✧✧✧
Der Grund, warum ich nicht bemerkt hatte, dass wir vor einer Grenze standen, war der Tatsache geschuldet, dass sich die Vegetation von Gican weigerte, auch nur die geringsten Details zu ändern. Yessaia hatte tatsächlich keine Sorge haben müssen, dass ich aus seiner Behausung abhauen würde. Ich würde niemals den Weg zurück zum Sakella Wald finden. Was mich jedoch auf die Frage stieß, wie es dazu kam, dass sich alle anderen scheinbar problemlos hier draußen zurechtfanden.
Eigentlich hätte es schwieriger sein sollen, sich auf einer flachen Ebene von einem Haufen wütender Soldaten und einem rastlos wandernden König abzusetzen. Doch mit den verstreichenden Stunden passierte, was ich auch in den letzten Tagen hatte beobachten können. Die Sonne näherte sich dem Horizont und ihre ohnehin schon schwächlichen Strahlen wurden immer mehr von einem dicken aufziehenden Nebel verschluckt.
Das war mein Zeichen. So leise und unauffällig ein Mensch mit Brustpanzer schleichen konnte, stahl ich mich davon, bedacht darauf, die Spur nicht aus den Augen zu lassen. Leider stieg mit der Luftfeuchtigkeit auch mein mulmiges Gefühl. Das hier war anders als mit Henric und Jac hinter Riesen herzuschleichen.
Also in vielerlei Hinsicht. Aber hauptsächlich, weil ich auf mich selbst gestellt war.
Ohne Yessaias Hilfe war es außerdem schwieriger, immer sofort den nächsten Fußabdruck zu finden. Der Nebel verschluckte alles, was sich direkt vor oder hinter mir befand und große Teile meines Weges. Einmal glaubte ich, ein weit entferntes Pferdewiehern zu hören, doch nach scheinbar endlosen Herzschlägen, die ich bewegungslos hinter einem Busch verharrte, schalt ich meine eigenen Nerven für ihre Fantasie.
Und genauso unbedarft, wie ich um Wasserlöcher und Fallgruben herum stolperte, platzte ich auch in den Tatort. Natürlich wusste ich nicht sofort, wobei es sich hier handelte. Ich blieb mit meinem Schwert an einem Ast hängen, wäre beinahe gefallen, fluchte furchtbar schlecht und suchte dann verzweifelt nach dem nächsten Fußabdruck.
Dieses Bestreben stellte mich vor ein Problem. Denn anstatt, dass ich keinen fand und meine Spur endgültig verlegte, wie ich es bereits seit Stunden erwartete, fand ich gleich zwei mögliche Wege, die sich an einer Stelle trafen. Ihr Alter machte es unmöglich zu sagen, welche Abdrücke außer Cinis zu diesem Punkt führten und welche wieder fort. Und wer fortgegangen war.
Die Luftfeuchtigkeit zog langsam durch meine Kleidung unter der Rüstung. Mit einem ärgerlichen Schnauben ließ ich mich an der Weggabelung auf einen praktisch platzierten Stein nieder und starrte die verschiedenen Spuren grimmig an. Ich war keine Fährtenleserin. Ich war Heilerin. Und das noch nicht einmal wirklich. Ich hatte meine Lehrerin verloren und jeden Tag, den ich hier verstreichen ließ, verrottete ihre Seele wahrscheinlich schon in einem unbeschrifteten Grab.
Ich hatte mir selbst geschworen, ich würde sie retten, sie rächen, um Kaar zu beweisen, dass ich seine Magie wert war. Am Ende hatte Yessaia recht: Ich war in erster Linie eine Lügnerin.Das war so viel Selbstmitleid auf einmal, dass sogar Kaar davon angesteckt wurde.
Meine Augen wanderten über die Abdrücke und das durchweichte Loch, das sie in der Mitte zurückgelassen hatten. Die Spuren vermischten sich hier und waren gleichmäßig aufgeweicht und unleserlich. Cini musste jemanden an dieser Stelle getroffen haben.
Mein Herz machte einen Sprung und zog mich wieder auf meine müden Beine. Die Fußstapfen waren tief, was nur bedeuten konnte, dass sie sich länger hier aufgehalten hatte und die Natur noch nicht die Zeit gehabt hatte, alle Details zu verschlucken.Aufgeregt beugte ich mich herunter, schob Äste und Halme auseinander, auf der Suche nach dem Dolch. Ich wurde nicht fündig. Natürlich nicht. Wenn einmal etwas einfach an der ganzen Aufgabe sein würde, wäre es vermutlich eine Falle. Stattdessen wurde ich auf einen beinahe zertrampelten Busch aufmerksam. Jemand war hineingefallen. Fäden von grüner Kleidung hingen darin.
DU LIEST GERADE
Die letzte Nevanam - Band I
FantasyGanz Eslaryn freut sich auf die bevorstehende Hochzeit der Krone. Kaliee freut sich über Soldaten mit ausgekugelten Schultern. Denn wenn sie es nicht schafft, endlich eine vollwertige Heilerin zu werden, ist sie die Nächste auf dem Weg zum Altar. ...