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Beverly

Als ich diesmal würgte, war ich mir sicher, meinen Magen mitausgespuckt zu haben. Vermutlich klang ich wie ein verreckender Elch, als ich röchelnd über der Klobrille hockte und mir die Haare zurückhielt.

Nach ein paar Minuten war ich mir sicher, dass das Schlimmste vorbei war, drückte auf die Spülung und rappelte mich auf. Ich ließ kaltes Wasser in eines der Gläser laufen und spülte mir den Mund aus, um etwaige Kotzestückchen zwischen meinen Zähnen zu entfernen. Reizend, ich weiß.

Mit zitternden Händen klammerte ich mich an dem gläsernen Waschbeckenrand fest und atmete einige Male tief durch.

Wie hatte Acacia das alles bloß so lange ertragen können?

Ich durchwühlte meine Clutch nach den Tropfen, die Arlen mir gegeben hatte. Sie hinderten den Fluch zwar nicht an seiner Ausbreitung, aber sie maskierten die Auswirkungen und die Symptome. Schmerzwellen, die so plötzlich und stark über mir hereinbrachen, dass ich mich übergeben musste, gehörten seit knappen sieben Tagen dazu.

Ich ließ fünf Tropfen mit der Pipette in das restliche Wasser im Glas tropfen und stürzte die bittere, bräunlich verfärbte Mischung herunter, als wäre es Cola. Die Medizin wirkte schnell und die Übelkeit verschwand zusammen mit einem Großteil der Schmerzen in nur wenigen Sekunden.

Addie hatte nichts dazu gesagt, dass ich meinem hellblauen Brautjungfernkleid lange Ärmel gezaubert hatte. So konnte niemand die dunklen Verbrennungsnarben sehen und das hatte sie bestimmt auch ohne nachzufragen begriffen. Und wenn man es nicht wusste, hätte man vermutlich auch nie damit gerechnet, dass ich totkrank war.

Aber als ich jetzt in den Spiegel sah, merkte ich, dass ich eigentlich ins Bett gehörte. In einen dunklen, kühlen Raum, in dem ich mich ein wenig erholen konnte. Jede Zelle meines Körpers wollte ein Portal erschaffen, das mich zu einem anderen Portal brachte, das mich wiederum nach Schottland führte. Meinem Körper ging es grauenhaft und es war zwecklos, mir etwas anderes einreden zu wollen.

Ich biss mir auf die Unterlippe und begann zu zittern. Vielleicht lag die plötzliche Übelkeit auch daran, dass ich Collin gesehen hatte, Chase' Bruder. Er hatte uns damals geholfen, den Mord an Trish's Mutter einem Unbekannten zuzuschieben, um Trish zu schützen. Obwohl er mich vorhin von meiner Position aus unmöglich hatte sehen können, war es für mich gewesen, als hätte ich einen Geist gesehen.

Er und Chase lagen exakt zwölf Monate auseinander und hätten als zweieiige Zwillinge durchgehen können. Die große, muskulöse Statur, die blonden Haare, das kantige Gesicht. Als ich ihn gesehen hatte, hatte er sich gerade mit Aidan und Trish unterhalten. Aidan hatte nicht unbedingt glücklich ausgesehen, aber das fand ich nicht weiter verwunderlich, denn Collin hatte genauso eine große Klappe wie Chase. Ein paar Meter weiter hatte ich noch einen Kober entdeckt, zumindest hatte der große, blonde Mann Ähnlichkeiten mit Chase gehabt. Die ganze verdammte Verwandtschaft von ihm schien blond, groß und gutaussehend zu sein. Daraus hatte ich geschlossen, dass die Frau neben Collin, die ein Kind auf dem Arm gehalten hatte, Chase ältere Schwester gewesen war. Meghan.

Ich biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. Ich wollte wirklich weg von hier. Das würde ich niemals durchstehen. Ich würde es nicht durchstehen, seine Geschwister hier zu sehen. Ich konnte meine Hochzeitsrede nicht halten, mit dem Wissen, dass die drei da waren. Sie mussten mich hassen. Ich hatte Chase in diese ganze Sache überhaupt erst hineingezogen. Sie hatten ihren kleinen Bruder meinetwegen verloren.

Ich ließ den Kopf hängen.

Reiß dich zusammen! Ohne es so recht kontrollieren zu können, verpasste ich mir selbst eine schallende Ohrfeige. Reiß dich verdammt noch mal zusammen. Du musst das jetzt durchziehen. Für Chase. Komm schon, Bevy, du schaffst das.

Also atmete ich tief durch, kniff mir in die ungeohrfeigte, fahle Backe, tupfte mir die Tränen von Gesicht, trug frische Mascara auf und puderte meine Haut ab.

„Du schaffst das", versicherte ich meinem Spiegelbild noch einmal. „Nur ein paar Stunden. Nur bis zu den Hochzeitsreden. Danach kannst du gehen. Abgemacht?" Ich sah mir so lange fest in die Augen, bis ich mir glaubte, stopfte meinen ganzen Kram wieder in die kleine Tasche mit dem silbernen, langen Kettchen und verließ das Badezimmer.

Dark Minds (Band 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt