Ein winziges bisschen Eifersucht

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Die Woche verging elendig langsam. Ich hielt es kaum aus, ihn nicht zu sehen. Ihn nicht zu berühren. Ihn nicht zu küssen und nicht mit ihm zu schlafen. Es war, als hätte mich das erste Mal süchtig gemacht. Süchtig nach Sex. Süchtig nach ihm. Ich fühlte mich geliebt, wenn wir es taten. Wenn sein Körper an meinem rieb und kein Platz mehr zwischen uns war für Wut und Ärger und alles andere.

Aber es wäre auffällig, wenn ich jeden Abend noch später nach Hause kommen würde. Es hatte schon für genug Fragen gesorgt, als ich überhaupt über das Wochenende weg gewesen war. Mamma hatte mich so angesehen. Mit diesem Blick, als wisse sie alles. Wahrscheinlich dachte sie, ich hätte eine Freundin.

Samuele hatte mir einen ähnlichen Blick zugeworfen. Der war allerdings mehr etwas wie eine Warnung. Mein Vater und Rico hatten sich bisher hingegen überhaupt nicht dafür interessiert. Es war besser so. Keine Ahnung, was mein ältester Bruder machen würde, wenn er wüsste, dass ich mit seinem besten Freund schlief. Er wusste nicht einmal etwas von Tommys Wohnung. Wenn er es wüsste, würden die beiden nur noch dort abhängen und ich könnte nicht jederzeit hingehen. Schließlich machte es ja aus Ricos Sicht gar keinen Sinn, dass ich bei seinem Freund rumhing. Offiziell konnten wir uns immerhin nicht ausstehen.

Am Freitagabend tauchten die beiden gemeinsam Zuhause auf. Ich wäre Tommy am liebsten um den Hals gefallen. Hätte mich von ihm küssen lassen. Es war schwer, ihn nicht anzulächeln. Nicht meine Hand nach ihm auszustrecken.

Ich blieb auf meinem Bett hocken und folgte ihm mit meinem Blick zum anderen Ende des Zimmer, wo er sich neben seinen Kumpel auf dessen Bett warf. Wie immer sah er einfach unverschämt gut aus. Der Gedanke an das, was unter seiner Kleidung versteckt war, machte mich wahnsinnig.

Mein großer Bruder pfiff. So als würde er seinen Hund rufen. „Ey, Raffi!"

Ich zog die Brauen zusammen und nickte mit dem Kinn in seine Richtung.

„Was machst du?"

„Gar nichts." Ich klapperte mit dem Stift über die Ringspirale an meinem Zeichenblock. Wieder erwischte ich mich dabei, wie mein Blick zu Tommy wanderte.

Er hatte ein Pokerface aufgesetzt. Nichts in seinem Gesicht deutete auf letztes Wochenende oder die Nacht, in der er mir den Schlüssel gegeben hatte. Er sah mich nicht so an wie wenn wir allein waren. Ich ignorierte das Ziehen in meine Brust. Den Druck auf meinem Magen.

„Und was kritzelst du da schon wieder?", wollte Federico wissen. Ihm war langweilig. Offensichtlich.

„Bestimmt wieder irgendwas schwuchtelmäßiges." Er lachte. Tommy.

Es zerfetzte meine Organe. Dieser eine Satz. Und noch mehr sein gemeines Lachen. So oft hatte ich es in meinem Leben gehört. Teilweise mehrmals am Tag. Diese dummen Sprüche. Das Fertigmachen. Aber noch nie hatte es so sehr wehgetan. Vor fast einer Woche hatte er noch mit mir geschlafen. Er hatte mich schweben lassen. Nun verhielt er sich als wäre das nie geschehen.

Ich wandte meinen Blick ab und biss mir fest auf die Unterlippe. Keine Tränen. Nicht weinen! Normalerweise hätte ich etwas zurückgeworfen. Etwas, das auch nicht nett war. Aber ich hatte Angst, dass meine Stimme zittern und mich verraten würde. Ich umklammerte meinen Zeichenblock, wollte gerade doch meinen Mund öffnen, als der zweite Bruder mir zuvorkam.

„Ey, lass ihn. Der ist mies drauf."

Ich sah zu Samu auf. Mir war nicht aufgefallen, dass er ins Zimmer gekommen war. Er sah mich an. Viel zu lange. Er bohrte seinen Blick in meine Seele, ehe er aufs obere Bett stieg. Er hatte mich wahrscheinlich gerettet. Vor mir selbst. Dass ich mich und meine Gefühle verriet. Obwohl er wohl wusste, was los war. Oder gerade deswegen.

„Hast du Stress mit deiner Freundin?", fragte Rico. Er strich sich durch die dunklen Haare.

„Hm?!", kam es irritiert von mir. Automatisch sah ich zu Tommy. Das erste Mal an diesem Abend verriet sein Anblick mir, was in ihm vorging. Wahrscheinlich sahen unsere Gesichter gleichermaßen geschockt aus.

Der Älteste spielte mit seinem Feuerzeug herum. „Na ja das Kleid, das du letztens Nachts angefangen hast zu basteln. Dann warst du das ganze Wochenende nicht da. Und ich hab dich letztens in der Stadt mit dieser Blondine gesehen. Süßes Ding."

„Wann?" Obwohl die Frage mir selbst auf der Zunge gebrannt hatte, kam sie nicht von mir. Sie kam von Tommy. Es war dumm von mir. Aber ich machte mir Hoffnung, dass er vielleicht eifersüchtig sein könnte. Zumindest ein winziges bisschen.

„Keine Ahnung. Vor ein paar Wochen oder so."

„Du meinst wahrscheinlich Alex." Ich zuckte mit den Schultern und blätterte in meinem Block herum. „Und woher weiß du von dem Kleid?"

„Du hattest den Krempel im Wohnzimmer liegen. Nachts. Aber keine Ahnung, wo du warst. Da lag die Zeichnung von dem Kleid daneben. Also denk ich mal..." Er zuckte mit den Schultern. „Und ist diese Alex jetzt deine Freundin?" Er grinste mich blöd an. „Wenn nicht, kannst du sie mir ja mal vorstellen."

Ich verzog angewidert mein Gesicht und warf mein Stofftier nach ihm. „Alex ist viel zu jung für dich, du Abartiger! Außerdem hast du doch 'ne Freundin."

„Ach 'ne zweite Option kann nie schaden. Wenn du weißt, was ich meine." Rico wackelte mit seinen Augenbrauen. Natürlich wusste ich, was er meinte. Und ich fand es widerlich, wie er die Mädels nur als Optionen betrachtete. Als Sexobjekte und nicht als Menschen.

„Ekelhaft." Ich zog den Vorhang vor meinem Bett zu.

„Ist die Schnecke jetzt deine Freundin oder nicht?"

Ich gab nur ein Grummeln als Antwort.

Aber vielleicht war das gar keine blöde Idee, Alex als meine Freundin auszugeben. Das würde mir zumindest vor meinen Brüdern ein kleines bisschen Sicherheit geben.

Wolke null [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt