„Weißt du, es wäre schon cool, wenn du auch kommen könntest.“ Ich zog eine Schnute und Louis schnaubte.
„Kannst du dir das wirklich vorstellen? Mich in einem Anzug?“
„Würde gut aussehen“, sagte ich knapp und strich den Stoff des Kleides, das ich in den Armen hielt, flach.
Louis schwieg.
Nachdem ich das Kleid bezahlt hatte und mit der grossen Tüte in der Hand und Louis an meiner Seite zur Tür lief, erspähte ich den schwarzen Mustang durch die verglaste Wand.
„Brauchst du eine Mitfahrgelegenheit?“ Sein schräges Lächeln liess mich für einen Moment erstarren, seine schwarz umrandeten Augen waren auf mich geheftet, als ich langsam nickte.
„Ich schätze schon.“ Ich spannte den Schirm auf und hielt in fest, damit der Wind ihn mir nicht aus der Hand riss, und wir joggten zum Auto. Als ich hinter dem Auto war und das Wasser nur so auf mich hinabtropfte,, bemerkte ich, dass der silbern glänzende Nummernhalter leer war. Hätte ich mir ja danken können.
Ich riss die Tür auf, schmiss die Tüte mit dem Kleid auf den Rücksitz und liess mich auf den schwarzen Ledersitz gleiten.
„Pass mit deinen Schuhen auf“, meinte Louis harsch, als er einen Blick auf meine triefenden Stiefel warf und ich verdrehte die Augen, bevor ich einen Fuss nach dem anderen über die Schwelle hielt und sie abschüttelte, damit das Wasser nicht die Teppiche im Auto durchsickerte.
Männer und ihre Autos.
Der Motor schnurrte auf, als Louis den Zündschlüssel drehte, und als er die Scheibenwischer eingestellt hatte, parkte er vorsichtig aus der Parklücke aus.
Als wir um eine Ecke bogen, beschlich mich plötzlich ein komisches Gefühl.
Etwas war anders. Ich sah mich um, doch die verregneten Strassen sahen so aus wie immer, wenn ein Unwetter tobte, die Bäume beugten sich im Wind und hin und wieder fegte ein heftiger Windstoss am Auto vorbei. Mir war kalt. Die Heizung war aus und meine Zähne klapperten vor Kälte.
Als schliesslich eine Mülltonne, die an der Strasse stand, umfiel und auf die Fahrbahn rollte, spannten sich meine Muskeln schmerzhaft an. Louis wich der Tonne mit einem geschickten Manöver aus und fuhr weiter, als wäre nichts gewesen. Sein Gesicht zeigte keine Regung, doch als er meinen Gesichtausdruck sah, legte er mir seine Hand auf den Oberschenkel. Die Wärme seiner Hand war beruhigend und breitete sich langsam in mir aus, von meinen Fingerspitzen aus bis in jede einzelne Pore meines Körpers.
„Du wirkst so angespannt.“ Louis schmunzelte.
„Bin ich aber nicht.“ Ich lächelte leicht. Auch wenn es bescheuert klingen mag, seine Hand auf meinem Knie beruhigte mich ein bisschen.
Da war nichts worum ich mir Sorgen machen müsste, dachte ich, bis ich in den Rückspiegel blickte und mein Herz stehen blieb. Meine Muskeln verkrampften sich, als ich den Wagen, der hinter uns herfuhr, erkannte.
Die Person hinter dem Lenkrad sah mich an, als ich meinen Hals nach hinten reckte, um mich zu versichern, ob er es war. Ich zuckte zurück, als er aufs Gas trat und die Distanz zwischen dem kleinen Audi und dem Mustang immer kleiner wurde.
Louis merkte das, löste die Hand von meinem Knie und trat das Gaspedal ganz nach unten. Doch der Wagen blieb an uns wie eine Klette.
Ich vergrub mich in meinem Sitz, mein Atem ging flach, als tausende von Gedanken durch meinen Kopf gingen.
„Wer ist es?“, fragte Louis harsch, als wir in eine Nebenstrasse einbogen und er einen Gang hochschaltete. Der Wagen ruckelte extrem, und ich schloss kurz die Augen, um die Übelkeit, die in mir hochstieg, zu unterdrücken.
„Wer ist es?“, zischte Louis erneut und warf einen Blick in den Rückspiegel, und seine Lippen verzogen sich zu einem bösen Grinsen, als er den Blick wieder auf die Strasse richtete. Ein Keuchen entfuhr mir, als Louis den Wagen herumriss, und der Audi hinter uns ins Schleudern geriet, als der Fahrer versuchte, dem quergestellten Mustang auszuweichen.
Das Quietschen der Reifen war unerträglich, als der Audi bremste und ein dumpfer Aufknall war zu hören, als die Wand ihn stoppte.
Das Knirschen des Kotflügels, der sich verbog, liess mich Gänsehaut kriegen und Schock lähmte mich.
Am Rand bekam ich mit, wie Louis ausstieg und sich eine Zigarette anzündete.
Nachdem er einen Zug genommen hatte, kam er zu mir rüber, um mir die Tür aufzuhalten.
Louis zog mich an der Hand aus dem Wagen, und zog mich in eine enge Umarmung, als wir auf den Audi zugingen. Der Regen fühlte sich eiskalt auf meiner Haut an, als wir stehenblieben und den anderen Wagen beobachteten. Ein lautes Knallen war zu hören, als die Tür des Autos ins Schloss fiel, und ein Fluchen.
„Du verdammtes Arschloch.“
Als ich seine Stimme hörte, fühlte es sich an, als würden meiner Haut Tausende von Schnitten zugefügt, und ich zog die Augenbrauen vor innerlichem Schmerz zusammen. Schuldgefühle. Angst. Scham. Das alles wallte in mir hoch, als ich meinen Kopf hob und in seine eisblauen Augen sah.
Diese Augen… Sie hatten dieselbe Farbe wie die meinen. Und in diesem Moment sahen sie mich an. Wie sah ich wohl jetzt in seinen Augen aus? Wie eine Verräterin?
Jemand, der ihn hintergangen hatte?
Ich konnte den Ausdruck in seinen Augen nicht ganz deuten, und doch merkte ich, dass er enttäuscht war.
Louis’ Lachen liess mich zusammenzucken, und er zog mich mit seinem Arm in eine noch engere Umarmung, so dass ich an seine Brust gelehnt war und seinen Duft einatmen konnte. Mein Kopf lag an seinem Oberkörper, als er einen weiteren Zug seiner Zigarette nahm und den Rauch über meinen Kopf hinweg ausstiess.
„Warum? Warum bin ich ein Arschloch? Weil ich davongekommen bin oder“, Louis lächelte das schräge Lächeln, das ich so sehr liebte, „weil deine Schwester auf meiner Seite ist?“
Aller Aufmerksamkeit war jetzt auf mich gerichtet, und ich spürte, wie ich zu schwitzen begann, obwohl der Regen auf uns herabtropfte und mich bis auf die Haut durchnässte.
Mike.
Sein Blick durchbohrte mich, und ich blinzelte, damit die Wassertropfen, die sich in meinen Wimpern gesammelt hatten, nicht weiter meine Sicht störten, und schluckte.
„Louis“, sagte ich leise, doch mein Bruder kam mir zuvor.
Ich sah, wie die Wut in seinen Augen aufflammte, seine Zähne fletschten sich und ich schrie vor Überraschung auf, als er Louis von mir wegzerrte und zu Boden schmiss. Die Zigarette blieb einige Meter entfernt in einer Pfütze liegen, und das Glimmen an ihrer Spitze erlosch. Der Regen prasselte unablässlich nieder, so dass ich die zwei Personen am Boden nur schwach erkennen konnte.
„Du Schwein“, brüllte Mike und ich sah, wie er Louis am Haar packte und ihn mit der Faust ins Gesicht schlug.
„NICHT MEINE SCHWESTER!“ Seine Stimme klang verzweifelt, als er blind vor Wut immer und immer wieder auf Louis einschlug.
„MIKE NEIN!“, schrie ich und rannte zu den Beiden hin, doch sie bemerkten mich gar nicht.
Aus Louis’ Nase tropfte jetzt Blut das ihm über die Lippen rann, welche sich zu meiner Überraschung zu einem Lächeln verzogen.
Er leckte sich das Blut von den Lippen, und sah zu Mike hoch.
„Nicht schlecht, Kleiner, nicht schlecht“, keuchte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sein Piercing, das er normalerweise immer in seiner Augenbraue hatte, war weg. Stattdessen war die Haut dort jetzt eingerissen, und das Blut, das sich mit dem herabfallenden Regen vermischte, hinterliess eine hellrote Spur auf seiner Haut, als es sein Gesicht hinabrann.
Louis Kleider waren schlammbeschmiert, genauso wie seine rechte Hand, die an seinem Hosenbund ruhte.
„Weißt du“, sagte er weiter, sein Grinsen wurde ein bisschen breiter, „das Witzige an der Geschichte ist ja, dass ich sie nicht einmal dazu gezwungen habe, Zeit mit mir zu verbringen. Sie hat es freiwillig getan.“
„Lüg mich nicht an“, zischte Mike, legte seine Hände kraftvoll an Louis’ Schultern und drückte ihn noch etwas fester auf den nassen Boden.
„Mach ich nicht. Sags ihm, Sky“, murmelte Louis heiser an mich gewandt, und seine hellen Augen fanden die meinen.
Obwohl ich merkte, dass er Schmerzen hatte und nicht gerade im besten Zustand war, war sein Blick nicht weniger fest als sonst.
„Ich…“ Ich sah meinen Bruder verzweifelt an, wischte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nahm einen tiefen Atemzug.
Mike schüttelte ungläubig den Kopf. „Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist.“
„Mike, ich…“
„SAG MIR DASS DAS NICHT WAHR IST!“, brüllte er jetzt, die Verzweiflung in seiner Stimme schwächte den Ausruf zwar ein wenig, doch liess ihn mir umso mehr unter die Haut gehen.
„Nun, es ist wahr“, meldete sich Louis jetzt leise wieder zu Wort, und ein Klicken war zu hören.
Unsere Köpfe schnellten herum, gerade schnell genug, um zu sehen, wie der Punk die Pistole, die er immer mit sich herumtrug, zuckte und sie Mike gegen die Schläfe presste.
„Louis“, schrie ich erschrocken auf, doch er ignorierte mich.
„Mike…“ Er flüsterte es, und durch den lauten Regen konnte ich es beinahe nicht verstehen. Mein Bruder sah Louis wie gebannt in die Augen.
„Mike“, seufzte Louis, und schüttelte den Kopf, als er sich langsam aufrichtete, da Mikes Hände jetzt seine Schultern verlassen hatten. „Wie dumm von dir, sich mit mir anzulegen… Richtig… richtig dumm“, hauchte er, und lächelte böse.
„Louis“, sagte ich erneut, doch dieses Mal war es nur ein Flüstern.
Wieder ignorierte er mich. „Du hast dieselben Augen wie deine Schwester.“
Ich trat einen Schritt näher. „Tu ihm nichts“, bettelte ich, doch Louis schüttelte den Kopf.
„LOUIS VERDAMMT DAS IST MEIN BRUDER!“, schrie ich jetzt, so laut, dass mir das Trommelfell beinahe zerriss, und vergrub das Gesicht in den Händen.
Nein, nein, nein, NEIN!
Louis sah Mike nur in die Augen.
Aus Sekunden wurden Minuten.
Das unablässige Tropfen des Regens war das einzige Geräusch, das zu hören war, als Louis die Pistole sinken liess und Mike von ihm wegtaumelte.
„Komm Sky“, flüsterte er, packte mich und zog mich zum Audi, wo er mich auf den Beifahrersitz schmiss und wir mit einer Riesengeschwindigkeit davonbrausten, einen durchnässten Louis hinter uns zurücklassend.
Was zur Hölle war da gerade passiert? Panische Tränen stiegen in mir auf, als ich realisierte, dass ich gerade beinahe meinen Bruder verloren hätte.
Für immer.
Durch ihn.
Wir wechselten kein Wort miteinander, als Mike den Motor ausschaltete und ich mit zitternden Händen den Gurt löste.
Als ich ausstiegen wollte, spürte ich eine Hand auf meinem Oberschenkel, und ich sah hoch.
Von Mikes Haar tropfte der Regen, und seine Stimme war ein schwaches Flüstern.
„Wieso, Sky?“
Ich schluckte, denn ich wusste keine Antwort darauf.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen öffnete ich die Tür und stieg aus.
Als ich nach dem Abendessen in mein Zimmer ging und das Licht anschaltete, fiel mir sofort auf, dass etwas auf meinem Bett lag.
Ich eilte hin, und erkannte erleichtert, dass es die Schachtel mit meinem Kleid war. Mit einem Lächeln öffnete ich den Deckel und erstarrte, als ich die Notiz erkannte, die auf dem Stoff des Kleides lag.
Vorsichtig nahm ich sie in die Hände, und mit jedem Wort, das ich las, liess den Kloss in meinem Hals mehr anschwellen.
Du wirst fantastisch darin aussehen... Bitte verzeih mir. -Louis