✧ 𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘦𝘭 𝘋𝘳𝘦𝘪𝘶𝘯𝘥𝘴𝘦𝘤𝘩𝘻𝘪𝘨 ✧

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POINT OF VIEW
JULIAN BRANDT

Der Abend war beinahe perfekt gewesen. Meine Familie hatte gelacht, Kai und Sophia hatten sich wunderbar eingefügt, und ich hatte mich selten so glücklich gefühlt wie heute. Doch jetzt, da sich die Nacht dem Ende zuneigte, spürte ich ein schweres Gewicht auf meiner Brust.

Es gab etwas, das ich Kai sagen musste. Etwas, das ich schon vor Wochen hätte tun sollen. Doch jedes Mal hatte ich es hinausgezögert – aus Angst, aus Unsicherheit, aus Feigheit. Aber ich konnte es nicht länger ignorieren. Wenn ich es ihm nicht sagte, würde es sich anfühlen, als würde ich ihn belügen.

Ich sah zu ihm hinüber. Er saß bei Sophia, beide wirkten entspannt, als ob der Abend für sie noch lange nicht vorbei sein müsste. Es machte alles nur schwerer, aber ich wusste, dass ich es jetzt tun musste.

Mit klopfendem Herzen stand ich auf und ging zu ihm. „Harvey?", sagte ich leise, meine Stimme war fast ein Flüstern.

Er sah auf, ein verwunderter Ausdruck in seinen blauen Augen. „Was ist los, Jule?"

„Kann ich kurz mit dir reden?", fragte ich, meine Hände spielten nervös mit den Rändern meines Hemds.

Sophia sah uns beide fragend an, aber Kai nickte, stand auf und folgte mir. „Klar, worum geht's?"

Ich führte ihn in mein Zimmer, wo es ruhiger war. Als wir drinnen waren, schloss ich die Tür hinter uns. Er lehnte sich leicht gegen die Wand, die Arme locker verschränkt, und sah mich mit diesem typischen, entspannten Ausdruck an, der alles nur noch schwieriger machte.

„Also, was ist los?", fragte er.

Ich zögerte, meine Kehle fühlte sich trocken an. Ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte, also entschied ich mich, es einfach kurz und schmerzlos zu machen.

„Kai, ich...", begann ich, meine Stimme brach leicht. Ich schluckte schwer, bevor ich weitersprach. „Ich wollte dir sagen, dass ich... dass ich im Sommer zu Dortmund wechseln werde."

Die Worte hingen wie ein Gewitter in der Luft. Kai blinzelte, als hätte er mich nicht richtig gehört. Einen Moment lang sagte er gar nichts. Er starrte mich nur an, und ich konnte sehen, wie die Bedeutung meiner Worte langsam bei ihm ankam.

„Was?", fragte er schließlich, seine Stimme war leise, fast ungläubig.

„Ich... ich habe das Angebot von Dortmund angenommen", wiederholte ich. „Es ist eine große Chance für mich, Kai. Eine Chance, die ich einfach nicht ablehnen konnte."

Er sagte nichts. Er sah mich nur weiter an, sein Blick durchbohrte mich, und ich hatte das Gefühl, als würde ich vor ihm in tausend Stücke zerbrechen.

„Kai, bitte sag etwas", sagte ich verzweifelt.

„Nein", sagte er schließlich, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Nein?", wiederholte ich, verwirrt.

„Nein", sagte er wieder, diesmal lauter. „Nein. Nein."

Er schüttelte den Kopf, und ich konnte sehen, wie sich Tränen in seinen Augen sammelten.

„Kai...", begann ich, aber er unterbrach mich.

„Wie kannst du das tun, Jule?", fragte er, seine Stimme zitterte vor Emotionen. „Wie kannst du einfach gehen, ohne mir vorher etwas zu sagen? Ohne mit mir darüber zu reden?"

„Ich wollte es dir sagen, wirklich", sagte ich, meine Worte kamen hastig. „Aber ich wusste nicht, wie. Und ich wollte nicht, dass sich irgendwas zwischen uns ändert."

„Ändert?", fragte er und lachte bitter. „Wie soll sich denn nichts ändern, Julian? Du gehst! Du gehst nach Dortmund, und ich bleibe hier. Wie soll das nichts ändern?"

Ich machte einen Schritt auf ihn zu, wollte ihn irgendwie beruhigen, aber er trat zurück, schüttelte den Kopf.

„Nein", sagte er erneut, diesmal war seine Stimme fester, entschlossener. „Ich kann das nicht, Jule."

„Kai, bitte", sagte ich, meine eigene Stimme brach. „Bitte versteh mich. Das ist eine riesige Chance für mich. Ich will das nicht, aber ich muss an meine Karriere denken."

„An deine Karriere?", fragte er, und diesmal liefen die Tränen über sein Gesicht. „Und was ist mit uns? Was ist mit dem, was wir haben? Das bedeutet dir also nichts?"

„Natürlich bedeutet es mir etwas!", sagte ich verzweifelt. „Du bist mein bester Freund, Kai. Du bist... du bist alles für mich."

„Dann warum gehst du?", fragte er, seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Ich konnte ihm darauf keine Antwort geben. Es gab keine Worte, die das erklären konnten, was ich fühlte.

Kai schüttelte erneut den Kopf, wischte sich die Tränen aus den Augen und drehte sich zur Tür. „Ich kann das jetzt nicht, Jule", sagte er, ohne mich anzusehen. „Ich muss gehen."

„Harvey, bitte", sagte ich, aber er öffnete bereits die Tür.

Sophia stand draußen und sah uns beide verwirrt an. Kai packte ihre Hand, ohne ein Wort zu sagen, und zog sie zur Haustür.

Ich blieb zurück, unfähig, mich zu bewegen. Mein Herz fühlte sich an, als würde es in tausend Stücke brechen. Ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel, und wusste, dass ich ihn so verletzt hatte, wie ich es nie wollte.

Ich sank auf mein Bett und ließ die Tränen kommen, die ich die ganze Zeit zurückgehalten hatte. Es war, als hätte ich einen Teil von mir selbst verloren, und ich wusste nicht, ob ich ihn jemals zurückbekommen würde.

Abseits der Gefühle (Bravertz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt