42. Kapitel

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G E O R G I E




Das Portal hatte uns mitten in den schmalen, wendigen Gassen von Minkaujin ausgespukt. Ich war froh, dass uns so die lange Reise über See erspart geblieben war und ich nicht herausfinden musste, ob ich meinen Mageninhalt entleeren und mich übergeben musste wie heute Morgen. Mir graute immer noch bei der Erinnerung an Daemon und seinem Geschenk. Blair hatte nach der Prüfung heute morgen erfahren, was ihrem Vater geschehen war. Sie hatte sich weinend in meine Arme geworfen und ich hatte sie getröstet, während ich Daemon heimlich den Tod geschworen hatte. Ich konnte ihren Verlust nachvollziehen, kannte den ziehenden, tiefreichenden Schmerz, der einem das Herz aus der Brust riss und die Rippen zerschlug. Nur mit dem Gedanken, dass Tiam bei ihr war und nicht von ihrer Seite weichen würde, hatte ich mich der Reise anschliessen können.

Ich richtete den Bogen, den ich um meinen Rücken geschlungen hatte, während ich neben Beau die belebten Strässchen der Feuer Inseln durchschlenderte. An den geschwungenen, überkragenden Enden der Hausdächer hingen rote, kugelrunde Laternen, auf denen goldene Symbole aufgemalt waren. Leute tummelten sich auf der Gepflasterten Strassen, lautes Geschwätz flog mir von allen Seiten um die Ohren. Ware wurden angeboten und verkauften. Sie brüllte ihre Preise, versuchten Kundschaft in ihre Geschäfte zu locken.

»Hasenfuss für nur ein Goldstück!«

»Hübsche Hanfu-Kleider zum Sonderpreis!«

Xenos war so gross und breit, dass er wie ein Leuchtfeuer aus der Masse herausstach. Er lief mit Arya neben Reyna her, die uns zum königlichen Palast geleitete – und das in einem Schneckentempo. Jeder Insulaner, der Reyna entdeckte, stürmte herbei, kniete sich vor ihr hin und stiess ein weinendes Gebet aus, bei der Erleichterung, dass sie zurückgefunden hatte. Was mich jedoch erstaunte, war nicht die gross gehegte Ehrfurcht vor ihrer Prinzessin, sondern mit welchen lieblichen Gesten Reyna darauf reagierte.

Sie ermahnte jedem ihres Volkes aufzustehen und umarmte sie dann. Mit einem grossen Lächeln im Gesicht teilte sie ihnen mit, wie sehr sie sich freute, wieder zu Hause zu sein, und beteuerte jenen, die ebenfalls Familienmitglieder vermissten, ihr restliches Volk zurückzuholen.

Auch wenn ich die wunderschöne Insulanerin zu Beginn nicht ausstehen konnte, so wie Beau sie sorgenvoll ins Heilzimmer getragen hatte, schämte ich mich nun meiner Gedanken. Sie war eine gütige Prinzessin, das Volk verehrte sie regelrecht. Wie konnte ich über sie hergezogen haben, wenn auch nur in meinem Kopf?

Mit der Sonne, die gerade ihren Höchststand erreicht hatte und so auf mich herunter strahlte, meine Haut in der Hitze brutzeln liess, verfluchte ich meine Kleiderwahl. Ich hatte mich für schwarze, enganliegende Hosen und einer altrosa Bluse entschieden. Nun, mir war nicht klar gewesen, wie hoch die Temperaturen der Feuer Inseln tatsächlich waren.

Ich fächerte mir Luft zu und passte meine Schritte Beaus an. Er machte ein ernstes Gesicht. Seine Züge waren hart geschliffen und alle machten einen grossen Bogen, sobald sie seinem warnenden Blick entgegengesehen hatten. Seine Hand in meiner war Krallen besetzt. Sein Wolf war nicht behaglich zu mute, umgeben von diesem Meer an Fremden, die uns ihre Ware vor die Nase hielten und uns aufforderten, ihnen etwas abzukaufen. Würde ich meine Wölfin spüren, dann wäre mir wohl ähnlich zumute, doch so witterte ich in der Luft und genoss die neuartigen Gerüche der Gewürze, die meine Nase hochkrochen. Szechuanpfeffer, Zimt, Ingwer, Dou Chi, Kandiszucker.

Ich sah, wie Seide in aller Farbe herumgereicht wurde, Körbe mit Hibiskusblumen. Dann schubste mich jemand versehentlich und ich stolperte. Beau zog mich ruckartig an sich, den Arm schützend um meine Schultern gelegt.

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