Kapitel 8

                                    

                                          

"Hey Charles! Wie war es?", fragt Ryan, der sich neben mich auf das Sofa fallen lässt.
"Ich will nicht darüber reden", sage ich monoton und lese weiter in meinem Buch.
"Was hast du getan?", fragt er vorwurfsvoll.
"Das Richtige."
"Oh nein! Sag jetzt nicht, dass du sie hast abblitzen lassen", sagt er. Ich antworte nicht. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?", stöhnt er.
"Ryan! Hör auf, mir einzureden, dass es falsch war. Ich weiß es besser." Er seufzt.
"Hör zu! Ich sag ... ", fängt er an, aber unterbricht sich. Plötzlich wird mir das Buch aus der Hand gerissen. "Du hörst mir jetzt gefälligst zu, ja!", sagt er streng und steht auf, aber ich sehe ihn nur gelangweilt an.
"Gib mir mein Buch wieder und verpiss dich!"
"Nein! Du bekommst es wieder, wenn du mir zugehört hast."
"Ryan, gib dir keine Mühe. Ich fühle mich genauso scheiße dabei wie sie, aber es geht nun mal nicht anders."
"Charlie! Nur weil Scarlett-"
"Lass Scarlett aus dem Spiel!", fahre ich ihn an und stehe auch auf.
"Aber sie ist doch der Grund dafür! Nur weil Scarlett dir weh getan hat, indem sie mit deinem Bruder geschlafen hat, heißt das nicht, dass Azure genauso ist!", ruft er jetzt laut.
"Es ist nicht nur Scarlett so! Jede Frau ist so! Irgendwann entpuppt sich doch jede als Schlampe!", rufe ich und will nach meinem Buch greifen, aber er hält es schnell hinter sich.
"Das ivölliger Bullshit! Nur weil du von Scarlett verarscht wurdest-"
"Es war nicht nur Scarlett! Ich sage dir mal was! Jede Frau, mit der ich jemals zusammen war, hat mich verarscht. Ausnahmslos jede! Erst Julia in der Schule. Die hat sich nach einem Monat in Bill verliebt. Ein Jahr später Aria. Die war nur wegen einer Wette mit mir zusammen. Und weißt du, was sie dafür bekommen hat? Einen Besen von ihrer ach-so-tollen besten Freundin. Als ich 19 war, hat mich Lucy betrogen. Und dann kam Scarlett. Und bei ihr hab ich gedacht, sie wäre anders als Julia, Aria und Lucy. Aber sie war genauso. Erst betrügt sie mich mit meinem Bruder und dann erwartet der auch noch, dass ich das einfach so hinnehme. Was meinst du, warum ich ihm die Nase gebrochen habe! Weil ich noch nie so sauer auf jemanden war. Ich musste mich zurückhalten, dass ich nicht noch mehr auf ihn einschlage. Glaub mir, ich hätte es gemacht, wenn meine Schwester nicht zugesehen hätte. Nur ihr zuliebe habe ich aufgehört. Ich wollte nicht, dass sie sieht, wie ich ihn schlage. Er hat sich nicht gewehrt. Er hat mich einfach nur bittend angesehen. Und deshalb hätte ich ihm nur noch einmal eine verpassen können. Nur wegen Ginny habe ich aufgehört. Und das alles ist nur wegen Scarlett passiert.
Also sag mir nicht, dass es auch normale Frauen gibt. Vielleicht gibt es sie ja, aber ich bekomme ja immer nur die Falschen ab. Also nenne mir einen Grund, warum es bei Azure anders sein soll! Früher oder später wird sie mir genauso wehtun wie die anderen auch. Und das erspare ich mir. Lieber tut es jetzt weh als später noch mehr! Und jetzt gib mir mein Buch zurück!", brülle ich ihn an. Zuerst sieht er mich schockiert an, dann holt er das Buch hinter seinem Rücken hervor und wirft es auf das Sofa.
"Ok! Mach, was du willst. Aber eins sage ich dir! Zu mir kommst du nicht, wenn es dir scheiße geht. Das badest du selber aus!"
"Verschwinde einfach!", sage ich leise aber bestimmt und lasse mich mit meinem Buch in der Hand wieder zurück auf das Sofa fallen. Ryan schüttelt noch einmal verständnislos den Kopf und verzieht sich dann auf sein Zimmer.
'Ich habe das Richtige getan! Ryan hat Unrecht!', rede ich mir immer wieder ein. Aber auf mein Buch kann ich mich einfach nicht konzentrieren. Die Buchstaben verschwimmen vor meinen Augen und bilden Azures Gesicht. Nach einer halben Stunde gebe ich es endgültig auf und werfe mich auf mein Bett.


Ich laufe einen Gang hinunter. Rechts und links von mir hängen Bilder an der Wand. Auf jedem Bild sehe ich eine meiner Ex-Freundinnen. Und alle lachen. Sie lachen über mich. Dann ruft Lucy: "Du Schwächling! Kein Wunder, dass dich so viele wegen eines anderen verlassen haben."
"Ja genau!", ruft Aria. "Du bist so leicht auf mein kleines Schauspiel hereingefallen."
"Und du hast erst nach drei Monaten gemerkt, dass ich dich betrogen habe!", sagt wieder Lucy. Dann lachen alle wieder.
Am Ende des Ganges entdecke ich eine Tür. Ich will unbedingt hier raus. Also fange ich an zu rennen. Doch die Tür kommt nicht näher. Das Lachen schwillt immer mehr an, sodass ich mir die Hände auf die Ohren pressen muss, um keinen Gehörschaden zu bekommen.
"Du bist ja so leicht hinters Licht zu führen!", ruft Aria. "Aber dass ich einen neuen Besen bekommen habe, wenn ich deine Freundin spiele, war es mir eindeutig wert. Ich dachte ja erst, dass du mich durchschaust, aber du warst völlig blind!"
"Ja, genau!", mischt sich Julia ein. "Ich war schon jahrelang in Bill verknallt, bevor ich dich überhaupt richtig kannte. Und du hast es einfach nicht geschnallt."
"HALTET DIE KLAPPE!", rufe ich und renne immer schneller auf die Tür am Ende des Ganges zu erreichen. Doch ich komme der Tür kein Stück näher.
"Hey Charlie! Du hast mich doch nicht etwa vergessen, oder?", sagt plötzlich eine Stimme neben mir, die mich zusammenfahren lässt. Ruckartig bleibe ich stehen und sehe das Bild an, aus dem mich eine Frau mit grünen Augen und schwarzen Haaren anlächelt.
"Scarlett!", sage ich flüsternd.
"Hi! Und? Warst du kurz davor, auf die nächste reinzufallen?", fragt sie und lächelt fies.
"Ich weiß jetzt wie Frauen ticken und glaub mir, die sind für mich gestorben. Du hast mir mehr weh getan, als jeder andere Mensch auf diesem Planeten es geschafft hätte."
"Denkst du wirklich, dass mir das leidtut? Also wirklich, Charlie! Du hast mir das doch nicht etwa abgekauft, oder? Ganz ehrlich ... Wer würde schon dich nehmen, wenn man Bill haben kann. Er ist erfolgreicher, einfühlsamer, hat einen besseren Job und sieht tausendmal besser aus als du! Ich frage mich mittlerweile, wie ich es nur zwei Jahre mit dir ausgehalten habe."
"Du hast gesagt, dass du ... Dass ... "
"Was? Dass ich dich geliebt habe? Tja, kann schon sein. Aber dann kam Bill. Und ich meine ... Der ist einfach der Hammer. Da hast du eben keine Chance", sagt sie und zuckt mit den Schultern. Dann fangen alle vier wieder an zu lachen. Ich will einfach nur weg hier. Ich halte es nicht mehr aus.
"Lasst mich in Ruhe, verdammt!", schreie ich und halte mir wieder die Ohren zu. Aber trotzdem höre ich sie noch genauso laut lachen.
"SEID RUHIG! LASST MICH IN RUHE!", schreie ich über den Lärm hinweg, aber es passiert nichts. Ich bin kurz davor, zu verzweifeln. Schließlich lehne ich mich an die Wand und lasse mich an ihr herabrutschen, bis ich auf dem Boden sitze.
"Charlie!", höre ich eine Stimme rufen, kann sie aber nicht zuordnen.
"Lass mich in Ruhe!", schreie ich wieder.
"Charlie!" Dieses Mal ruft sie lauter.
"Hau ab! Halt die Klappe!", brülle ich.