Kapitel 4 - Verwirrung

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Jamie

Obwohl ich in der Nacht noch lange wach geblieben bin, wache ich früh auf. Viel zu früh, denn die Sonne scheint noch nicht einmal durch das Fenster hinein und draußen ist es noch dunkel. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es erst knapp sechs Uhr ist und ich deswegen noch viel Zeit habe, bis der Tag richtig für mich beginnt. Deshalb bleibe ich im Bett liegen, starre für einen kurzen Moment an die Decke und versuche, wieder einzuschlafen.

Doch jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, erscheint ein Zimmer vor meinem inneren Auge und mein Puls wird schneller und eine unerklärliche Panik macht sich in mir breit. Das Bild ist unklar und es enthält eigentlich auch nichts, was es zu einer Quelle der Angst machen sollte, doch trotzdem verspüre ich unmittelbar den Drang zu schreien. Ich erkenne das Zimmer nicht, es erscheint mir schwammig und gleichzeitig so bekannt, doch es taucht immer wieder in meinen Gedanken auf und lässt mich nicht los.

Das Klopfen an der Tür lässt mich schließlich aufschrecken. „Jamie, es gibt Frühstück", ertönt Larissas Stimmer vor der Tür. Verwundert richte ich mich auf und schüttle meinen Kopf, um den Nebel ein wenig aus meinen Gedanken zu vertreiben, doch wie gewohnt verschwindet er nicht komplett. Trotzdem kann es doch nicht bereits neun Uhr sein. Ein Blick auf die Uhr bestätigt mir, dass ich drei Stunden in Gedanken und im Halbschlaf verbracht habe. Die Tür öffnet sich mit einem leisen Quietschen und Larissa kommt mit einem kleinen Wagen voller Essen herein. Sie überreicht mir mein übliches Tablett und ich beginne langsam zu essen. Es fällt mir schwer, die Nahrung hinab zu würgen. Sie schmeckt wie Asche in meinem Mund, doch mir ist klar, dass ich essen muss. Denn sonst würde mir die Psychiatrie mir die Nahrung auf eine andere Art aufzwingen und diese Alternative ist weitaus schlimmer, als die erforderliche Menge hinunterzuwürgen.

Während ich wieder in meine Gedanken versinke, verlässt Larissa das Zimmer wieder und lässt mich in Ruhe essen, denn schließlich muss sie auch noch anderen Patienten ihr Essen vorbeibringen, welche ihre Zimmer ebenfalls nicht verlassen dürfen oder können. Ich kann nicht die Einzige sein, welche ihr Zimmer nicht verlässt. Obwohl ich die anderen Patienten noch nie gesehen habe, weiß ich, dass sie existieren, denn ich höre sie. Larissa versucht nicht, mit mir zu reden, denn sie scheint zu begreifen, dass ich nicht zuhöre und in meinen eigenen Gedanken versunken bin.

Nachdem ich fertig gegessen habe und mein Geschirr wieder abgeholt wurde, nimmt mich Larissa mit, damit ich ,mich sauber machen und duschen kann. Danach bin ich wieder eine Weile auf mich alleine gestellt, einzig der Nebel in meinen Gedanken ist mein ständiger Begleiter. Ich lese, doch mein Hirn kann sich nicht konzentrieren und meine Gedanken treiben davon. Ich bekomme noch eine Stunde Unterricht von Larissa, in der sie mir ein wenig Mathematik erklärt, doch obwohl ich auf einem rationalen Level merke, dass es faszinierend ist, kann ich mich nicht dazu bringen, mich dafür zu interessieren. Mein Blick schweift ab, meine Gedanken verschwimmen und meine Konzentration schwindet.

Ich höre zu, doch wirklich aufpassen, tue ich nicht. Ich lebe vor mich hin und lasse alles an mir vorbeiziehen, ohne je wirklich an meinem eigenen Leben teilzunehmen.

Es können Minuten oder auch Tage vergangen sein und schließlich werde ich dann auch schon wieder zur nächsten Therapiestunde gebracht, die den Sinn haben sollte, mein Leben zu verbessern. Doch sie tut es nicht. Der Nebel verschwindet nicht.

***

Ich befinde mich auf dem Weg von meiner Sitzung zurück zu meinem Zimmer. Larissa hat sich auf halben Weg verabschiedet, da sie mir vertraut hat, dass ich zurückgehe und sie selbst dringend zu einem weiteren Termin muss. Hier gibt es überall Kameras, durch welche ich ständig beobachtet werde, weshalb es fraglich ist, ob wirklich ich es bin, der sie vertraut. Ich habe nicht vor abzuhauen, schließlich würde ich nicht wirklich weit kommen und selbst wenn, wüsste ich nicht, wohin ich gehen sollte. Ich habe keinen anderen Rückzugsort als mein Zimmer hier. Der einzig andere wäre der Tod, aber der ist nicht sicher. Ich weiß nicht, wohin er führt. Deshalb bleibe ich, denn hier herrscht zumindest eine Klarheit, die ich sonst nicht erwarten kann.

Mate - Schreie ohne VernunftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt