Kapitel 4 - Das Fenster

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Ich hörte mich selbst schreien. Meine eigene Stimme riss mich aus dem Schlaf. Ich setzte mich sprunghaft auf und keuchte wie verrückt. Schlug die Decke auf und lief ungebändigt die Treppen herunter. Der Luftzug ließ meine Tränen auf den Wangen bis zu meinen Ohren rollen. Schniefend lief ich zu unserer Kücheninsel und ließ mich auf einen Hocker nieder. Wir hatten eine Wohnküche und zu spät merkte ich, wie sich jemand auf der Couch wälzte. Mit zusammengekniffenen Augen identifizierte ich Léon, auf dem eine Decke lag.

"Léon?! Was machst du hier?!"

"Schlafen. Zumindest bis jetzt grad", flüsterte er und sah benebelt aus. Ich muss ihn aufgeweckt haben.

"Aber warum hier?!"

"Keine Ahnung. Wurde zu spät schätze ich."

"Scheiße, ich will deine Hilfe nicht", ich sprang hinunter, aber da kam er schon angerannt.

"Warum willst du dich nicht kurz setzen?"

"Und wieso?"

"Weil dich dein aller bester Freund aka heißer Cousin darum bittet?" Selbst in seinem Halbschlaf, mit halbgeöffneten Augen und zerzausten Haaren hatte dieser Mann ein Lächeln parat. Widerwillig plumpste ich auf die Couch. Er setzte sich neben mich und drehte meine Knie zu sich, sodass wir uns im Schneidersitz gegenüber saßen.

"Du hast mir gesagt, dass das Baby von deinem Entführer ist. Andrès Mancini, oder? Weißt du, das ist mir egal. Das heißt noch lange nichts."

Ich sah ihn mit großen Augen an.

"Wie ich bereits sagte. Ich glaube dir und alles was von dir kommt. Dass das Baby von ihm ist, ist nur ein Fakt. Wer weiß wie viel Geschichte dahinter steckt."

Kurz überlegte ich. Dann blickte ich ihn entschlossen an.

"Hast du Zeit?", flüsterte ich.

"Warte."

Er stand auf und schloss die Wohnzimmertür. Verschwand hinter der Insel.

"Was machst du denn jetzt schon wieder?"

Er holte eine Packung Popcorn heraus.

"Nicht dein Ernst, oder?"

"Ich esse nur, wenn du mit isst. Und du solltest wissen, ich habe extrem Bock darauf. Fühl dich nicht schlecht."

Er kam zurück und öffnete die Verpackung. Bot mir die Popcorns an. Ich schüttelte den Kopf. Er zog den Arm aber nicht zurück. Belastend atmete ich aus und griff hinein. Ich kaute genüsslich und hatte ganz den Geschmack vergessen. 

Er griff in die Packung und befüllte seinen Mund mit so viel Popcorn, das keine Lücke mehr in seinem Mund frei war.

"Bereit, Léon?"

"Mereit."

"Also. Ich bin mit Zara dahin. Diese Geschichte kennen ja bereits alle. Und....wir waren in Sizilien auf dieser Familienparty. Von den Mafiosen. Ausversehen. Es gab an dem Tag Verhandlungen und Deals, die abgeschlossen wurden. Zara und ich haben Andrès gesehen. Er ist der Kopf der Mafiosen, ihr Pate. Ein junger Mann, so Ende zwanzig. Er hatte eine Frau, die schwanger war. Man erschoss sie, weil Andrès Feinde hatte. Seit jeher hat er dicht gemacht, obwohl die Familien Nachwuchs verlangten. Besonders wenn man der Kopf ist. Mitten auf der Feier hat er mich dann auserwählt, um seine Familie sozusagen Ruhe zu geben. Zara war dann...überflüssig. Die hätten uns allenfalls beide abgeknallt."

"Die?"

"La Famiglia. Andrès ist grundsätzlich kein Killer. Auf jeden Fall hat man mich dann in sein Anwesen verschleppt. Ich sollte die neue Freundin spielen. Er wollte von mir aber nichts wissen. Er war angsteinflößend, mächtig und kaltherzig. Dachte ich. Léon, er hat diese Augen. Die einen sofort in den Bann ziehen. Die einen durchbohren. Die einen jede Konzentration rauben."

Léon hörte auf zu kauen und hörte mir gebannt zu.

"Aber irgendwie lernten wir uns immer mehr kennen und...daraus entwickelte sich schließlich etwas. Andrès einzige Bedingung war, dass ich nicht gehe. Scheiße, er hat mir sogar die Wahl gegeben."

"Oh nein. Bitte nicht. Sag nicht, dass-"

"Ja. Ich habe mich entschieden zu bleiben."

"Und dann hat meine Tante einen Herzinfarkt bekommen und wenn ich eins und eins zusammen zähle, dann macht das alles Sinn."

"Das Problem ist nur", ich hielt meine Tränen zurück, "dass ich geflohen bin. Weil ich bis heute so sicher bin, dass er mich trotz eines Herzinfarktes nie hierher gelassen hätte. Und deswegen...hat er sich...er hat sich erhängt..."

"Hat er dich so sehr geliebt?"

"Nicht nur das, er war besessen."

"Aber warte. Du hast das mit der Schwangerschaft doch erst hier erfahren, oder? Das heißt....Heißt das, er wusste von der Schwangerschaft nichts?"

Meine Augen waren glasig, nur langsam sammelten sich Tränen an, "Nein. Das weiß er nicht. Verstehst du? Er wird es nie wissen."

"Mia, beantworte mir eine Frage. War er gut zu dir?"

"Oh verdammt, ja! Und wie er es war. Er hat mich so sehr geliebt und das tue ich auch. Ich liebe ihn. Das werde ich immer."

"Einfach unglaublich. Man sagt Liebe hat keine Grenzen. Ihr seid das lebende Beispiel."

Ich ging mir mit der Hand durch die Nase. Als mein Blick auf das Fenster fiel. Alles in mir zog sich zusammen und ich fiel beinahe aus der Couch, als ich versuchte aufzuspringen.

"Léon!", kreischte ich und schmetterte dann die Handinnenfläche vor dem Mund. Er sprang direkt mit auf und verdeckte mir meine Sicht. Ich schubste ihn weg und sah mit Todesangst zum Fenster.

"Was ist?! Was ist los?!"

"Ich dachte....dachte ich hätte da jemanden gesehen. Oh Gott, das war so gruselig. Wie ein Mann, der am Fenster klebte."

"Du brauchst Schlaf süße Mia."

"Schwangerschaftshormone. Ganz sicher", beruhigte ich mich selbst und fasste mir zum Herzen, während meine Augen immer noch am Fenster ruhten.

Was denkt ihr? Dreht sie durch und bildet sich das ein, oder ist da an der Sache wirklich was dran?

If You Love Me Stay With Me [ABGESCHLOSSEN]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt