✧ 𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘦𝘭 𝘏𝘶𝘯𝘥𝘦𝘳𝘵𝘥𝘳𝘦𝘪𝘶𝘯𝘥𝘧𝘶𝘦𝘯𝘧𝘻𝘪𝘨 ✧

53 6 0
                                    

POINT OF VIEW
JULIAN BRANDT

Die Nacht hatte sich bereits tief in meinen Kopf gebrannt – die Blicke, die Berührungen, die Momente, die nicht hätten sein dürfen. Als Kai und ich schließlich gemeinsam nach draußen gingen, weg von der dröhnenden Musik und den neugierigen Blicken der anderen, fühlte ich mich wie in einem Fiebertraum. Es war nicht klug, das wusste ich, aber ich konnte nicht anders, als ihm zu folgen.

Die kühle Nachtluft traf meine erhitzte Haut, als wir auf die Terrasse traten. Es war stiller hier, abgesehen vom gelegentlichen Rauschen des Windes und den gedämpften Stimmen aus dem Saal. Ich atmete tief ein und versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, der immer noch viel zu schnell war – wegen des Tanzes, wegen Kai, wegen allem.

Kai lehnte sich mit einem Glas in der Hand gegen das Geländer und sah mich mit einem schiefen Grinsen an. „Das war... interessant," sagte er, seine Stimme war rau, aber entspannt.

Ich lachte leise, lehnte mich neben ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Interessant ist eine nette Umschreibung," sagte ich, meinen Blick auf den dunklen Himmel gerichtet. „Ich würde eher sagen, es war eine Katastrophe in Zeitlupe."

Er zog eine Augenbraue hoch und nippte an seinem Glas. „Eine Katastrophe? Weil du nicht mithalten konntest, oder weil du mich fast umgetanzt hättest?"

Ich drehte mich zu ihm und lachte. „Bitte, Harvey. Du hast dich ja kaum bewegt. Ich dachte, ich hätte mit einer Statue getanzt."

Er grinste und hob die Hände in einer gespielten Verteidigungsgeste. „Ich war strategisch zurückhaltend. Ich wollte dir nicht die Show stehlen."

Ich schnaubte, schüttelte den Kopf und spürte, wie sich die Spannung zwischen uns ein wenig löste. Diese Leichtigkeit, dieses spielerische Necken – es fühlte sich so vertraut an, so richtig. Aber es war auch gefährlich. Denn hinter jedem Wort, jedem Blick, lauerte etwas Tieferes, etwas, das wir beide fühlten, aber nicht aussprechen konnten.

„Wie viel hast du eigentlich getrunken?" fragte ich schließlich, um das Gespräch am Laufen zu halten.

Kai blickte in sein Glas, dann zu mir. „Nicht genug, um mich davon abzuhalten, dir zu folgen," sagte er leise, und sein Blick war plötzlich ernster.

Mein Herz setzte einen Schlag aus. Ich wollte etwas sagen, wollte die Spannung brechen, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Stattdessen wandte ich mich wieder dem Geländer zu, um meinen Blick von ihm abzuwenden.

„Jule," sagte er, und ich konnte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme spüren. „Es tut mir leid, weißt du? Alles."

Ich schluckte schwer und nickte langsam, ohne ihn anzusehen. „Ich weiß," murmelte ich. „Aber es macht es nicht einfacher."

Er seufzte, und ich konnte hören, wie er sich bewegte, näher kam. „Ich will dich, Jule," sagte er schließlich, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Gott, ich will dich jetzt mehr als alles andere."

Ich drehte mich langsam zu ihm um, mein Atem stockte bei seinen Worten. Seine Augen waren dunkel, voller Verlangen, und ich konnte fühlen, wie sich die Luft zwischen uns auflud. „Harvey," begann ich, meine Stimme zitterte leicht. „Du weißt, dass wir das nicht können. Du wirst heiraten. Und ich werde nicht..." Ich stoppte mich, bevor ich den Satz beenden konnte.

„Nicht was?" fragte er, trat einen Schritt näher, sodass unsere Schultern sich beinahe berührten. „Nicht der sein, der etwas tut, was er bereut? Glaubst du, ich bereue nichts? Jeden verdammten Tag?"

„Das ist nicht fair," murmelte ich, meine Hände ballten sich zu Fäusten, um die aufsteigenden Emotionen zu unterdrücken. „Du kannst nicht hier stehen und mir sagen, dass du mich willst, wenn du dich entschieden hast, jemand anderen zu heiraten."

„Es ist nicht so einfach," sagte er, und seine Stimme klang fast verzweifelt. „Ich weiß, dass es falsch ist. Aber... ich kann nicht aufhören, an dich zu denken."

„Kai," sagte ich, meine Stimme war leise, aber bestimmt. „Ich will dich auch. Gott, ich will dich. Aber ich kann das nicht. Nicht so."

Er sah mich an, und ich konnte die inneren Kämpfe in seinen Augen sehen. Für einen Moment dachte ich, er würde aufgeben, zurücktreten. Doch stattdessen hob er eine Hand und strich sanft mit seinen Fingern über meine Lippen. Die Berührung war so zart, dass sie fast schmerzhaft war, und ich konnte fühlen, wie mein ganzer Körper auf ihn reagierte.

„Sag mir, dass du das nicht fühlst," flüsterte er, seine Augen fixierten meine.

Ich konnte nicht. Denn ich fühlte es. Jeder Nerv in meinem Körper brannte, jede Faser schrie danach, ihm näherzukommen, ihn zu küssen, ihn zu haben. Aber ich wusste, dass ich es nicht durfte.

„Kai," sagte ich schließlich, meine Stimme war kaum mehr als ein Hauch. „Bitte... hör auf."

Doch er tat es nicht. Seine Hand wanderte langsam weiter, glitt an meinem Kiefer entlang, bevor sie an meinem Nacken verweilte. „Ich kann nicht," murmelte er, und ich konnte fühlen, wie seine Finger leicht zitterten. „Ich will dich so sehr, Jule."

Sein Blick wanderte kurz nach unten, und ich konnte spüren, wie meine eigene Atmung schwerer wurde. Dann glitten seine Finger tiefer, über meine Brust bis zu meiner Taille, bevor sie wieder zurückzogen. Die Berührung war flüchtig, fast wie ein Schatten, doch sie hinterließ eine Spur aus Feuer.

Ich schloss die Augen, versuchte, meinen Herzschlag zu beruhigen, der in meinen Ohren dröhnte. „Das hier führt nirgendwo hin, Kai," sagte ich leise, ohne ihn anzusehen. „Wir können das nicht tun."

Er trat einen Schritt zurück, ließ seine Hand sinken, und ich öffnete die Augen, um ihn anzusehen. Sein Gesicht war ein offenes Buch – Verlangen, Schmerz, Verzweiflung. Und ich wusste, dass ich genauso aussah.

„Ich weiß," flüsterte er schließlich. „Aber es ändert nichts daran, was ich fühle."

„Für mich auch nicht," gab ich zu, und meine Stimme brach leicht. „Aber du hast deine Entscheidung getroffen. Und ich werde nicht der sein, der dich dazu bringt, sie zu bereuen."

Wir standen uns gegenüber, und die Stille zwischen uns war schwer, voller unausgesprochener Worte und Gefühle, die wir nicht zulassen konnten. Schließlich trat er zurück, fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und sah mich an.

„Vielleicht... vielleicht wäre es besser, wenn ich gehe," sagte er, seine Stimme war rau. „Ich weiß nicht, wie ich das hier sonst überstehen soll."

Ich nickte langsam, obwohl es sich anfühlte, als würde mein Herz zerspringen. „Vielleicht."

Er hielt meinen Blick für einen Moment, dann wandte er sich um und ging. Und ich blieb zurück, die kalte Nachtluft auf meiner Haut, mein Herz schwer und meine Seele in Flammen.

Abseits der Gefühle (Bravertz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt