Als ich am nächsten Tag aufwache, bin ich alleine im Zimmer. Es ist neun Uhr. Ich setze mich langsam auf und reibe mir die Augen, als langsam die Erlebnisse des letzten Tages in mein Bewusstsein treten und ich mir augenblicklich meinen friedlichen Schlaf zurückwünsche.
Aber sofort bildet sich wieder dieser Panzer um mich, der nichts an mich ran lässt. Als ich in den Spiegel schaue, bemerke ich, dass ich mit meiner Vermutung, dass ich aussehe wie ein Zombie, recht hatte. Meine Haare sind verstrubbelt, meine Lippe blutig, meine Gesicht ist blass und bildet den scharfen Kontrast zu den dunklen Ringen unter meinen Augen. Ich muss wirklich dringend etwas mit mir anstellen. Also gehe ich in mein Zimmer und schminke mich erst einmal mit Concealer, Wimperntusche und Rouge, damit ich nicht mehr so blass aussehe. Dann übe ich noch ein Lächeln aus, das so echt wie möglich aussieht und schwöre mir, dass das für den Rest des Tages mein Gesicht nicht mehr verlassen wird. Statt der Gammelklamotten ziehe ich mir trotz der Hitze eine lange Jeans und einen Pullover an, um meine blauen Flecke zu verdecken.
Ich sehe jetzt wenigstens annähernd wie ein Mensch aus, wenn man von dem Lächeln, das meine Augen nicht erreicht und dem glasigen Ausdruck von diesen absieht.
Ich gehe wieder zum Zimmer von Alex und lege mich in mein Bett. Es ist komisch, aber hier komme ich mir nicht ganz so einsam vor. Auch wenn ich hier genauso alleine bin wie in meinem Zimmer. Aber irgendwie fühle ich mich hier besser.
Ich liege wie eine Mumie auf seinem Bett und starre an die Decke. Doch als ich höre, dass die Tür aufgeht, setze ich mich schnell ein und setze das so gut eintrainierte Lächeln auf. Alex kommt mit einem Tablett ins Zimmer.
"Morgen, Prinzessin.", begrüßt er mich und lächelt. Dann mustert er mich noch einmal genauer und ich sehe, wie das Lächeln einem Ausdruck der Besorgnis schwindet. Ich ziehe meine Mundwinkel also noch ein Stück weiter hoch. Alex kommt langsam auf mich zu und setzt sich neben mich.
"Ich... habe dir Frühstück mitgebracht.", sagt er langsam.
"Ich habe keinen Hunger." Der erste Satz, den ich seit gestern Abend gesagt habe. Ich starre ausdruckslos auf meine Hände.
"Du solltest wirklich was essen, Emma.", sagt Alex mit weicher Stimme. Ich hebe meinen Kopf langsam, setze wieder das Zombielächeln auf und schaue ihn an.
"Wirklich, ich will... gerade nichts essen. Ich esse später was.", sage ich und versuche, so überzeugend wie möglich zu klingen. Mein Blick fällt auf das Tablett, das er immer noch in seinen Händen hält. Er hat wahrscheinlich ziemlich lange auf die Köchin eingeredet, damit sie so etwas zubereitet, denn Rühreier und Pancakes gehören eindeutig nicht zum Standardfrühstück des Internats. Er wirkt fast schon ein bisschen traurig, als er das Tablett auf dem Nachttisch abstellt. Doch dann nimmt er mich in den Arm und drückt mich fest an seine Brust. Ich schlinge zögernd meine Arme um ihn, doch ich fühle nicht so wie sonst etwas bei dieser Umarmung. Ich bin immer noch der Zombie, nur dass man es mir vielleicht auf den ersten Blick nicht ansieht und außerdem arbeite ich wieder.
"Wir sind im Unterricht entschuldigt für die nächsten Tage.", sagt Alex. "Die Ärztin hat uns ein Attest geschrieben."
"Das ist nicht nötig.", sage ich mit monotoner Stimme. "Ich kann da wohl hingehen. Und du erst recht." Wir sitzen wieder nebeneinander und ich starre auf meine Hände, weil ich ihn nicht anschauen will.
"Das sollten wir nicht, Emma. Du brauchst Ruhe. Und ich bin für dich da.", sagt er leise.
"Ich brauche keine Ruhe!", sage ich und schaue auf. "Mir geht es gut, wirklich."
"Lüg nicht. Ich merke doch, dass es dir nicht gut geht... Dieses gestellte Lächeln und deine monotone Stimme - das bist nicht du. Es ist völlig verständlich, dass es dir scheiße geht und meinetwegen kann es dir noch Monate so gehen, aber dann tu nicht so, als kämst du damit klar!" Seine Stimme wird immer lauter und ich zucke immer wieder zusammen und vergrabe meine Hände in den Ärmeln meines Pullis und sehe ihn verschreckt an, doch dann wird sein Gesichtsausdruck wieder sanfter, genau wie seine Stimme. "Bitte, Emma, rede mit mir. Ich will nicht, dass du dich hinter dir selbst versteckst. Rede mit mir, weine oder schrei mich an, dass ich nicht da war! Aber bitte, mach irgendwas und leg diese Maske ab. Ich liebe dich doch."
Das ist der Punkt, an dem ich nicht mehr kann. Ich spüre, wie die Tränen über meine Wangen rollen und schließlich auf meine Jeans tropfen. Dann kuschele ich mich an Alex' Brust und schluchze laut. Er legt seine Arme um mich und streicht mir behutsam über den Kopf und ich weiß, dass er für mich da ist.
"Es tut so weh.", schluchze ich leise und meine damit nicht nur meine körperlichen Schmerzen. Ich weiß, dass Alex mich versteht.
"Ich kann mir wahrscheinlich nicht mal ansatzweise vorstellen, was du durchmachst. Aber es geht vorbei. Und ich bin für dich da.", flüstert er.
"Danke.", murmele ich in sein T-shirt. "Meinst du... meinst du, er wird es nochmal versuchen?"
Es ist kurz still. "Ich weiß es nicht. Aber ich verspreche dir, dass er es nicht noch einmal schaffen wird. Diesmal nicht."
"Ich habe Angst vor ihm.", flüstere ich.
"Das verstehe ich. Aber ich pass auf dich auf.", murmelt er in meine Haare. Ich schließe die Augen und atme seinen Duft ein. Ich bin froh, dass ich jemanden habe, der für mich da ist.
"Möchtest du jetzt was essen?", versucht Alex es erneut. Und auch wenn ich nicht wirklich Hunger habe, nicke ich und löse mich langsam von Alex. Er stellt das Tablett auf sein Bett und lehnt sich mit dem Rücken an die Wand.
"Ich glaube wirklich, dass die Schmerzen vorbei gehen.", sagt Alex. "Früher oder später. Du wirst daran denken, wenn du ihn siehst, aber dann hast du es überstanden."
"Das ist wohl die Hoffnung, die mir noch bleibt."
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Tanz mit mir
Teen FictionWARNUNG: Bei diesem wundervollen Exemplar handelt es sich um ein 0815 Buch voller Badboys, in denen kleine süße Mädchen am Ende doch die ganz, ganz große Liebe finden. Aber ich möchte niemanden vom Lesen abhalten, denn manchmal ist 0815 und butterwe...