Kapitel 55.2 - Lucius

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Kapitel 55.2 - Lucius

Belustigt verzogen sich meine Lippen zu einem schmalen Lächeln. Hatte dieser merkwürdige Mutant etwa Angst vor dem Autofahren? Ich drehte mich nicht nach hinten um, sondern hielt meinen Blick nach vorne gerichtet. Sonst würde ich nur sie sehen. Und das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich wusste nicht, wie ich sie nennen sollte. Freya oder 93? Es machte mich fertig. Vollkommen fertig. Ich wusste nicht wie ich mit ihr umgehen sollte. Verdammt, ich wusste noch nicht einmal wirklich, wer sie war! „Das ist nicht lustig!", riss der Ruf des Mutanten, der anscheinend auf den Namen Kieran hörte, mich aus meinen Gedanken. Der konnte auch übertreiben. So übel fuhr Levi nun wirklich nicht. Levi mochte nun einmal halsbrecherische Fahrten.

„Wechselt den Fahrer!", schrie Kieran nun wieder los. „Wechselt den Fahrer, verdammt!" Dieser Mutant nervte. Konnte der nicht einmal seine blöde Klappe halten? Ich musste mich wirklich beherrschen, um ihm nicht mit irgendetwas den Mund zu stopfen, damit er keinen Ton mehr von sich gab.

„Schnauze!", fuhr ich ihn an. Wenigstens das konnte ich tun, auch wenn es bei dieser Nervensäge wohl nicht viel brachte. Ich spürte Kierans bösen Blick auf mir. Sollte er doch weiterhin böse starren. Solange er ruhig war, machte es mir nichts aus. Außerdem blieb dieser lästige Mutant nun wirklich ruhig. Die Frage war bloß, für wie lange noch? „Man gewöhnt sich daran.", versicherte James Kieran. „Irgendwann findest du Levis Fahrstil nicht mehr so schlimm." Wieso versuchte James es überhaupt, den Mutanten zu beruhigen? Weshalb war er so nett zu ihnen? Es waren immer noch Mutationen. Es waren keine Menschen. Eigentlich hatte das auch James verstanden. „Man gewöhnt sich daran!", äffte Kieran James nun verbissen nach. „Ja klar!" Ich rollte genervt mit meinen Augen. Und schon redete er wieder. Wieso konnten wir den nicht einfach im Wald lassen? Und den anderen auch? Ich stockte. Dann wäre Freya ja alleine unter uns. Und die anderen würden an mir zweifeln und denken, dass ich sie bei uns haben würde, weil sie meiner Schwester ähnelte. Aber sie war nicht Freya! Das konnte nicht sein.

„Was hast du denn auf einmal?", ertönte Freyas Stimme. Sie klang belustigt. Halt! Stopp! Sie war nicht Freya. Wieso also nannte ich sie so?

„Wenn du schon einmal bei einem Autounfall dabei warst, dann würdest du es wissen!", zischte Kieran und wandte sich dann an Levi. „Und jetzt fahr verdammt noch mal vorsichtiger!" Autounfall? Ich spürte wie Mitleid in mir aufkam, doch sobald ich es bemerkte, unterdrückte ich es auch wieder. Ich war ein Jäger! Ich sollte kein Mitleid mit einer Mutation haben! Zu meinem Ärger bemerkte ich, dass Levi nun tatsächlich vorsichtiger fuhr und auch die Geschwindigkeit verringerte.

„Tut mir leid.", vernahm ich nun wieder die Stimme von 93. Niemand redete. Eine düstere Stimmung legte sich über uns. Es war ätzend. Wirklich ätzend. Wie sollte ich das nur aushalten bis wir bei den Laboren waren? Ich wusste nicht einmal wie lange wir bis dorthin brauchten. Die Labore. Niemand von meinen Jägern hatte meine Entscheidung dorthin zu fahren in Frage gestellt. Wofür ich ihnen auch wirklich dankbar war. Was auch immer die Mutationen auf dem Rücksitz darüber denken mochten, was immer sie sich vorstellten, weshalb ich dorthin wollte. Sie lagen falsch. Ich brauchte Informationen. Ich brauchte einfach Gewissheit. Plötzlich reichte Jo drei Brötchen nach vorne. Eines für Levi, eines für Brenda und eines für mich. Es wunderte mich, dass Jo Brenda nicht mit dem Brötchen abwarf. Ich hätte es ihr zugetraut. „Hier. Zum Frühstück.", sagte sie, als sie auch den Mutationen jeweils ein Brötchen reichte. Ich zog bei Jos Ton meine Augenbrauen zusammen. Jo klang überhaupt nicht hasserfüllt, gemein oder abschätzend. Sie klang doch tatsächlich nett. Ich starrte weiterhin aus dem Fenster. Zwang mich dazu mich nicht nach hinten umzudrehen. Wieso glaubten Mikéle, James und anscheinend nun auch Jo, dass diese 93 wirklich Freya sein konnte? Freya war tot. Das hatte mir eine Ambrosia-Wissenschaftlerin selbst gesagt. Damals, als Freya verschwand hatte ich sie gesucht. Selbst dann noch, als unsere Eltern bereits aufgegeben hatten. Ich glaube, ich war in der vierten Klasse gewesen, als ich auf die Wissenschaftlerin traf. Ich erinnerte mich noch gut an ihre Worte. Sie hatte mich mitleidig angelächelt und mir gesagt, ich solle mit meiner Suche aufhören. Sie sagte, dass eine Mutation ausgebrochen war und Freya getötet hatte. Einfach, weil sie in diesem Moment da war. Natürlich hatte ich gedacht, die Wissenschaftlerin erzählte mir irgendeine Scheiße. Mutanten? Die war doch nicht ganz sauber! Doch dann, ein paar Jahre später, ich glaubte, ich war zwölf, da kamen sie. Mutationen. Sie waren überall. Alles noch Kinder. Im Labor gezüchtete Kinder. Und von da an glaubte ich dem, was mir die Frau erzählt hatte. Und ich schwor mir eines: Rache zu nehmen.

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt