Kapitel 44.2 Lucius

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Kapitel 44.2 Lucius

Das schleifende Geräusch, während ich die Klinge meines Messers schärfte zerschnitt die schwere Stille. Ich saß vor meinem Zelt, das wir wie alle unsere Zelte mit Blättern und Ästen verkleidet hatten, damit wir noch weniger auffielen, als wir es ohnehin taten. Brenda war noch immer nicht zurück. Dabei hatte sie doch bloß einen einzigen, einfachen Auftrag. Seit ein paar Tagen schon war sie vollkommen neben der Spur. Jo hatte Angst, dass sie jeden noch so kleinen Auftrag vermasseln würde, den wir ihr gaben. Jo mochte Brenda von Anfang an nicht. Jo hatte nicht gerne Konkurrenz. Das war mir schon mehrmals aufgefallen. Ich verdrehte meine Augen. Lächerlich. Wir waren ein Team. Wir hatten nur uns. Waren auf uns gestellt. Immer auf der Flucht vor der Regierung. Hinzu kamen noch die verdammten Mutationen, die uns manchmal dazu brachten, nachts kein Auge zu schließen. Ich hasste Mutationen. Das taten wir alle hier. Sonst wären wir schließlich keine Jäger. Doch am schlimmsten waren die Mutationen, die beschlossen hatten, zu rebellieren. Sie kämpften weder für die Regierung im Krieg, noch ließen sie sich von Menschen wie Sklaven behalten. Sie machten Jagd auf die Jäger. Ein, zwei mal schon sind wir auf eine von ihren Gruppen gestoßen. Als hätten wir nicht schon genug Probleme. Aber nein, dann mussten ja auch noch plötzlich ein paar rebellische Mutanten auftauchen! Ich verkniff mir ein angewidertes Schnauben und schliff weiterhin meine Klinge.

„Brenda braucht ziemlich lange.", bemerkte James, mein bester Freund. Er hatte immer zu mir gestanden. Selbst in schlechten Zeiten. Und dafür war ich ihm unglaublich dankbar. Selbst damals hatte er sich nicht von mir abgewandt, als sie verschwand. Allerdings hatte James recht. Brenda brauchte seit ein paar Tagen ziemlich lange. Manchmal verschwand sie für einige Stunden und keiner von uns wusste, wo sie hin ging. Ich musste das im Auge behalten. Wer wusste, was sie anstellte. Und ich hatte die Verantwortung über sie alle. Ich konnte es mir nicht leisten, würde Brenda etwas tun, das uns verraten würde. Jo, die Brenda einmal heimlich gefolgt war meinte, dass Brenda sich mit jemandem traf, den Jo aber nicht genau erkennen konnte, da sie sich in einem Busch versteckt hatte und die Blätter mehr als die Hälfte ihres Sichtfeldes eingenommen hatten. Sie meinte, dass Brenda einen Freund hätte. Ich seufzte. Brenda konnte sich keinen Freund leisten, wenn sie weiterhin zu den Jägern gehören wollte. Wir würden bald weiter ziehen. Nur wegen ihr waren wir noch hier. Ginge es nur nach mir, wären wir schon längst woanders. Doch leider hatten die anderen auch noch ein Wörtchen mitzureden. Mikéle setzte sich neben mich, sah mir schweigend dabei zu, wie ich mein Messer schärfte. „Jemand hat die Einstellungen verändert.", informierte er mich. „Seit kurzem ist das Gerät deaktiviert. Du weißt, welches, oder?" Er warf mir einen Blick zu, der bedeutete „habe-ich-dir-doch-gesagt". Ich stöhnte auf und ließ mein Messer sinken. „Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass du denkst, dass Brenda etwas damit zu tun hat?", fragte ich skeptisch.

Mikéle runzelte seine Stirn. „Doch. Ich denke, genau das will ich." Dann sah er mich ernst an und ich bemerkte die Wut in seiner Stimme. „Sag mir nicht, dass dir das noch nicht aufgefallen ist! Natürlich war es Brenda, die die Einstellungen verändert hat! Wer soll es denn bitte sonst gewesen sein?!" Mikéle war aufgesprungen und funkelte mich zornig an. „Die ist verknallt, verdammt! Jo hat es doch gesagt! Und Brenda würde alles für ihn tun!" Er deutete energisch auf das fußballgroße, quadratische Gerät, das neben dem Zelt von Jo und Brenda stand. „Und das hat sie bereits!" Ich erhob mich.

„Na und? Wir wissen doch nun, dass es zwei reptilienartige Mutationen im Golden Quarter gibt! Mehr wollten wir nicht wissen.", sagte ich trocken. Ich schluckte die aufkommende Wut hinunter. Es war nicht der richtige Zeitpunkt um wütend zu werden. Jo verdrehte ihre Augen, als sie zu uns sah und widmete sich wieder ihren Pistolen, die sie mit Munition füllte. James hackte weiterhin Holz, damit wir diese Nacht noch Feuer machen konnten. Und danach würden wir hoffentlich endlich weiterziehen können! Levi ignorierte uns alle und sortierte weiterhin schweigend seine Messer. Plötzlich vernahm ich, wie jemand durch den Wald rannte. Äste knackten, Blätter raschelten. Sofort spannten ich mich an. „Los! Worauf wartet ihr?!", rief ich meinen Befehl und griff nach der Pistole, die neben mir lag. Sofort schnappten sich alle die erst besten Waffen, die sie greifen konnten und positionierten sich. Still warteten wir ab. Die hektischen Schritte näherten sich und plötzlich brach Brenda durch das Gebüsch. Mikéle stöhnte genervt auf. „Ist das dein verdammter Ernst, Bren?", zischte er. „Was ist dein Problem?!" Doch Brenda ignorierte Mikéle. Sie kam sofort auf mich zu gehastet. James zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Was ist denn mit dir los?"

Freya Winter - MutantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt