind nach Halt und lehnte mich schließlich an Katsuki, der sich neben mich gesetzt hatte. Katsuki. Mein Fels in der Brandung.
„Ich glaube das mit dem Laufen wird nichts.", stellte Mindy leise fest.
„Tch. Was du nicht sagst.", knurrte Katsuki. Ich spürte die Vibration seiner tiefen Stimme und lehnte mich noch mehr gegen ihn.
Eigentlich wollte ich protestieren. Wollte abwinkend sagen, dass es schon okay sei. Warum sollte ich denn nicht laufen können? Doch noch während ich diesen müden Gedanken nachhing, spürte ich Katsukis eine Hand, die unter meine Kniekehlen griff und die andere, die meinen Oberkörper unterstützte. Dann hob er mich hoch und drückt mich an seine Brust, als wäre ich etwas sehr Wertvolles, dass er um nichts in der Welt hergeben würde.
Der Gedanke gefiel mir und ich schmiegte mein Gesicht an ihn. Er roch seltsam vertraut. Ein wenig nach Moschus und der verblassten Erinnerung an ein Lagerfeuer. Katsuki trug mich aus dem Zimmer und die Treppe herunter. Er wollte geradewegs in Richtung Vordertür abbiegen, als ihn Mindys vorsichtige Stimme zurückhielt.
„Uhm... Prinz Bakugou? Er ... ist das Eigentum von Tsumo. Du kannst ihn nicht einfach so wegbringen."
Ich spürte, wie sich Katsukis Griff um meinen Körper kurz verstärkte. Dann jedoch blieb er scheinbar widerwillig stehen. Er senkte seinen Oberkörper und ich öffnete ein wenig verwirrt die Augen. Er setzte mich auf einen Stuhl am Rand des Show-Saals ab. Eine tiefe Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet, als er mich losließ. „Ich werde mit ... deinem Besitzer reden. Es sollte schließlich in seinem Interesse sein, dass es dir gut geht." Er strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn.
Ich schloss wieder die Augen und nickte, viel zu müde, um meine Bedenken zu äußern. Ich bezweifelte, dass Tsumo genug an mir lag, um die Kosten einer Arztrechnung zu tragen. Wenn ich nicht in seinem Interesse funktionierte, wieviel war ich ihm da noch wert?
Mindy setzte sich neben mich und strich mir beruhigend über den Rücken, als Katsuki verschwand. Mindy schien schon immer die einzige in diesem Bordell gewesen zu sein, die sich wirklich um mein Wohl sorgte.
Ich döste fast ein, als mich laute Stimmen aus dem Flur erreichten. Am Rande meines Bewusstseins registrierte ich, dass es Katsuki und Tsumo waren. Dass der Bordellbesitzer so in Rage geriet und sich mit dem Prinzen anlegte, wo er doch immer darauf achtete ja keinen Kunden zu verärgern, wunderte mich. Ich konnte nicht verstehen was sie sagten, doch mir rutschte das Herz in die Hose.
Es war egal wie sehr Katsuki sich anstrengte, das letzte Wort würde immer Tsumo behalten. Es spielte keine Rolle, dass er der Prinz war, wenn der Bordellbesitzer sich weigerte. Schließlich war ich sein Eigentum und mich einfach so zu entwenden wäre Diebstahl.
Tränen stiegen mir in die Augen und suchte verzweifelt nach einem Funken der Hoffnung, als Katsuki schließlich zurückkam. Er kniete sich vor mich hin und lächelte mich gezwungen an. Ich atmete tief ein und wartete auf die Hiobsbotschaft.
Aber Katsuki strich nur noch einmal beruhigend über meine Seiten, bevor er mich wieder hochhob. Wollte er mich wieder mich wieder hoch in mein Zimmer bringen?
Doch Katsuki trug mich weiter Richtung Vordertür. Verblüfft starrte ich ihn von unten an. Katsuki hatte die Zähne zusammengebissen und schaute stur geradeaus. Als er meinen fragenden Blick spürte, senkte er den Blick und sein Ausdruck wurde ein wenig weicher.
„Keine Sorge, Eijirou. Du kommst jetzt mit mir."