Kapitel 3
In den nächsten Tagen drehte sich Theliels Leben nur noch um die Gespräche mit Lucian, der ihn auch mit Nahrung und heißem Wasser zum Waschen versorgte. Lucian lehnte immer in der gleichen, lässigen Haltung an den Gitterstäben, lachte und unterhielt sich mit Theliel, der jede Ablenkung begierig aufnahm.
Sie sprachen über alles, was ihnen in den Sinn kam oder worüber Theliel in den langen Stunden in der Dunkelheit nachgedacht hatte. Lucian gab nicht viel von sich preis, aber er schien sich hervorragend am Hofe und in der Hölle auszukennen, ohne sich viel mit Klatsch zu beschäftigen. Es war angenehm, ihm zuzuhören und in seiner Gesellschaft zu sein, war er doch die einzige Ablenkung hier unten.
Neun Tage nach ihrem ersten Treffen brachte Theliel erneut die Sprache auf den Höllenkönig Lucifer, den gefallenen Engel, den Größten Verräter. Er wollte mehr über den Besitzer dieses Palastes herausfinden, von dem durchaus sein Leben abhängen konnte. Lucian wich dem Thema zuerst aus, doch als Theliel hartnäckig blieb, erklärte er sich bereit, auch diese Fragen zu beantworten.
„Ist Lucifer im Moment im Palast?", wollte Theliel wissen und lehnte sich einen halben Meter von Lucian entfernt gegen die Stäbe.
„Ich denke schon", antwortete der Dämon mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. „Er verbringt die meiste Zeit hier oder in der Menschenwelt auf der Jagd nach Seelen."
Theliel schluckte unbehaglich.
„Seelen?"
Natürlich wusste er, dass Dämonen sich von Menschenseelen ernährten, die sie den Engeln abjagten, aber bisher war diese Vorstellung für ihn abstrakt gewesen. Vorsichtig musterte er Lucian, der nur grinste.
„Frisst du auch Seelen?", wollte der Engel unangenehm berührt wissen.
Lucian nickte, ohne zu zögern.
„Es gibt nichts berauschenderes als die Jagd", gab er freimütig zu. „Den Kitzel des Tötens, den Geschmack des Blutes und schließlich eine Menschenseele als Ergebnis der Anstrengungen..."
Seine violetten Augen begannen, rot zu glühen, und Theliel wich unwillkürlich zurück, als aus Lucians schlanken Fingern gefährliche Krallen wuchsen, die sich um die Stäbe legten. Er merkte selbst, wie erschrocken Theliel reagierte, und wandte sich hastig ab, bis seine Finger und Augen wieder normal aussahen.
„Sorry, ich wollte nicht..."
Er verstummte und schüttelte seufzend den Kopf.
„Kennst du Lucifer?", fuhr Theliel mit seiner Fragerei fort, um das Thema zu wechseln und noch etwas mehr zu erfahren, was ihm helfen konnte. „Bist du ihm schon begegnet?"
Der Dämon grinste nur und deutete ein Nicken an.
„Hat er dich nicht verletzt?", wollte Theliel weiter wissen. Im Himmel erzählte man sich Geschichten über die Grausamkeit des Höllenkönigs, der angeblich jeden Engel tötete, dem er auf der Erde begegnete, seine Untergebenen misshandelte und seine Herrschaft auf Angst baute. Er wollte diesem Mann nicht wirklich begegnen, aber da es vermutlich noch dazu kommen würde, wollte er zumindest so viel wie möglich über ihn in Erfahrung bringen.
„Doch", antwortete Lucian leise und begann nach kurzem Zögern, die Ärmel seines schwarzen Hemds hoch zu rollen. „Sogar ziemlich oft."
Theliel trat näher, um die dargebotenen Arme zu begutachten. Über Lucians Unterarme zogen sich dutzende mehr oder minder verblasste Narben, die von schweren, schmerzhaften Verletzungen zeugten. Für einen Moment fragte sich Theliel, wie der Höllenkönig ihn verletzt haben musste, um solche Narben zu hinterlassen, aber da Lucian es nicht selbst erklärte, hakte er nicht weiter nach. Seufzend zog der Dämon die Ärmel wieder über die Narben.
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LUCIFER - The Fallen Angel
Fantasy[ABGESCHLOSSEN] Der junge Engel Theliel gerät versehentlich in den bereits Jahrtausende andauernden Konflikt von Engel und Dämonen - und wird kurzerhand in die Hölle entführt, wo er dem Höllenkönig und gefallenen Engel Lucifer als "Geschenk" dargebo...