Kapitel 8: Colin

                                    

                                          
Die erste Schulwoche verging ziemlich entspannt, denn noch kein Lehrer forderte besonders viel im Unterricht, abgesehen von Herr Hauser, doch zum Glück stand Sport nur am Montag auf dem Stundenplan.
Trotz allem war ich froh, als es endlich Freitag war, denn all die neuen Eindrücke und Gesichter, hatten trotzdem dafür gesorgt, dass ich ziemlich erschöpft war und das Wochenende wirklich gut gebrauchen konnte.
Leider lief gerade erst die 2. Stunde, doch da es Mathe war, fühlte es sich für mich ziemlich entspannt an, während einige andere ganz schön zu kämpfen hatten. Gerade als ich damit beschäftigt war, eine Aufgabe zu lösen, die Herr Chung gestellt hatte, öffnete sich die Tür und ich wusste schon ganz genau wer es war. Noah lief zu seinem Tisch und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. Er tat so, als ob es das normalste auf der Welt war, jeden Tag erst mitten im Unterricht zu erscheinen.
Die ganze Woche über hatte er das so gemacht, aber mir war es egal, denn nach den Ereignissen von Montag und Noahs harten Worten, hatte ich alles was ihn betraf auf das nötigste beschränkt. Ich redete nur mit ihm, wenn es wirklich nötig war, aber das war auch nicht wirklich schwer, denn er war sowieso fast nie da. Am Morgen war er immer schon verschwunden und am Abend kam er erst kurz vor der Nachtruhe zurück. Die meiste Zeit über benutzte er dabei das Fenster und nicht die Tür. So langsam ging mir dieses ständig offene Fenster auf die Nerven, aber irgendwie brachte mich nichts dazu es zu schließen. Auch Frau Schiller wunderte sich nicht mehr über das Fenster und fragte mich auch nicht mehr, ob ich wusste wo Noah war. Wenn sie vor der Nachtruhe in unser Zimmer kam, war er zum Glück meistens da oder noch im Bad. Darauf Ausreden zu erfinden und Noah zu decken hatte ich wirklich keine Lust, denn verdient hatte er es nicht. Er hätte es verdient mal so richtig Ärger zu bekommen, aber ich wusste, dass ich ihn nie an Frau Schiller verpetzen würde, selbst wenn er mal zu spät zurück im Zimmer sein würde. Vielleicht war ich wirklich einfach zu nett. Oder einfach nur bescheuert. Er würde es mir sowieso nie danken.
"Noah, wie ich sehe schaust du heute doch noch in meinem Unterricht vorbei." Die Stimme von Herr Chung brachte meine Aufmerksamkeit wieder zurück und weg von meinen Gedanken. Seine Stimme klang nicht vorwurfsvoll, aber auch nicht begeistert. In Mathe kam Noah aber auch konsequent zu spät. Von unserem einen normalen Gespräch wusste ich, dass Mathe nicht so sein Fach war, also konnte ich mir den Grund für sein zu spät kommen leicht erklären. Kurz huschte mein Blick zu Noah, der entspannt auf seinem Stuhl saß und seinen Block und ein paar Stifte lieblos auf den Tisch geworfen hatte. Schule war ihm offensichtlich total egal.
"Heute ist ihr Glückstag." Seine Stimme klang wieder sarkastisch und er verzog das Gesicht zu einem falschen Lächeln.
Herr Chung lachte nur kurz und schüttelte den Kopf. "Mein Glückstag wird der Tag sein, an dem du pünktlich hier bist und deine Leistungen besser sind. Ich habe einen Blick auf deine Noten aus dem letzten Schuljahr geworfen und da ist definitiv noch Luft nach oben."
"Na wenn sie das sagen, dann wird es wohl so sein." Er lehnte sich zurück und schaute zur Tafel, an der die zu lösende Aufgabe stand. Für mich war es überhaupt nicht schwer, aber in seinem Gesicht konnte ich die Fragezeichen ganz klar erkennen. Noah wusste überhaupt nicht worum es ging. "Ist das eine Gleichung?"
Im Raum begannen die anderen zu flüstern und zu tuscheln. Joel warf mir einen belustigten Blick zu. Ich hatte noch keine neuen Freunde gefunden, denn irgendwie bekam ich es nicht hin mit den anderen in meiner Klasse zu reden, aber mit Joel kam ich mittlerweile ganz gut klar. Er redete zwar die meiste Zeit von seinem Fenchelsaft und wollte unbedingt, dass ich ihm dabei helfe das Zeug zu machen, aber eigentlich war er wirklich nett und ich mochte ihn gern. Von Noah hielt Joel allerdings nicht viel. Die beiden hatten keinen guten Start gehabt und Joel hielt Noah für ziemlich seltsam. Das beruhte bei den beiden wohl auf Gegenseitigkeit.