✧ 𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘦𝘭 𝘝𝘪𝘦𝘳𝘶𝘯𝘥𝘯𝘦𝘶𝘯𝘻𝘪𝘨 ✧

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POINT OF VIEW
KAI HAVERTZ

Die Luft war aufgeladen mit einer elektrischen Spannung, die man nur an Spieltagen spüren konnte. Es war Champions-League-Zeit, und alles fühlte sich größer an – die Erwartungen, die Atmosphäre und der Druck. Wir hatten heute Abend ein Heimspiel, und Stamford Bridge war bis auf den letzten Platz gefüllt.

„Na, bereit, Harvey?", fragte Timo mit einem breiten Grinsen, während wir uns in der Kabine aufwärmten.

Seit Timo in einem Artikel gelesen hatte, dass ich von... dass ich zu leverkusener Zeiten Harvey genannt wurde, fand er es lustig diesen Spitznamen zu übernehmen, obwohl ich ihm mehr als deutlich gemacht hatte es zu lassen.

Ich schnaubte und zog meine Fußballsocken höher. „Bereit."

„Das sagst du jedes Mal", mischte sich Mason Mount ein, der auf der Bank neben uns saß und sich gerade die Schuhe zuband.

„Und jedes Mal stimmt es", erwiderte ich, während ich die Schnürsenkel meiner Schuhe festzog.

Die Stimmung in der Kabine war lebendig, voller Adrenalin und Energie. Antonio Rüdiger – oder „Rüdi", wie wir ihn nannten – war wie immer der Lauteste von uns allen. Er lief durch den Raum, klatschte jedem von uns auf die Schulter und brüllte motivierende Worte, die irgendwo zwischen ernst und albern lagen.

„Kai! Heute machst du zwei Tore, verstehst du? Zwei! Sonst nehme ich dir morgen dein Mittagessen weg!"

„Das wäre ja mal was Neues", entgegnete ich trocken, woraufhin alle lachten.

Timo war mein Fels im Team. Seit meinem Wechsel zu Chelsea hatte er mich unter seine Fittiche genommen, und wir waren schnell unzertrennlich geworden. Auf dem Platz verstanden wir uns blind, und abseits davon war er wie ein großer Bruder – auch wenn er nur ein paar Jahre älter war als ich.

„Harvey, wenn wir heute gewinnen, zahlst du das nächste Abendessen", sagte er und warf mir einen schelmischen Blick zu.

„Deal", antwortete ich grinsend, obwohl ich wusste, dass er das sowieso nur sagte, um mich zu ärgern.

Das Stadion begann zu beben, als wir den Tunnel entlangliefen. Der Lärm war ohrenbetäubend, die Fangesänge hallten wie ein donnerndes Echo in meinen Ohren. Stamford Bridge war kein Signal Iduna Park, aber es hatte seinen eigenen Zauber.

Als ich das Spielfeld betrat, ließ ich meinen Blick kurz über die Tribünen schweifen. Es war ein vertrauter Anblick, aber dennoch fühlte es sich immer ein wenig fremd an.

London war großartig, aber es war nicht Deutschland. Es gab Tage, an denen ich die vertrauten Dinge aus meiner alten Heimat vermisste – das Essen, die Sprache, die kleinen Gewohnheiten, die man als selbstverständlich betrachtet, bis sie plötzlich fehlen.

„Konzentration, Kai", murmelte ich zu mir selbst und richtete meinen Fokus wieder auf das Spiel.

Der Schiedsrichter pfiff an, und die ersten Minuten waren intensiv. Unser Gegner war stark, aber wir waren besser. Die Pässe liefen flüssig, die Kommunikation auf dem Platz war klar, und das Adrenalin pumpte durch meine Adern.

Timo und ich spielten uns mehrmals den Ball zu, und ich wusste, dass wir kurz davor standen, die gegnerische Abwehr zu durchbrechen.

„Kai, rechts!", rief Mason, und ich reagierte sofort, spielte den Ball nach außen und sprintete in den Strafraum.

Die Flanke kam perfekt, und ich köpfte den Ball mit voller Wucht ins Netz.

Das Stadion explodierte, und meine Teamkollegen stürmten auf mich zu. Timo war der Erste, der mich packte und schüttelte.

„Was hat Rüdi gesagt? Zwei Tore, Harvey! Noch eins fehlt!"

„Lass mir doch wenigstens Zeit", antwortete ich lachend, während wir zurück in unsere Hälfte joggten.

Das Spiel war intensiv, und es verlangte alles von uns ab. Toni war wie eine Wand in der Verteidigung, und Mason zeigte eine seiner besten Leistungen im Mittelfeld.

In der zweiten Halbzeit hatte ich eine weitere Chance, als Timo mir einen perfekten Pass zuspielte. Ich nahm den Ball an, drehte mich und schoss – doch der Torwart parierte.

„Kopf hoch, Harvey!", rief Timo, während ich zurücklief.

Ich nickte, mein Fokus ungebrochen.

Am Ende gewannen wir 2:0, und obwohl ich nur ein Tor gemacht hatte, fühlte sich der Sieg wie eine Teamleistung an. Wir gingen Arm in Arm vom Platz, unsere Stimmen heiser vom Jubeln.

In der Kabine war die Stimmung ausgelassen. Timo legte seinen Arm um meine Schultern und grinste breit.

„Das war großartig, Harvey. Aber Toni hat gesagt, zwei Tore. Dein Mittagessen fällt also aus."

„Du hast den Ball das letzte Mal auch nicht reingemacht!", protestierte ich lachend.

„Es geht um dich, mein Freund. Um dich."

Nach der Dusche zog ich mein Handy hervor und sah die Glückwünsche von Freunden und Familie. Sophia hatte mir eine Nachricht geschickt: „Großartiges Spiel, mein Champion. Ich bin so stolz auf dich! Komm schnell nach Hause, ich hab dein Lieblingsessen gemacht."

Ich lächelte leicht und steckte das Handy zurück.

Als wir das Stadion verließen, klopfte mir Mason auf die Schulter. „Kai, wir gehen später noch was trinken. Kommst du mit?"

Ich überlegte kurz, schüttelte dann aber den Kopf. „Nicht heute. Sophia wartet zuhause. Aber danke."

„Alles klar", sagte Mason, und Timo grinste mich an. „Harvey, du bist ein verdammt braver Freund. Aber nächstes Mal gibt's keine Ausrede!"

„Versprochen", antwortete ich, während wir uns verabschiedeten.

Auf der Fahrt nach Hause ließ ich die Ereignisse des Tages Revue passieren. Chelsea fühlte sich wie ein zweites Zuhause an, und mein Leben war stabil.

Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich auf die Straße. Heute war ein guter Tag. Das war alles, was zählte.

Abseits der Gefühle (Bravertz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt