✧ 𝘒𝘢𝘱𝘪𝘵𝘦𝘭 𝘡𝘸𝘦𝘪𝘶𝘯𝘥𝘷𝘪𝘦𝘳𝘻𝘪𝘨 ✧

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POINT OF VIEW
KAI HAVERTZ

Ich stand vor Noas Wohnungstür und konnte fühlen, wie die Wut in mir kochte. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und meine Hände zitterten leicht, obwohl ich sie zu Fäusten ballte. Die ganze Fahrt hierher hatte ich versucht, einen klaren Kopf zu bekommen, aber das war unmöglich.

Noa. Mein Cousin. Der Typ, den ich mein ganzes Leben lang kannte. Der Typ, den ich für einen großmäuligen, aber harmlosen Freund hielt. Und jetzt hatte ich erfahren, dass er Julian jahrelang gequält hatte – dass er die Ursache für all die Narben war, die Julian noch heute mit sich trug, innerlich wie äußerlich.

Ich klingelte, und es dauerte keine zehn Sekunden, bis die Tür aufging. Noa stand da, in Jogginghose und T-Shirt, und sah mich überrascht an. „Kai? Was machst du hier?"

Ich antwortete nicht. Stattdessen packte ich ihn am Kragen, ohne nachzudenken, und drückte ihn gegen die Wand.

„Was zur Hölle hast du dir eigentlich gedacht?", schrie ich, meine Stimme bebend vor Zorn.

„Hey, was... Was machst du? Bist du verrückt?", rief Noa, aber ich ließ ihn nicht los.

„Julian!", brüllte ich, meine Finger krallten sich in den Stoff seines Shirts. „Was zur Hölle hast du mit ihm gemacht?"

Noas Gesicht verzog sich, und ich sah, wie seine Augen für einen Moment weiteten. Er wusste genau, wovon ich sprach.

„Ich... ich weiß nicht, wovon du redest", stammelte er, aber sein Ton war alles andere als überzeugend.

„Hör auf zu lügen!", schrie ich und drückte ihn noch fester gegen die Wand. „Er hat mir alles erzählt. Alles! Wie du ihn in der Schule fertiggemacht hast. Wie du ihn gegen einen Baum geschubst hast, bis er fast verblutet ist. Was zur Hölle, Noa? Was hast du dir dabei gedacht?"

Er zappelte in meinem Griff, versuchte sich zu befreien, aber ich war stärker – und ich war so wütend, dass ich ihm keinen Zentimeter nachgab.

„Kai, beruhig dich, Mann! Es war... Es war nichts Ernstes!", sagte er schließlich, seine Stimme zitterte. „Julian war einfach komisch, okay? Er hat nie geredet, nie was gemacht. Wir wollten ihn nur ein bisschen aus der Reserve locken."

„Ein bisschen aus der Reserve locken?", wiederholte ich, meine Stimme war gefährlich leise geworden. „Du hast ihn gequält, Noa. Du hast ihn zum Weinen gebracht, du hast ihn verletzt. Du hast ihn fast umgebracht! Und du nennst das Spaß?"

„Es war nicht so gemeint!", rief er und sah mich mit einer Mischung aus Angst und Verteidigung an. „Er hat sich das alles selbst eingebrockt! Wenn er nicht so komisch gewesen wäre, dann..."

„Halt die Klappe!", schnitt ich ihm das Wort ab und ließ ihn endlich los, nur um ihn mit einem festen Stoß von mir wegzuschieben. „Ich will keine Ausreden hören. Kein verdammtes Es war Spaß und keine Schuldzuweisungen a Julian. Du hast ihn fertiggemacht, Noa. Du hast einen Menschen zerstört, und du zeigst nicht mal einen Hauch von Reue!"

Noa wich ein paar Schritte zurück, seine Hände in die Luft gehoben. „Was willst du von mir, Kai? Das ist Jahre her! Menschen ändern sich. Ich bin nicht mehr so."

„Menschen ändern sich?", fragte ich bitter. „Dann zeig mir, dass du dich geändert hast. Sag mir, dass es dir leid tut. Zeig ein bisschen Einsicht, verdammt!"

Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder. Seine Augen flackerten, und ich konnte sehen, dass er nach einer Antwort suchte. Doch was auch immer er sagen wollte, es kam nicht.

„Ich dachte, du wärst besser als das", sagte ich schließlich leise, meine Stimme war jetzt kalt und voller Enttäuschung. „Ich habe dich als meinen Freund gesehen. Als meinen Cousin. Und jetzt sehe ich dich an, und alles, was ich sehe, ist ein Feigling, der keine Verantwortung für das übernehmen kann, was er getan hat."

„Kai, bitte...", begann er, aber ich schüttelte den Kopf.

„Halt die Klappe, Noa", sagte ich und wandte mich zur Tür. „Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Du bist für mich gestorben."

Ich öffnete die Tür und trat hinaus in die kühle Nachtluft, ohne mich noch einmal umzudrehen. Mein Herz raste, meine Hände zitterten, und ich konnte kaum atmen, so groß war die Wut in mir. Aber es war nicht nur Wut. Es war auch Schmerz. Schmerz darüber, dass jemand, den ich mein ganzes Leben lang gekannt hatte, so etwas tun konnte. Schmerz darüber, dass Julian so etwas hatte durchmachen müssen. Und Schmerz darüber, dass ich Noa bis zu diesem Moment nicht wirklich gekannt hatte.

Ich stieg in mein Auto und legte die Stirn für einen Moment gegen das Lenkrad, bevor ich den Motor startete. Ich wusste, dass das nicht das Ende war. Aber für heute war es alles, was ich tun konnte.

Abseits der Gefühle (Bravertz)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt