Kapitel 29

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Nach einer halben Stunde stand ich mit zittrigen Knien vor Chris' Wohnungstür. Mein Kopf sagte mir, ich sollte schnell wieder umdrehen und abhauen, doch mein Herz war restlos davon überzeugt, dass ich mit Chris reden musste.

Ehe ich noch über meine Bedenken nachdenken konnte, wurde die Wohnungstür vor mir jedoch schon mit einer schnellen Bewegung aufgerissen. Ein übermüdeter Chris stand vor mir. Seine Augenringe waren dunkel, seine glasigen Augen gerötet. Es sah fast so aus, als hätte er geweint. Und hätte ich es nicht besser gewusst, dann hätte ich auch genau das vermutet. Doch Chris weinte nicht, sondern betäubte viel lieber jeglichen Schmerz mit Alkohol. Das machte mich ungeheuer wütend und wirbelte meine Gefühle mal wieder vollkommen durcheinander.

„Wir haben alles geklärt." Chris sah mich kühl an. Wieso konnte er andere Menschen nur so gut abweisen?

Mir blieben die Worte im Hals stecken. Alles, was ich sagen wollte, war in diesem Augenblick so unerreichbar für mich, wie das andere Ende der Welt. Ich spürte das Brennen in meinem Körper und diese unerträglichen Schmerzen in meiner linken Brust. Das Verlangen nach einer einfachen Umarmung von Chris oder einem simplen Lächeln stieg stetig.

„Eigentlich haben wir gar nichts geklärt. Du hast mich nur abgewiesen und für dich entschieden, dass wir beide uns aus dem Weg gehen sollten", sagte ich mit erstickender Stimme. Ich hörte mich so schrecklich verletzlich an.

„Bitte?" Chris fuhr sich durch seine Haare. „Du hast dich in dem Moment entschieden, als du nicht aufgetaucht bist."

Ich atmete unregelmäßig. „Ich bin doch da gewesen!" Diese Verteidigungshaltung war nicht sonderlich hilfreich. Und entrüstet oder wütend zu sein auch nicht. Doch mein Körper machte mit mir, was er wollte.

„Ich bin sogar zu dir in die Kneipe gegangen!", schob ich nach.

Ja, nachdem ich stundenlang auf dich gewartet habe." Chris sah mich spöttisch an. Es versetzte mir einen weiteren Schlag, wie locker Chris all dies hinzunehmen schien. Er tat, als interessierte er sich kein bisschen für uns ... für mich.

„Pass auf. Die Zeit mit dir war nett. Aber ich warte nicht. Auf niemanden, niemals. Und ich spiele nicht die zweite Geige nach deinem tollen Freund Liam, mit dem du anscheinend noch nicht abgeschlossen hast." Chris machte Anstalten, mir die Tür vor der Nase zuzuknallen. Aus unerfindlichen Gründen tat er dies allerdings nicht. Er hielt augenblicklich inne und schaute zu Boden.

Ich schluckte schwer. Tränen sammelten sich in meinen Augen, während ich krampfhaft versuchte, an etwas anderes zu denken.

Chris machte einen Schritt zur Seite, woraufhin ein Scheppern ertönte. Glasflaschen rollten über den Boden und als die Wohnungstür zufällig ein wenig weiter aufschwang, sah ich erst, in was für einem Dreck er momentan lebte. Sein Küchentisch war überlagert mit alten Pizzakartons und eine angebrochene Schachtel Zigaretten lag auf der Küchentheke.

„Wegen dir habe ich mit Liam Schluss gemacht! Ich wollte außerdem gar nicht mit ihm schlafen!", erklärte ich wutentbrannt. „Nicht, dass es dich überhaupt etwas anginge, aber wenn ich diese eine Sache mit jemandem hätte erleben wollen, dann wäre das mit dir gewesen." Mit Mühe hielt ich die Tränen zurück. Ich musste mich versuchen zusammenzureißen. Ein letztes Mal noch.

Verletzt sah ich Chris an. „Ich habe es wirklich mit Liam versucht. Aber egal, was ich getan habe, du warst immer der einzige, bei dem ich jemals Herzklopfen und weiche Knie bekommen habe. Für dich bin ich während der Zeugnisvergabe hierhergelaufen." Ich schluckte bitter. „Und das alles nur, um herauszufinden, was du doch eigentlich für ein Arschloch bist! Alle hatten recht, als sie mich verwirrt angesehen oder vor dir gewarnt haben. Du bist ein Eisklotz, Chris Harper."

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