Als Bahe die letzten Meter zu ihrem üblichen Treffpunkt zurücklegte, entdeckte er Huilan in der entgegengesetzten Richtung ähnlich weit weg. Scheinbar hatte er diesmal den Zeitpunkt recht gut abgepasst.
„Guten Morgen Huilan!", grüste er enthusiastisch, was seine Trainerin lächelnd erwiderte: „Morgen, Bahe!"
„Was steht heute an?", fragte Bahe danach vorsichtig. Nachdem er sich vor knapp zwei Wochen, mit seiner grandiosen Selbstüberschätzung beim Laufen, vor ihr völlig blamiert hatte, ging er wesentlich bedachter an seine Trainingseinheiten heran. Dennoch brannte es ihm auf der Seele endlich mal ein paar Selbstverteidigungstechniken zu erlernen.
„Hast heute wohl gute Laune, was?", meinte Huilan und zog die Brauen hoch.
„Joar...", zuckte Bahe mit den Schultern.
„Nun, dein Gewicht und... scheinbar auch deine Größe machen weiter Fortschritte", sagte Huilan mit einer kleinen Pause, als sie sich im Vergleich zu ihm vor ihn hinstellte.
„Hehe...", grinste Bahe breit beim Gedanken daran, dass er bereits das zweite Mal am heutigen Tag auf seinen Wachstumsschub angesprochen wurde.
„Wie viele Zentimeter bist du gewachsen?", hakte Huilan nach.
„Äh... habe ich noch gar nicht gemessen", antwortete Bahe.
„Wie viel hast du gestern gewogen?", stellte Huilan die nächste Frage.
„Tatsächlich fünfundfünfzig Kilo... es ist echt der Wahnsinn, wie viel ich in so kurzer Zeit zunehme...", erklärte Bahe.
„Na gut, dann können wir uns heute noch einmal an den Parkour heranwagen", meinte Huilan schließlich.
„Ähm...", begann Bahe.
„Ja...?", wurde er aber von der schmunzelnden Huilan unterbrochen.
„Na ja... ich frage mich, ob du mir nicht langsam mal ein paar Techniken zur Selbstverteidigung beibringen kannst?", sagte Bahe schließlich.
„Wieso?"
„Hä? Das wollte ich doch von Anfang an..."
„Nein, was ich meinte, war, wieso du so plötzlich wieder an Selbstverteidigungstechniken interessiert bist, obwohl du die letzten Wochen nie danach gefragt hast?", erklärte Huilan.
„...", für einen Moment wusste Bahe nicht wie er darauf antworten sollte.
„Was hat sich für dich verändert?", hakte Huilan misstrauisch nach.
„Hah...", stöhnte Bahe und sagte: „Na ja... ich habe da so eine Ahnung... Befürchtung... vielleicht irre ich mich auch... aber auf jeden Fall möchte ich mich oder meine Familie im Notfall verteidigen können. Ich meine, ich weiß, dass ich körperlich noch lange nicht so weit bin, einen Kampf fair gewinnen zu können. Aber es muss doch irgendetwas geben, was es mir und meiner Familie erlaubt sicher körperlicher Gewalt erwehren zu können, oder?"
„Hmm...", gab Huilan von sich und verschränkte die Arme vor der Brust, ehe sie meinte: „Es gibt durchaus Techniken, die einen ahnungslosen Angreifer übel zurichten können, aber genau darin liegt das Problem. Du musst dir über die Konsequenzen deiner Taten bewusst sein und da bin ich mir bei dir gerade nicht so sicher."
„Hä? Ich würde doch niemals irgendjemanden einfach so Gewalt antun!", erklärte Bahe entrüstet.
„Aber du willst offensichtlich Selbstverteidigungstechniken erlernen, um danach deiner Familie zur Hilfe eilen zu können, indem du diese Techniken anwendest. Habe ich recht?", entgegnete Huilan.
„Ähm... ja", meinte Bahe, da er daran nichts Verwerfliches finden konnte.
„Und genau das ist die falsche Einstellung", schüttelte Huilan resigniert den Kopf.
„Wie meinst du das?", fragte Bahe.
„Kampftechniken zur Selbstverteidigung sind nur für den absoluten Notfall gedacht und nicht, um damit einen schon bestehenden Konflikt zu Ende zu bringen", führte Huilan aus.
„Das heißt, ich darf die Techniken nur anwenden, wenn ich angegriffen werde, aber nicht, wenn meine Familie zusammen geschlagen wird?", blaffte Bahe diesmal ziemlich ungläubig.
„Fast", nickte Huilan ernst und erklärte: „Natürlich darfst du deiner Familie zur Hilfe eilen. Aber dein erster Gedanke darf niemals sein, direkt Gewalt ausüben zu wollen, auch keine Selbstverteidigungstechniken, sondern du solltest versuchen, die Situation anderweitig zu entschärfen. Benutze deinen Kopf und labere die Angreifer voll, versuche sie irgendwie davon abzubringen weiter gewalttätig zu sein. Sie wollen dich demütigen? Na und? Dann ist das eben so. Lass es über dich ergehen, Hauptsache du musst nicht handgreiflich werden, denn falscher Stolz hat noch niemanden geholfen."
„...", sprachlos starrte Bahe seine Trainerin an und wusste nicht so recht, was er von diesem Vortrag halten sollte.
Huilan die merkte, dass er immer noch nicht gänzlich überzeugt war, fügte noch hinzu: „Denke immer daran, sobald du handgreiflich wirst, nur weil es die Angreifer auch sind, bist du nicht anders wie sie. Ab diesem Moment gehörst du zu dem gleichen Abschaum, den zu bekämpfen glaubst und das ist die Gefahr, der alle Kampfsportler Tag ein Tag aus ausgesetzt sind."
„Verdammt, du bist mit vierzehn schon sowas von einer Lehrmeisterin... Wie all diese alten Shaolinmönche im Fernsehen, die immer von Vergeben und so weiter predigen", seufzte Bahe erstaunt darüber wie erwachsen Huilan bereits war.
Huilan musterte ihn daraufhin mit strenger Miene und Bahe beeilte sich hinzuzufügen: „Aber ich denke, ich habe verstanden, was du meinst."
„Besser...", nickte Huilan grimmig. „Immer noch nicht gut, aber besser..."
„Also...?", fragte Bahe zögerlich. „Gibt es irgendetwas, was ich in meinem Zustand schon erlernen kann?"
„Nun ja...", seufzte nun Huilan. „Richtige Techniken gibt es für so einen blutigen Anfänger wie dich eher nicht. Einfacher ist es, zu überlegen, was die empfindlichsten Stellen des Körpers sind?"
„Äh...", stieß Bahe aus, bevor er laut überlegte. „Das Gesicht... die Weichteile..."
„Jein...", erklärte Huilan. „Viel einfacher. Alles was du dafür brauchst ist ein Wort... Song!"
„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr...", gab Bahe sich geschlagen.
„Die Weichteile waren schon ganz richtig", grinste Huilan. „Aber der Reihe nach... Die empfindlichsten Stellen am Köper sind Bereiche, die nicht perfekt von unseren Knochen oder Muskeln geschützt werden und daher angreifbar sind. Mein Beispiel zum Merken ist der Song oder besser S. O. N. G. Komme mal her."
„Klar...", meinte Bahe und trat näher an Huilan heran.
„Also als Verdeutlichung", begann Huilan und deutete auf seinen Brustkorb gerade unterhalb der Rippen. „S. für Solarplexus, O. für Onkel, also der dicke Zeh, N. für Nase und G. nun ja...", unterbrach Huilan schmunzelnd, ehe sie verhalten grinsend fortfuhr und auf seinen Schritt zeigte: „G. für Glocken."
Wer kann mir sagen, woher die Inspiration für dieses Kapitel kam? XD
Teil 2/2! :-)
Bis Donnerstag!
RiBBoN
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Die Legende vom Elementflüsterer - Band 3
FantasyMehrere Wochen ist es inzwischen her, dass Bahe es wagte, sich für für das Online-Spiel "Raoie" anzumelden. Vieles besserte sich bereits, sowohl im Spiel als auch in der Realität. Während Bahe zu Beginn noch in seinen Erfolgen schwelgt, muss er weni...