3 | Ihre Lieblingsfarbe ist türkis.

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25.04.2002

Liebe Leni,

ich wünschte du könntest sie sehen.
Würdest du dich auch in sie verlieben? Wahrscheinlich nicht.
Sie ist zwar wunderschön, das sieht jeder, aber dieses gewisse Etwas, was ich in ihr sehe, sieht nicht jeder, da bin ich mir sicher.
Sonst wäre ja jeder verliebt in sie.

Sie ist so schön.
Sowohl von außen, als auch von innen.
Ich weiß nichtmal, ob sie selber eigentlich weiß wie wundervoll sie ist, und was sie für eine Wirkung auf Menschen hat.
Ich wünschte ich könnte ihr das sagen, aber das kann ich nicht, ohne dass es seltsam rüberkommen würde.
Schließlich ist sie so viele Jahre älter, und meine Lehrerin.

Das Komische ist, ich weiß eigentlich nichts von ihr.
Weder ihr Alter, ob sie einen Freund oder eine Freundin hat, gar nichts.
Und trotzdem bin ich ihr so verfallen, denke an sie, träume von ihr.
Tag für Tag, Nacht für Nacht ist sie die einzige Person in meinen Gedanken und Träumen.

Heute hat sie uns jedoch etwas über sich verraten, sie hat es nur am Rande erwähnt, aber mich hat es trotzdem total glücklich gemacht.
Ihre Lieblingsfarbe ist türkis.

In Liebe,
Elisa

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Nachdenklich strich ich über das Papier.
Ich konnte mich sogar noch an den Tag erinnern, als sie ganz beiläufig ihre Lieblingsfarbe erwähnte.
Den ganzen Tag schwirrte der Satz durch meinen Kopf, und brachte mich zum lächeln.

Plötzlich fielen mir Dinge auf, die mir vorher nie aufgefallen sind.
Die türkisen Fensterläden an dem Haus auf der linken Seite neben dem Bäcker. Obwohl ich jeden Tag auf dem Weg zur Schule mit dem Rad daran vorbeifuhr, waren sie mir nie aufgefallen.
Oder der türkise Kugelschreiber in meinem Mäppchen, den ich ab sofort zu meinem Lieblingskulli ernannte.
Das Mädchen, dessen Fahrrad eine türkise Klingel hatte, oder der Cupcake mit der türkisen Glasur, der beim Bäcker in der Verkaufstheke lag.
All diese Kleinigkeiten fielen mir erst jetzt auf.

"Wo bist du nur immer mit deinen Gedanken?", hatte meine Mutter mich kopfschüttelnd beim Abendessen gefragt, als ich den Satz zum gefühlt tausendsten Mal durch meinen Kopf wandern ließ.

Nach dem Abendessen war ich in mein Zimmer gegangen, um dort mit meinem neuen Lieblingskugelschreiber einen Brief an Leni zu schreiben.

Der Tag war jetzt schon 16 Jahre her, trotzdem konnte ich mich noch bildlich an ihn erinnern, als wäre es gestern gewesen.
Manchmal wunderte es mich, wie detailliert ich mich an gewisse Dinge erinnern konnte, andere Sachen hingegen vergaß ich immer wieder. Wo ich meine Schlüssel hinlegte, zum Beispiel. Oder die Einkaufsliste, die ich fast jedes Mal auf dem Küchentisch liegen ließ, wenn ich einkaufen ging.

Kopfschüttelnd über mich selber griff ich nach dem nächsten Brief, welcher das Datum vom 03.05.2002 trug.

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03.05.2002

Liebe Leni,

mein Herz tut mir weh.
Sie ist alles für mich, aber für sie bin ich nur eine von vielen.

Sie ist meine komplette Welt, doch ich bin nur das stille Mädchen aus der letzten Reihe, die Außenseiterin.

Ich bin so unglaublich gerne in ihrer Nähe, weil sie eine so gewaltige Ausstrahlung hat, dass man sich einfach wohlfühlen muss.
Aber gleichzeitig tut es irgendwie auch weh, in ihrer Nähe zu sein.
Weil es mich daran erinnert, wie anders ihre Welt doch aussieht.
Weil ich sie sehe, sie mich aber nicht. Zumindest nicht auf die Art und Weise, auf die ich sie sehe.
Weil sie niemals das in mir sehen wird, was ich in ihr sehe.
Weil wir niemals zusammen sein könnten.

Ich wünschte ich hätte auch nur ansatzweise eine richtige Chance bei ihr, aber dass das unrealistisch ist, brauche ich ja wohl kaum zu erwähnen.

Ich wünschte, ich könnte mit ihr reden, außerhalb des Unterrichts. Schon die kleinste Unterhaltung mit ihr würde mir die Welt bedeutet.

Ich wünschte, ich könnte mehr von ihr erfahren, Zeit mit ihr verbringen, ihr Nahe sein.

So viele Dinge, von denen ich wünschte dass sie passieren würden.

Trotzdem hatte ich heute ein etwas komische "Begegnung" (naja es war keine richtige Begegnung aber egal) mit ihr.

In der Pause habe ich mit Luc - einem Jungen aus der Parallelklasse - geredet.
Sein bester Freund ist in Mary verliebt, also das hat er mir zwar nicht so gesagt, aber indirekt hat er mich ein bisschen über sie ausgefragt.
Wir standen ein bisschen abseits von den anderen, haben geredet, und Corinna hatte Aufsicht auf dem Schulhof.
Sie hat fast die ganze Pause lang in unsere Richtung gestarrt, ich weiß das hat eigentlich nichts zu bedeuten, aber sie hat mich die ganze Zeit angesehen.
In ihrem Gesicht konnte man keinerlei Emotionen ablesen, ich habe nur gespürt, wie ihr Blick die ganze Zeit auf uns ruhte.
Irgendwann wurde mir ganz schwindelig von ihrem Blick, und auf Luc konnte ich mich auch kaum noch konzentrieren.

Dann war die Pause aber auch zuende, und ich hab mich vorsichtig getraut in ihre Richtung zu sehen, aber sie stand nicht mehr da.
Ich hab nur ihren dunklen Haarschopf gesehen, der gerade im Schulgebäude verschwand.

Naja, das war meine kleine, und etwas sonderbare Begegnung mit Corinna heute. Genau genommen war es zwar keine Begegnung, aber egal, du weißt was ich meine.

Ich frage mich, wieso sie die ganze Zeit in unsere Richtung gestarrt hat. Hatte ich vielleicht einen riesigen Fleck auf meinem Shirt? Oder hat sie mich vielleicht gar nicht angesehen, und ich habe mir das nur eingebildet? Ich weiß es nicht mehr.

Jetzt ist es schon ziemlich spät, ich denke ich sollte so langsam schlafen gehen.

In Liebe,
Elisa

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Briefe an Leni | {txs, gxg} (completed)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt