Im Starbucks bestellte ich mir diesmal einen Eiskaffee, weil ich nach dem Joggen einfach nichts Warmes trinken konnte und auch Jerry nahm eine Eisschokolade mit viel Schlagsahne und dazu ein Mineralwasser.
Gerade, als unsere Bestellung in den Plastikbechern über die Theke geschoben wurde und ich mich dazu bereit erklärte, auch diesmal zu zahlen, hörte ich eine nur allzu bekannte Stimme, die alle anderen Stimmen in dem Café zu übertönen schien. Daran waren vielleicht meine übernatürlichen Fähigkeiten schuld, die bekannte Stimmen sofort herausfilterten, selbst in dem wirrsten Tumult, oder es war ein natürlicher, beeindruckender Prozess des Gehirns. Ich war mir nicht sicher.
Ich drehte mich um und starrte in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte. Nein, ich hatte es mir nicht eingebildet. Dort am Ecktisch neben dem Fenster saß tatsächlich Tony mit einem Mädchen. Beide hatten sie ihre Becher vor sich stehen und leere Teller mit Restkrümeln und kleinen Kuchengabeln daneben. Ich blinzelte ein paar Mal, weil Tony, ähnlich wie Jerry, auf der Liste jener Leute stand, von denen ich nicht erwartet hatte, sie je wieder zu sehen. Ich war ihm nicht mehr begegnet, seit er mit Beverly auf der Couch in ihrem Haus in Santa Barbara herumgeturtelt hatte, aber ich war immer davon ausgegangen, dass sie ihn abgesägt hatte, nachdem immer offensichtlicher geworden war, dass sich zwischen uns beiden etwas angebahnt hatte.
In der High School hatte Anthony Nelson zu meinen besten Freunden gezählt und seine Schwester Delilah und ich waren ein paar Wochen miteinander ausgegangen, aber das war lange her und hätte ohnehin nie funktioniert. Es fühlte sich unfassbar komisch an, einen Teil meines alten Lebens jetzt, nach all den schlimmen, unmenschlichen Dingen, die geschehen waren, in einem stinknormalen Starbucks-Café anzutreffen. Jemanden zu sehen, von dem ich mich über die Jahre, und besonders die letzten zwei Jahre, so sehr entfernt hatte, dass es sich schlicht surreal anfühlte, ihm hier zu begegnen. Es war ein komisches Gefühl, dass sich mein altes und mein neues Leben plötzlich überschnitten. Als ob etwas in der Matrix schief laufen würde.
Was machte Tony überhaupt in Fresno? Er wohnte in Santa Barbara -seine Familie besaß das Haus neben Beverlys ehemaliger Villa-, zumindest war das mein Wissensstand nach dem letzten Update. Ich glaubte auch nicht, dass Tony sich zufällig dazu entschieden hatte, nach Fresno zu ziehen.
Doch dann fiel mein Blick auf das Mädchen und ich ging davon aus, dass er ihretwegen hier war. In Anbetracht der Ironie hätte ich fast lachen können: Er war seinem Typ treu geblieben. Sie war blond, schlank, die Lippen rot geschminkt und hatte verblüffende Ähnlichkeit mit Victoria, seiner Ex-Freundin und Beverlys Schwester. Sie hielten sich an den Händen und sie lachte über etwas das er sagte.
„Aidan?" Jerry hielt mir meinen eisgekühlten Cappuccino hin.
„Danke", murmelte ich und sah automatisch wieder zu Tony. Er bemerkte mich erst, als Jerry und ich schon an der Türe des Cafés waren, und musste zweimal hinsehen, um zu bemerken, dass ich es tatsächlich war. Er erkannte mich bestimmt, denn sein Blick blieb lange an mir hängen. Draußen drehte ich mich noch einmal um und er sah mir durch die Fensterscheibe hindurch nach.
Es ist so unfair, dachte ich und richtete den Blick wieder auf die Straße. Beverly hatte Tony aus ihrem Leben gehen lassen, sie hatte ihn sogar weggestoßen, sonst wäre er jetzt vielleicht an meiner Stelle. Dann wäre er vielleicht der kaputte Schrotthaufen, nicht ich. Dann hätte ich jetzt vielleicht mit einem Mädchen, das ich lieben könnte, in diesem Café gesessen, hätte an einem Blaubeermuffin geknabbert und mit ihr über unverfängliche Dinge gesprochen, wie... warum die Präsidentschaftswahlen in den USA so bescheuert vonstattengingen, warum beschichtete Pfannen giftig waren und darüber, was das Weißmehl schon wieder böses angestellt hatte...
Warum durfte Tony glücklich werden und ich nicht? Warum durfte ich nicht mit Beverly glücklich werden? Warum musste sie ein so beschissenes Leben führen? Warum hatte sie sich für mich entscheiden müssen? Hätte sie nicht Tony in diese ganze Scheiße hineinziehen können? Warum war ich so blöd gewesen und hatte sie nicht gehen lassen, als sie bereitwillig aus meinem Leben hatte spazieren wollen? Was hatte er schon getan, dass er ein normales, ungefährliches Leben leben und eine Freundin haben durfte, mit der er zu Starbucks Kaffee trinken gehen und deren Hand er ohne Kompromisse halten konnte?
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Dark Minds (Band 4)
Paranormal„Während ich hier sitze und alles gebe und verliere, um diesem Krieg ein Ende zu bereiten, wird mir bewusst, dass mein gesamtes Leben ein einziger, beschissener Maskenball war! Und ich tanze immer noch darauf!" *** Die Ereignisse jener Nacht haben B...