Eine knappe dreiviertel Stunde brauchte der Bus bis er an einer Haltestelle vor einem von vielen riesigen Campusgebäuden hielt.
Die Fahrzeit hatten wir beide erstaunlicherweise relativ angenehm überbrückt, da Easton mir erzählte, was es denn für eine Vorlesung ist und was mich überhaupt in dieser Schnupperzeit erwarten würde.
Dabei fand ich heraus, dass man mit ihm auch gut erzählen konnte. Er ließ einen ausreden, wenn ich Bemerkungen brachte oder Fragen stellte und er antwortete ausführlich ohne jegliches spöttisches Gehabe.
Die einzige Schwierigkeit, mit der ich zu kämpfen hatte, war dass sich unsere Schultern ununterbrochen die ganze Zeit während der Fahrt berührten. Zu dem war ich mir sicher, dass meine Kleidung, zumindestens an der linken Seite, absolut nach Easton rochen.
Obwohl ich genau wusste, wie der Stand der Dinge zwischen uns war und er das alles nicht von sich aus tat, mochte ich es leider in seiner Nähe zu sein, wenn es Momente wie diese gab.
Außerdem war er so aufmerksam und das, was er mir erklärte, bewies, dass er unglaublich viel Wissen haben musste. Ich hätte an sich doch kein so großes Problem, wenn er mal meinen Kurs leiten würde.
Ihm würde ich, ob ich es wollte oder nicht, gewiss zuhören.
Das Geräusch des Busmotors brummte überdeutlich in meinen Ohren und ich war froh, als sich Fahrzeug endlich entfernte.
"So da wären wir. Leider sind wir jetzt auf der Südseite von der Uni gelandet, aber dann müssen wir eben noch ein Stück bis zum Vorlesungssaal laufen", stellte Easton fest und schulterte seine Tasche, die einer Sporttasche glich.
Ging er etwa danach noch zum Sport? Weil ohne Zweifel musste er irgendetwas Sportliches machen, von allein bekommt man nicht so einen Körper...
Die Frage stellte ich ihm jedoch nicht, stattdessen stellte er mir die nächste Frage, indem er mich skeptisch von der Seite musterte. "Gehts eigentlich mit deinem Fuß mittlerweile?"
Ich nickte und versuchte angestrengt Bilder von ihm und seinem schwitzenden durchtrainierten Körper aus dem Kopf zu bekommen. "Ja klar", antwortete ich schnell und machte einen Schritt nach vorn. Der Schmerz war zum Glück nicht mehr so intensiv wie vorhin, sodass ich wieder alleine und ohne zu humpeln laufen konnte.
Zum Glück.
Nicht, dass ich es auf seinen Rücken nicht genossen hätte, aber er musste mir nun wirklich nicht überall helfen.
Zwar hatte ich einen kleinen Vorsprung ausgebaut, doch Easton war in zwei Sekunden dank seiner langen Beine wieder neben mir und übernahm die Führung. Neben ihm, fiel mir in diesem Moment mal wieder auf, wirkte ich ziemlich klein. Alleine schon, weil er so dicht neben mir herging.
Ich versuchte mich von diesem und anderen Gedanken nicht allzu sehr beirren zu lassen und folgte ihm einfach, während er um sich zeigte und mir nochmal anhand der Gebäude erklärte, wo was ist.
Dabei kamen uns immer mal wieder einige andere Studenten entgegen. Die meisten grüßten ihn - Easton schien wohl wirklich ziemlich bekannt zu sein - wobei sie mich hingegen äußerst verwirrt abscannten.
Entweder, weil ich ein neues Gesicht bin oder aber, weil Easton vielleicht wirklich nicht oft weibliche Begleitung bei sich hatte.
Außer es handelte sich vermutlich um Adriana.
Na vielleicht war es auch das, weil ich eben nicht Adriana war, die neben ihm herlief und an seinen Lippen klebte.
Nach weiteren zehn Minuten in unserem Schlendertempo kamen wir an einem relativ altaussehenden Gebäude an. Es erinnerte mich irgendwie an eines der Gebäude auf Bildern von der Harvard University.
Easton hielt mir die Tür auf, bevor er hineinging. Viel Platz war zwischen unseren Körpern nicht, weswegen ich mich zügig an ihm vorbeischob. Ich fand diese Atmosphäre zwischen uns im Augenblick überraschend angenehm und wollte sie nicht mit irgendetwas zerstören, weil er mich beim Starren ertappte und mir so gleich den nächsten Korb geben konnte.
Deswegen würde ich mich jetzt so normal verhalten, wie es mir auch in den vergangenen Minuten gelungen ist.
Lieber konzentrierte ich mich staunend auf die geflieste große Eingangshalle und himmelte diese märchenhaften geschwungenen Treppen an, die wohl hoch zu den Emporen der Vorlesungssäale führten.
Zusammen mit ihm ging ich zur Seite auf eine kleine Nische zu, wo er sich dann zu mir drehte. "Wir müssten noch kurz auf ein paar andere warten", informierte er mich.
Ich nickte nur, ließ mich auf einen der Ledersessel fallen und nahm die Umgebung weiter in Augenschein, besonders die anderen Menschen. Sie wirkten hier alle recht aufgeschlossen und einige schienen noch auf den anderen Rest ihrer Gruppe zu warten. Andere hingegen stiegen schon die Treppen hinauf und konnten es wohl gar nicht abwarten, in die Vorlesungssäale zu kommen.
Unbewusst lenkte ich meinen Blick von den anderen weg hoch zu Easton, der sich nicht hingesetzt, sondern an einer Säule direkt neben mir angelehnt hatte.
Fast wäre ich erschrocken zusammengezuckt und mein Herz machte einen erneuten großen Hüpfer, da seine grünen Augen schon längst auf mich ruhten.
Er wirkte tief in Gedanken versunken und schien erst nach und nach mitzubekommen, dass ich ihn nun ebenfalls anschaute.
Anstatt er jedoch ertappt wirkte, schaute er mich nur selbstbewusst an, der Blick jetzt wieder wach, vollkommen klar - und irgendwie war da noch etwas anderes.
Mein Herz pochte gleich noch schneller.
Was hatte das denn aufeinmal zu bedeuten?
Bevor ich mehr darüber nachdenken konnte, hielten zwei weitere Studenten bei uns an und lenkten Eastons Aufmerksamkeit von mir weg.
Es dauerte einige Sekunden bis ich mich auf die dazugestoßenen Leute konzentrieren konnte. Eastons Blick hatte sich dafür viel zu fest in meinem Gedächtnis eingebrannt.
Ich atmete tief durch, ehe ich die beiden Studenten ebenfalls anschaute.
Beide waren sie männlich und auch sehr gut aussehend.
Der Rechte hatte rote wellige Haare, die zwar kurz waren, sich aber trotzdem um sein Gesicht ringelten. Der grüne Hoodie und die karierte Hose unterstrichen diesen Look noch zusätzlich schottisch.
Der Linke war nur ein bisschen kleiner als der rechte, aber mindestens genauso sportlich. Er hatte hellblonde glatte Haare und hellgraue Augen, die von Easton zu mir wanderten. Er schien wohl später auch zum Sport zu wollen, denn er hatte wie Easton eine Sporttasche geschultert.
"Ach jemand Neues in der Runde", bemerkte der Blonde so gleich und grinste mich breit an. "Ich habe eigentlich mit Adriana gerechnet", am Ende des Satzes schaute er fragend zu Easton herüber, was ihm der Rothaarige ebenso interessiert nachtat.
Alleine der Name ließ wieder meine Laune sinken und bestätigte meine Vermutung, dass Easton und sie wohl wie zwei Kaugummis zusammen kleben mussten und ich eben nur das kleine Anhängsel war -
Stopp, Iva. Hör auf dich in dieses Licht zu stellen. Du bist selbstbewusst und musst dich doch nicht klein machen.
Also stand ich auf, bevor Easton das Wort übernehmen konnte, und streckte dem Blonden meine Hand entgegen. "Ich bin Iva und bin heute mal bei der Vorlesung mitbei. Unsere Vä-"
"Ich wusste, das Iva sich gerade an unserer Uni bewerben will und habe sie deswegen heute mal mitgenommen. Der Prof hat nichts dagegen", schaltete sich Easton ein.
Verwirrt blickte ich zu ihm herüber, doch er wich mir aus.
Warum wollte er denn nicht, dass die beiden von der Freundschaft unserer Väter wussten?
Ein Händedruck ließ meinen Kopf ruckartig zurückwandern. Ich hatte ja völlig vergessen, dass ich dem Blonden immer noch die Hand hingehalten hatte, die er jetzt offenbar ergriffen hatte. ich stellte kritisch fest, dass seine Hände nicht ganz so groß wie die von Easton waren.
Aber sein Grinsen wirkte echt, wenn auch etwas sehr... verrucht.
"Ahh wenn das so ist. Ich bin Habeck, aber Beck reicht völlig. Bin im gleichen Semester wie Easton. Also wenn du Fragen hast, kannst du dich genauso gern an mich wenden", meinte er freundlich und zwinkerte mir zu.
"Ähm, danke", entgegenete ich.
Er ließ meine Hand los, worauf der Rothaarige gleich die Chance ergriff und mir nun meine Hand schüttelte. Sein Lächeln war sehr sanft, genauso wie seine Stimme. "Freut mich dich kennenzulernen, Iva. Ich heiße Gregor. Bin auch im gleichen Semester."
Ich erwiderte sein Lächeln. "Freut mich, Gregor."
"Na denn können wir ja los oder?" Beck schaute motiviert in die Runde, ehe er die Treppen ansteuerte. Gregor folgte ihm, danach kamen Easton und ich, der es weiterhin beibehielt, neben mir zu laufen.
Es war irgendwie sehr kräfteraubend, Herr über das kribbelige nervöse Gefühl in meiner Magengegend zu werden, gerade da es in seiner Nähe einfach nicht aufhörte...
Ob ich ihn nochmal bei so einem Moment wie vorhin erwischen würde? Aber was hatte das alles nur zu bedeuten?
Beck visierte irgendwann auf diesem langen Flur eine Tür an und schob sich mit seinem breiten Körper hindurch. Als ich endlich nach Gregor die Sicht auf den großen Saal hatte, blieb mir erneut der Mund offen stehen. Auch dieser Saal wirkte etwas älter und die Größe war wirklich beeindruckend. Lange konnte ich jedoch nicht stehen bleiben, um nicht den Anschluss zu verpassen.
Gemeinsam schlängelten wir uns hintereinander durch die Reihen und kamen nach Becks Führung bei Plätzen an, die zwar etwas weiter hinten im Saal lagen, jedoch genau mittig zur Leinwand sind und einen perfekten Blick auf alles Weitere boten.
Beck ließ die Tasche neben sich fallen und klappts sogleich einen Sitz herunter. Gregor tat es ihm nach und erst jetzt fiel mir auf, wie eng wir alle beieinander sitzen würden.
Wie eng ich neben Easton sitzen würde, der ja jetzt auf der Suche nach Plätzen direkt hinter mir gelaufen ist. Es wunderte mich, dass er sich nicht neben seinen Freunden setzen wollte. Deswegen sprach ich ihn auch gleich darauf an und klappte meinen Sitz noch nicht herunter.
"Du kannst auch gern neben deinen Freunden sitzen, dann setze ich mich außen hin", bot ich ihm an.
Genau wie Beck stellte er seine Sorttasche neben sich ab und schüttelte dann den Kopf. "Ach, setz dich ruhig da hin. Ich kann auch noch morgen neben ihnen sitzen." Um seine Antwort zu unterstreichen, ließ er sich ebenfalls wie die anderen auf der schmalen Sitzfläche nieder und begann in seiner Tasche herumzukramen.
Nun gut, wenn es ihn also nicht störte.
Ich klappte meinen Sitz aus und beobachtete, wie sich der Saal immer und immer mehr innerhalb von nur ein paar Minuten füllte. Es war irgendwie schon seltsam, dass Easton von fast jedem einen kurzen Blickkontakt geschenkt bekam - und auch zu mir wanderten die stets neugierigen, teils auch skeptischen Augenpaare.
Easton selbst schien von dem allen nichts mitzubekommen. Er war sehr vertieft in ein kleines Handbuch, wie ich es aus den Augenwinkeln erkennen konnte. So wie er dort saß, den Kopf auf der Hand abgestützt, die Haare auf die Stirn fallend und total in diesen Karten versunken, erinnerte mich das an unsere Begegnung in der Bibliothek.
Und jetzt saß ich neben ihm, obwohl ich zu jenem Zeitpunkt dachte, ich würde ihn zum letzten mal sehen.
Komisch war doch manchmal das Leben.
Soooo... da hat Iva Easton mal beim Starren ertappt. Was das wohl zu bedeuten hat?
Und warum lässt Easton den anderen nicht von der Freundschaft zwischen ihren Vätern wissen?
Ich wollte euch heute nochmal ein Kapitel geben, da ich nicht weiß, ob ich es morgen geschafft hätte und wie stressig nächste Woche sein wird. Also habt heute einen schönen Silvesterabend und wir lesen uns hoffentlich alle gesund und munter im neuen Jahr wieder ❤️