Mein von den vielen Gedanken verschwommenes Sichtfeld klärte sich auf und nun sah ich, wie Adriana ohne lange herumzufackeln auf mich zukam.
Wo ist eigentlich Charon schon wieder abgeblieben?
Ich blieb an Ort und Stelle stehen, obwohl mir die Miene auf ihrem schönen Puppengesicht gar nicht behagte. Eher jagte sie mir ganz schön Angst ein. Sie sah aus, als würde sie mich gleich aufknöpfen wollen.
Misstrauisch blickte ich sie an, als sie vor mir zum Stehen kam. Das Grau in ihren Augen wirkte so bröckelnd, als würde gleich eine ganze Steinlawine auf mich zurollen. Der Zug um ihren Mund war eindeutig ziemlich verkniffen.
"Findest du es nicht langsam auch sehr armselig, dass du Easton nicht nur deutlich für alle hinterhersabberst, sondern ihm auch noch nachrennst wie ein kleines Hündchen?"
Mir klappte der Mund auf. "Bitte was?", entfuhr es mir enrüstet.
Sie lachte höhnisch und verschränkte nun auch ihre zarten Arme vor ihrem Körper. "Bitte, jetzt tu doch nicht so unschudig - wobei, du kannst einem ja nur leid tun."
"Leid tun?", wiederholte ich noch entgeisterter.
"Ja genau, leid tun", nickte sie bestätigend. "Weil du ja nichtmal merkst, wie sehr du dich bei ihm zum Deppen machst. Es ist-"
"Entschuldigung", unterbrach ich sie mit schneidernder Stimme und trat einen Schritt auf sie zu. Am liebsten hätte ich ihr eine gescheuert, aber ich konnte gerade noch an mich halten. "Was erlaubst du dir eigentlich? Mit mir brauchst du gar nicht erst anfangen so abfällig zu reden-"
"Oh drohst du mir jetzt etwa auch noch?", hakte sie mit hochgezogenen Augenbrauen nach. "Das ist ja interessant. Dann-"
"Dann was?", schnitt ich ihr das Wort ab. "Was ist eigentlich überhaupt dein Problem? Kannst du mir das bitte mal erklären?"
Sie schnaubte ungläubig. "Echt jetzt?" Viel zu gekünstelt lachend - so, dass sie einige Blicke auf sich zog - gackerte sie in sich hinein, dann richteten sich ihre vor Wut blitzenden Augen wieder auf mich. "Du machst dich an meinen Freund heran. Denkst du etwa, ich schaue mir das einfach nur an? Ohne etwas zu sagen?"
"Dein Freund?", lachte ich. "Dein Exfreund wohl eher."
"Was, Exfreund? Du hast da wohl nicht ganz was verstanden. Wir führen gerade nur eine Beziehungspause."
"Aha, ich verstehe."
"Nein, tust du eben nicht", giftete sie weiter.
Sie wirkte fuchsteufelswild und schien nichtmal im Entferntesten daran zu denken, sich irgendwie wieder abzuregen. Mir war das langsam schon unangenehm, da wir nach wie vor zwischen all den anderen standen und sie blökte hier herum als wäre ich ein hinterlistiges Miststück, dabei war ich das nicht im Entferntesten. So langsam brannten auch mir allmählich die Sicherungen durch.
Beherrscht versuchte ich wenigstens etwas normal weiter zu atmen, um nicht auch noch die Nerven zu verlieren. "Und warum verstehe ich das bitte nicht?", fragte ich ungeduldig.
"Na das ist doch offentsichtlich", blaffte sie zurück. "Und um mich noch klarer auszudrücken: Easton ist tabu für dich, hast du verstanden?"
Meine Augenrbauen zuckten in die Höhe und ich ballte meine Fäuste. "Drohst du mir jetzt etwa?", fragte ich nun immer gereizter werdend nach.
Sind wir denn hier im Kindergarten?
"Vielleicht." Sie schmiss sich ihre lange Haarmähne zurück, aufeinmal wieder total gefasst wirkend. Ich kam nicht mehr hinterher. Ihre Augen zuckten kurz in eine andere Richtung, doch ich hatte diese Richtung ausmachen können. Genau aus dieser Richtung kam Charon zu uns angelaufen und schaute stirnrunzelnd zwischen Adriana und mir hin und her.
Er hatte echt kein so gutes Timing.
Oder doch?
Grimmig presste ich meine Lippen aufeinander. Ich hatte sie durchschaut. Sie wollte, dass es so aussah, als würde ich Stress anfangen. Hah, was war sie bitte nur für eine falsche Schlange?
Nun gut, dann mache ich ihr mal einen Strich durch die Rechnung, so sehr Mühe es mich auch kostete.
Gekünstelt lächelnd, meine Mundwinkel brachen bestimmt jeden Moment weg - tätschelte ich ihre Schulter. Charons Augenbrauen wanderten noch höher. Gleich würde er hier sein. "Weißt du Adriana - völlig egal, ob ich jetzt an Easton Interesse habe oder nicht - aber ich lass mir nicht alles gefallen", stieß ich unter diesem erdrückenden Lächeln hervor.
Schwupps und da wieder das wütende Funkeln.
Allerdings schlug sie mit der gleichen Waffe zurück und setzte ein ebenso reizendes Lächeln auf. "Denkst du etwa ich lasse mir alles gefallen?"
Na offentsichtlich ja nicht.
Ich ließ die Frage offen im Raum stehen, denn genau in diesem Moment kam Charon bei uns an.
"Alles in Ordnung hier?", fragte er sofort argwöhnisch nach.
"Natürlich", antworteten Adriana und ich auch noch gleichzeitig. Echt verhext. Ich glaube, wenn wir nicht den gleichen Kerl im Fokus hätten, würden wir uns vielleicht sogar ganz gut verstehen. Doch dieser Umstand, der nunmal da war, ermöglichte es nicht. Und um ehrlich zu sein, diese Seite an ihr war echt nicht schön. Kann ja sein, dass man mal die Nerven verlor, aber musste man dann so eine Szene machen? Inmitten einer Menge? Und dann auch noch so verzweifelt?
Ich betrachtete sie kopfschüttelnd von der seite, worauf sie nur zickig den Mund verzog.
Ich sag es ja, Kindergarten.
Charon sah uns beide nochmal eingehend an, beschloss wohl aber, es auf sich beruhen zu lassen. Das war eine gute Entscheidung. "Okay", meinte er etwas gedenht. "Na dann, wollen wir zum Parkplatz gehen? Easton wird bestimmt gleich zurück sein und dann können wir endlich was essen."
"Um ehrlich zu sein habe ich vergessen, dass ich heute Abend doch noch arbeiten muss", brachte ich die lahmste Ausrede des Jahrhunderts. Aber ich hatte echt keinen Bock nach dieser Sache hier noch mit der Zicke an einem Tisch zu sitzen. In ihren Augen mochte das vielleicht ein Rückzieher sein, doch in meinen Augen gab der Klügere nach. Und ich machte kein Schlammbatteln und erst recht keinen Wettebewerb daraus, wen Easton von uns beiden nun toller finden würde. Das war sowas von unter meinem Niveau.
Adriana blickte reichlich überrascht drein.
Was, hatte sie echt gedacht, sie konnte mir den Abend jetzt auch noch auf die Nerven gehen? Falsch gedacht. Ich lasse mich doch nicht absichtlich tyrannisieren und spielte auch noch heile Welt vor den Jungs.
"Wirklich?", kam es ungläubig von Charon. "Du hast vorhin gar nichts davon erwähnt."
"Ich habs eben vergessen", zuckte ich mit den Schultern. "Aber dann gehen wir nächstes Mal vielleicht alle zusammen essen."
Charon nickte. "Ja klar, gern. Aber wir können dich doch noch nach Hause fahren oder Adriana?", wandte er sich fragend zu seiner Cousine hin.
Bevor diese antworten konnte, mischte ich mich mit ein. "Ach alles gut, sie muss sich keine Umstände machen. Ich nehme den Bus. Esst einen Burger für mich mit", lächelte ich - das Lächeln tat echt immer mehr weh - und hob halbherzig eine Hand zum Abscheid, um beiden zuzuwinken. "Bis nächstes Mal. Danke fürs Mitnehmen." Dann drehte ich mich um und konnte endlich meine Gesichtsmuskulatur glätten.
Was war das nur schon wieder für ein Nachmittag gewesen... neee, da bevorzugte ich es wahrlich mehr mit mir und meiner Wenigkeit im Wohnzimmer vor dem Fernseher zu hocken und was Schönes zu gucken.
Erst recht wollte ich mir keine Gedanken darüber machen, wie es nach dem Zwischenfall weitergehen sollte. Adriana würde mich jetzt natürlich noch weniger in ihrem Beisein in Eastons Nähe lassen, wahrscheinlich würde sie sich heute noch so sehr ins Zeug legen, dass er sie am Ende doch wieder toll finden würde. So oder so würde es unangenehm werden, wenn wir so wie letztens wieder in einer Gruppe was zusammenmachen würden. Aber auf diese Treffen wollte ich natürlich auch nicht komplett verzichten, nur weil sie dabei war. Nur heute sah ich das nicht als den richtigen Zeitpunkt an, um alles weiter auszureizen...
Arghhhhh grrr.
Sauer biss ich fest die Zähne aufeinander.
Verdammt, warum musste ich mich auch unbedingt in diesen Typen verguckt haben?
Das machte alles so kompliziert - weil ich nichtmal selbst wusste, ob er auch wirklich was für mich empfand - auch wenn er scheinbar jetzt etwas anders zu mir war. Ich hatte keinen Beweis dafür und ein Spielzeug wollte ich nicht sein.
So betrachtet war es ganz gut, dass ich mich für den Weg nach Hause entschieden hatte, um mich erstmal abzuregen.
Als ich an der Bushaltestelle ankam, fiel mir auf, dass ich noch immer Eastons Basecap trug. Am liebsten hätte ich es wütend auf den Gehweg geworfen und wäre darauf herumgetrampelt. Stattdessen nahm ich es ab und drehte es in meinen Händen hin und her.
Warum musste er mir das eigentlich auch aufsetzen? Reichte es nicht schon, dass ich oft genug an den Kerl dachte? Nein, jetzt gab er mir auch noch Sachen mit, die mich erst recht auf Gedanken brachte, die mit ihm zutun hatten.
Ich stöhnte leise genervt auf und setzte es mir wieder auf den Kopf.
Klar hatte ich mir in den Kopf gesetzt ihn um seine Selbstkontrolle zu bringen. Doch eigentlich würde ich es mittlerweile viel lieber haben, dass er sie von sich aus verlor. Ich wollte nicht nachhelfen.
Ich wollte endlich eine Bestätigung.
Update😏
Soooo... was haltet ihr von der kleinen Auseinandersetzung zwischen Iva und Adriana? Hat sich Iva gut geschlagen?
❤️