POINT OF VIEW
JULIAN BRANDTDie Musik im Club war laut, der Bass hämmerte durch meine Brust, aber es störte mich nicht. Normalerweise fühlte ich mich in solchen Umgebungen fehl am Platz – zu viele Leute, zu viel Chaos, zu wenig Raum, um einfach ich selbst zu sein. Aber heute war anders. Heute war Kai hier.
Wir hatten beschlossen, den Abend einfach zu genießen, auf alles zu pfeifen und uns gehen zu lassen. Es war Kais Idee gewesen, aber ich hatte mich überraschend schnell darauf eingelassen. Mit ihm fühlte sich alles ein bisschen einfacher an, ein bisschen weniger bedrohlich.
Kai stand neben mir an der Bar, ein Glas in der Hand, sein Grinsen so unbeschwert, dass es ansteckend war. Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, was ich ohne ihn tun würde. Er hatte etwas an sich, das mich aus meiner eigenen Unsicherheit herauszog. Mit Kai konnte ich einfach ich selbst sein, und das war ein Gefühl, das ich viel zu selten erlebte.
„Noch eine Runde?", fragte er, seine Stimme kaum zu hören über die dröhnende Musik.
Ich nickte. „Warum nicht? Heute trinken wir, bis wir nicht mehr können!"
Kai lachte und winkte dem Barkeeper zu. Kurz darauf hatten wir beide neue Gläser in der Hand, und ich nahm einen tiefen Schluck. Der Alkohol brannte angenehm in meiner Kehle, und ich spürte, wie die Welt um mich herum ein wenig weicher wurde.
„Okay, Julian", sagte Kai und lehnte sich gegen die Theke. „Ich hab eine Frage für dich."
„Schieß los."
„Wie verbringst du eigentlich deine Sommer?"
Ich dachte kurz nach und zuckte dann mit den Schultern. „Nichts Besonderes. Wir fahren jedes Jahr an den gleichen Ort – den Gardasee."
„Immer den gleichen Ort?", fragte Kai mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Ja", sagte ich und grinste leicht. „Es ist nicht meine Entscheidung. Es ist Titus' Lieblingsort. Er liebt es dort. Die kleine Wohnung, die wir immer mieten, die Pizza vom gleichen Restaurant, die Spaziergänge am Wasser... für ihn ist das der perfekte Urlaub."
„Und für dich?"
„Ich mag es", antwortete ich ehrlich. „Aber manchmal wünsche ich mir, dass wir mal woanders hingehen. Aber Titus würde das nicht verstehen. Er hängt so an diesem Ort, und wir wollen ihn nicht traurig machen."
Kai nickte, und ich konnte sehen, dass er es verstand. „Das klingt irgendwie schön. Einfach, weißt du? Ich glaube, ich mag solche Traditionen."
Ich lachte. „Ja, einfach ist es definitiv. Und günstig. Das war immer ein wichtiger Punkt für meine Mama."
Kai grinste. „Klingt, als wäre das ein schöner Ort für Erinnerungen."
Ich nickte. „Ja, das ist es."
Eine Weile tranken wir schweigend, die Musik dröhnte weiter, und die Leute um uns herum lachten und tanzten, als gäbe es keinen Morgen. Es fühlte sich fast so an, als wären wir in einer eigenen kleinen Blase, abgeschirmt von dem Rest der Welt.
„Und was ist mit deinem Vater?", fragte Kai plötzlich, und ich spürte, wie meine Brust sich kurz zusammenzog.
Ich brauchte einen Moment, um zu antworten. Es war keine Frage, die oft gestellt wurde, und meistens vermied ich es, darüber zu sprechen. Aber mit Kai fühlte es sich anders an. Sicher.
„Mein Vater ist gestorben, als ich zwölf war", sagte ich schließlich. „Ein Schlaganfall. Es ging alles sehr schnell."
Kai sah mich an, sein Gesicht war ernst, aber nicht unangenehm. „Das tut mir leid, Julian."
„Danke", sagte ich und nahm einen weiteren Schluck. „Es war schwer, besonders für meine Mama. Sie hat alles getan, um uns durchzubringen. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft hat."
„Sie klingt wie eine unglaublich starke Frau", sagte Kai.
„Das ist sie auch", antwortete ich und lächelte leicht.
Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Ich ließ die Erinnerungen an meinen Vater kurz aufleben, ließ sie dann aber wieder los. Heute Abend ging es nicht um die Vergangenheit.
„Was ist mit dir?", fragte ich schließlich. „Wie hast du deine Sommer verbracht?"
Kai schien kurz überrascht von der Frage, dann lachte er leise. „Eigentlich ziemlich langweilig. Wir haben nie wirklich Urlaub gemacht. Entweder war ich auf dem Reiterhof oder auf dem Bolzplatz mit meinen Jungs."
„Reiterhof?", fragte ich und hob eine Augenbraue.
„Ja", sagte Kai und grinste. „Ich hatte ein eigenes Pferd. Naja, mehr oder weniger. Es war das Pferd einer Bekannten, aber ich durfte es immer reiten und mich darum kümmern."
„Reitest du immer noch?", fragte ich neugierig.
Kai schüttelte den Kopf, und sein Lächeln verschwand ein wenig. „Nein. Nicht mehr."
„Warum nicht?"
Er zögerte kurz, bevor er antwortete. „Ich hatte einen Unfall, als ich fünfzehn war. Einen ziemlich schweren. Danach... ich weiß nicht, ich konnte mich nicht mehr dazu bringen, wieder aufs Pferd zu steigen."
„Das tut mir leid", sagte ich leise.
Kai zuckte mit den Schultern, aber ich konnte sehen, dass das Thema ihn mehr berührte, als er zugeben wollte. „Das Verrückte ist, ich kann mich an diesen Sommer kaum erinnern. Es ist wie ein leerer Fleck in meinem Kopf."
Ich wollte nachfragen, mehr darüber wissen, aber ich entschied mich dagegen. Irgendetwas sagte mir, dass das ein Thema war, das Zeit brauchte.
„Naja", sagte Kai schließlich und hob sein Glas. „Auf die Sommer, die noch kommen."
Ich grinste und stieß mit ihm an. „Auf die Sommer."
Wir tranken und redeten weiter, und der Abend zog vorbei, während wir uns Geschichten erzählten, lachten und für einen Moment einfach alles um uns herum vergaßen. Mit Kai an meiner Seite fühlte sich die Welt ein bisschen leichter an, und ich fragte mich, wie ich jemals ohne ihn zurechtgekommen war.
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Abseits der Gefühle (Bravertz)
FanfictionSeine Stimme war ruhig, doch ich spürte den Schmerz darin. „Wie kannst du jemanden lieben und gleichzeitig planen, eine andere zu heiraten?" » Kai Havertz und Julian Brandt könnten unterschiedlicher nicht sein: der eine beliebt und unnahbar, der and...