Kapitel 4

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Ich griff erneut nach den Fesseln, die ich vorhin schon benutzt hatte und näherte mich ihm vorsichtig. Der Gedanke, diesen Werwolf unangefesselt in meiner Hütte zu lassen, war unmöglich. Es war viel zu riskant, auch wenn er verletzt war.

"Ich werde deine Beine am Stuhl festmachen", erklärte ich ihm mit fester Stimme, auch wenn mein Herz wild klopfte. Jede Muskel in meinem Körpers war angespannt.

„Sind die wirklich nötig?", fragte er mich mit einem leisen Knurren.

Ich zuckte zusammen und machte hastig ein paar Schritte zurück. Mein Messer hob ich schützend vor mich, die Klinge auf ihn gerichtet, während ich ihn schockiert anstarrte. Das war das erste Mal, dass er geknurrt hatte und mir gezeigt hat das er gefährlich ist. Bis zu diesem Moment hatte ich fast geglaubt, er sei nicht in der Lage dazu zu knurren.

Seine Augen funkelten im schwachen Licht der Hütte und das Knurren, das aus seiner Kehle drang, war tief, aber verstummte sofort wieder. Es erinnerte mich daran, dass ich es hier nicht mit einem Menschen, sondern mit einem mächtigen, wilden Wesen zu tun hatte und vorsichtig sein musste. Der Gedanke jagte mir einen Schauer über den Rücken.

„Sorry, Prinzessin", kam plötzlich von ihm und er senkte seinen Blick. Was war hier los? Er entschuldigte sich dafür, dass er mich angeknurrt hatte?

Ich war so verwirrt, dass ich kurz verharrte. Dann ging ich schnell zu ihm und legte ihm die Fesseln wieder an. Dieses Mal akzeptierte er es ohne Widerspruch. Kein Knurren, kein protestierender Blick – nichts.

Seine plötzliche Unterwürfigkeit verwirrte mich noch mehr. Er hatte mich eben noch mit einem Knurren eingeschüchtert und jetzt ließ er sich einfach fesseln, als wäre es das Normalste der Welt. Während ich die Fesseln festzog, spürte ich seine muskulösen Beine unter meinen Fingern und bemerkte, wie ruhig er blieb. Seine Haut war warm und weich und wieder verspürte ich dieses seltsame Kribbeln, das durch meinen Körper fuhr.

Ich ging wieder ein paar Schritte zurück und ließ meinen Blick auf seine Wunde wandern. Sie sah übel aus. Wenn ich sie nicht bald behandelte, würde er mir hier schneller verbluten, als es mir lieb war. Entschlossen drehte ich mich um und ging zu meiner kleinen Küche, wo ich all meine Kräuter und Salben aufbewahrte.

Ich liebte es, wie viel Wissen ich über Kräuter und die Heilkräfte der Pflanzen hatte. Mein Bruder hatte mir vieles beigebracht und später fanden wir ein altes Buch in einem verlassenen Haus, das sehr viel Wissen darüber beinhaltete. Es gab dort viele interessante Bücher, doch wir konnten nicht alle mitnehmen, auch wenn uns viele geholfen hätten.

Die Salben und Tabletten, die ich hatte, nahm ich nur im Notfall, da mein Vorrat begrenz war. Also entschied ich mich, einige Kräuter zusammenzumischen, von denen ich wusste, dass sie die Blutung stillen und die Heilung der Wunde unterstützen würden. Ich schnappte mir auch noch einen alten Stofffetzen, den ich nicht mehr brauch.

Mit einem Eimer Wasser, den ich immer in meiner Hütte bereitstehen hatte, ging ich wieder zu ihm. Seine Augen verfolgten jede meiner Bewegungen, ohne auch nur eine Sekunde den Blick von mir abzuwenden. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Schock, Neugier und einem Hauch von Misstrauen.

„Ich glaube, ich vergifte dich einfach noch einmal", meinte ich und schaute ihn mit einem bösen Lächeln an. Wer sagte, dass es verboten war, hier auch noch ein bisschen Spaß zu haben und ihn zu ärgern? Er war ein Monster und ich war mir sicher, dass jedes zweite Wort, dass er von sich gab, eine Lüge war. Also warum sollte ich ihm nicht ein bisschen quälen und ihm ein Schrecken ein Jagen? Wir waren schließlich Feinde.

Sein Gesicht versteifte sich und für einen flüchtigen Moment fiel die Maske, die er bisher getragen hatte. Ich wusste schon die ganze Zeit, dass er diese netten Gesichtsausdrücke und das freundlich sein geschauspielert hatte.

Jetzt doch ein bisschen ängstlich vor seinem wahren Gesicht ließ mich innehalten. Sein finsterer Blick traf mich und aus seiner Kehle drang ein tiefes Knurren, das die Stille der Hütte durchbrach und über meine Arme lief Gänsehaut.

Meine Augen weiteten sich vor Schreck und mein Herz begann wild zu pochen. So dass ich dachte, dass ich gleich einen Herzinfarkt bekommen müsste. Es schien, als ob der Raum um uns herum plötzlich kleiner geworden wäre, als ob seine Präsenz alles um mich herum erdrückte. Nur mit diesem einen knurren machte er klar, dass er das stärkere Wesen in diesem Raum war.

Seine Augen hatten sich verändert. Für einen kurzen Augenblick war eine andere Augenfarbe zu erkennen und sie funkelten mich wild und animalisch an. Ich hatte plötzlich den Drang auf den Boden zu schauen und mich zu verbeugen. Ich spürte, wie die Kälte seiner Anwesenheit mir den Atem raubte und meine Knie schwach werden ließ. Es war, als ob die Luft in der Hütte dicker wurde, und ich kämpfte darum, nicht von seiner überwältigenden Aura erdrückt zu werden. Jedes einzelne Haar auf meinem Körper richtete sich auf, als er mich mit seinem bedrohlichen Blick durchdrang Doch wer war ich, wenn ich dem Drang nachgehen würde?

Meine Stimme zitterte, als ich versuchte, meine Furcht zu verbergen. "I-Ich habe hier kein Gift. Das sind Kräuter, um deine Wunde zu versorgen", flüsterte ich leise, meine Worte kaum mehr als ein Hauch in der Stille der Hütte. Mein Herz raste und meine Hände bebten, als ich die Salben und Kräuter in meinen Händen hielt und ihm entgegenstreckte. Wo war nur mein Selbstbewusstsein hin? Ich wollte mir doch keine Angst anmerken lassen. Verdammt.

Als ich jetzt wieder aufsah, schien er seine Maske oder was auch immer es war, wieder aufgesetzt zu haben. Sein Blick war weich und ich erkannte etwas wie Schuld in seinen Augen. Warum fühlte er sich schuldig? Die Frage pulsierte in meinem Kopf, während ich versuchte, seine Gedanken zu lesen, doch sie blieben mir verschlossen und bereiteten mir Kopfschmerzen. Er war jetzt auch wieder komplett entspannt und sah nicht so aus, als würde er sich gleich wieder in den Wolf verwandeln, sich befreien und mich in hundert Fetzten reißen.

Ich versuchte mich wieder zu fassen und ging langsam auf die Bestie zu. Als ich ankam, stellte ich mein Zeug ab und machte einen kleinen Stofffetzen nass. Sollte ich ihn jetzt einfach berühren oder ihn erst um Erlaubnis fragen? Aber er war mein Gefangener und nicht andersherum.

„Du zitterst", stellte er fest und nickte in Richtung meiner Hände. Seine Stimme klang tiefer als zuvor, aber nicht bedrohlich. Es war fast, als würde er versuchen, mich zu beruhigen. Mir war es gar nicht bewusst gewesen, dass ich zitterte, doch jetzt konnte ich das Zittern spüren, das mich durchdrang. Meine Hände fühlten sich plötzlich kalt und klamm an, während ich den feuchten Stofffetzen fest umklammerte. Ich wagte es für einen Augenblick in seine Augen zu schauen. Dort fand ich keine Feindseligkeit, sondern etwas, das wie Sorge aussah. Schnell richtete ich meinen Blick wieder auf die große Wunde.

Ich fing an, die Blutung zu stopfen und das Blut wegzuwischen. Dabei versuchte ich sehr vorsichtig zu sein. Er zuckte aber kein einziges Mal zusammen, während ich bestimmt schon vor Schmerzen gestorben wäre. Während ich seine Wunde versorgte, merkte ich immer noch seinen brennenden, intensiven Blick auf mir.

Ich schmierte die Kräuter auf die Wunde, als kaum mehr Blut zu sehen war, trotzdem sahen seine Wunden immer noch sehr schlimm aus. Dann nahm ich den Rest von dem Stoff und machte ihm ein Verband.

„Fertig", meinte ich stolz zu mir selbst, als ich einen Schritt wieder zurücktrat und mein Werk betrachtete. Es war nicht perfekt geworden, aber musste erst einmal ausreichen. Ich schaute runter zu seinem Fuß. Dort war er in meine Falle getreten. Doch ich konnte außer einen kleinen Abtrug und Überreste von Blut nichts mehr erkennen. Anscheinend war die Wundheilung von Werwölfen wirklich gut.

„Ich gehe neues Wasser holen, zum Trinken und Kochen. Wehe du versuchst dich zu befreien, sonst muss ich dir noch mehr Gift geben, dass du geschwächt wirst", drohte ich ihm und verschwand schnell aus meiner eigenen Hütte, bevor er irgendetwas sagen konnte.

Als ich ein paar Meter entfernt war, verlangsamte ich etwas meine Schritte und atmete einmal tief ein und aus. Heute Morgen war ich noch aufgewacht und hatte gedacht, dass meine einzige Sorge es war, nichts zum Essen zu finden und jetzt hatte ich einen Werwolf entführt. Eins der Wesen, welches meine ganze Familie vernichtet hatte.

Ich kam beim Fluss an und holte frisches Wasser. Der Fluss plätscherte leise, ein beruhigendes Geräusch, doch meine Gedanken waren heute lauter, als das Gewässer. Zwischen den Bäumen konnte man erkennen, dass es anfing langsam zu dämmern und in weniger als in einer Stunde war es hier stockdunkel. Also musste ich mich beeilen, mit dem Feuer machen, sonst war ich im Dunkeln mit einer Bestie gefangen.

Herzen in Fesseln: Mein Gefangener, mein MateWo Geschichten leben. Entdecke jetzt