Die Wilde in mir

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Meine Lippen glühten vor Hitze und prickelten gleichzeitig als würden tausend winzige Käfer darüber hüpfen.

Als Patroclos sich von mir löste, öffnete ich die Augen nicht gleich. Vielmehr kaute ich auf meiner Lippe, um das Kribbeln zu verdrängen.

Meine Lungen füllten sich endlich mit Luft. Und mein Kopf mit viel zu vielen nagenden Gedanken. Um mich davon zu befreien, hob ich meine Augenlieder.

Wahrscheinlich hatte das Ganze nur einen kurzen Augenblick gedauert, auch wenn dies mein pochendes Blut völlig anders beurteilte.

Ein dunkelblaues Augenpaar sah mich überrascht und doch mit so viel Sehnsucht an, dass es mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Es schien, als würden die hellblauen Strahlen in Patroclos’ Augen zu leuchten beginnen. Dann schien er zu realisieren, was er gerade vollzogen hatte und drehte sich ab.

Dies hätte mich enttäuscht, hätte Patroclos’ Profil nicht auch vor Glück geglänzt. Obwohl ich ihn kaum kannte, wusste ich, dass ihm dieser Moment genauso viel bedeutet hatte, wie mir.

Dieser eine Augenblick war der erste seit wir uns zum ersten Mal begegnet waren, da ich in sein Innerstes hineinblicken konnte.

Schnell löste ich meinen Blick von ihm, um ihn nicht anzustarren. Ungläubig über das gerade Geschehene hob ich meine Hand zu meinen Lippen. Betastete die Stellen, die noch gerade vorher Patroclos berührt hatte.

Nun kribbelte mehr mein Bauch als die Haut unter meinen Fingern.

Eine kleine Weile schwebte ich noch und liess das wunderschöne Gefühl meinen ganzen Körper erwärmen. Dann zog ich meine Beine an und legte mein Kinn auf die Knie. Mein Blick traf erneut den von Patroclos. Wir sahen uns verwirrt und ungläubig an, bis er leise anfing, zu lachen. Wieder stimmte ich mit ein. Sein Lachen war so tief und doch so göttlich, dass mir das Atmen fast schon erschwert wurde.

„Der letzte Schliff“, sagte der muskulöse junge Mann und zeigte mir seine Wangengrübchen.

Natürlich wusste ich darauf nichts Gescheites zu antworten.

„In gewissen Zeiten wird dein Inneres viel mehr gelten als dein Aussehen.“

„Und wieso trage ich dann in genau diesem Moment eine Schmutzschicht auf meinem Gesicht?“, fragte ich ihn herausfordernd.

„Andererseits werden kaum viele die Möglichkeit bekommen, dich wirklich kennen zu lernen. Daher gilt natürlich dennoch vor allem das Äussere“, widersprach er weiter sich. Unsicherheit. Patroclos war sich bisher immer so im Klaren gewesen.

„Gewiss“, antwortete ich ihm nur.

„Dennoch wird dir ein wenig mehr Selbstbewusstsein nicht schaden“, legitimierte er seine Tat.

Plötzlich wurde mir bewusst, wie sehr ich mich wirklich verändert hatte. Vor meinem Eintritt in die Kriegerausbildung hatte ich vor Selbstvertrauen nur so gestrotzt. Ansonsten hätte ich den Schritt aus meiner vertrauten Umgebung wohl nie gewagt. Doch nun, da mir so viel Schreckliches wiederfahren war und ich mich unter einer Horde Krieger jeden einzelnen Tag hatte beweisen müssen, war ich unsicherer geworden. Zwar körperlich stärker, aber dennoch vorsichtiger.

„Und ein bisschen kräftigere Arme“, machte ich einen etwas unglücklichen Versuch, ironisch zu sein.

Patroclos lächelte, wohl mehr aus Anstand. Auch ich musste plötzlich lachen, nicht aber des Witzes wegen. Sondern aufgrund seiner anständigen Geste und weil sie in Kombination mit meinem ganz offensichtlich lahmen Witz einfach zu komisch war.

Dieses wunderschöne Augenpaar sah mich kurz überrascht an, dann legte sich Patroclos eine Hand über die Augen. Lachend schüttelte er seinen Kopf.

Die letzte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt