Kapitel 15 - Wie man einen Fluch bricht

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Avery warf Aristes einen Blick zu, bevor sie die Seelensense hervor holte, deren Klinge überraschenderweise nicht mehr durchsichtig war, sondern im Mondlicht golden schimmerte.

»Wow«, hauchte Avery, von sich selbst verblüfft. Sie reichte das Werkzeug an Aristes, der es vorsichtig nahm und Jasper in die Augen sah.

Blinzelnd versuchte Jasper bei Bewusstsein zu bleiben. Schmerz legte sich wie ein roter Schleier über jeden einzelnen seiner Sinne und ließ ihn nach Luft schnappend und zitternd zurück. Sein Körper stand in Flammen und er wollte, dass es aufhörte. Er würde alles dafür tun, dass es aufhörte und er verstand, dass das genau das war, was der Fluch wollte. Noch ein wenig länger und Jasper würde sich freiwillig von einem Hausdach stürzen, um dem ganzen ein Ende zu bereiten.

»Ari«, krächzte er. »Mach, dass es aufhört. Bitte.« Aristes sah ihn an, hin und her gerissen zwischen dem Wunsch zu helfen und der Angst, ihn zu verletzen. Er nahm einen tiefen Atemzug, bis seine eigenen Finger aufhörten zu zittern bevor er nickte.

»Ja, okay. Lass uns den Fluch brechen«, sagte er leise und Jasper war sich nicht sicher, ob er sich die Tränen in seinen Augen einbildete oder nicht. Nichtsdestotrotz war er schockiert genug darüber, den Dämon so aufgelöst zu sehen, dass es einen Moment dauerte, bis er die Klinge bemerkte, die Aristes durch seine Brust drückte. Jasper sah an sich herab, auf die Seelensense, die in seinem Körper versank, als wäre er aus Lehm. Es strömte kein Blut aus der Wunde, stattdessen fühlte Jasper sich, als würde er von Innen heraus zu Eis erstarren. Für einen kurzen Moment dämpfte die Kälte das Brennen des Fluchs. Dann setzte der Schmerz ein und Jasper schrie auf.

»Hilf mir ihn festzuhalten«, wies Aristes Avery an und gemeinsam drückten sie ihn zurück ins Gras, als Jasper sich wehrte.

»Es tut mir leid. Es tut mir so leid, Jasper. Es wird alles gut, vertrau mir. Es tut mir so leid«, flüsterte Aristes und strich mit seiner freien Hand über Jaspers Stirn.

Jasper konnte nicht antworten. Seine Sicht verdunkelte sich, als würde jemand das Licht dimmen. Fühlte es sich so an, wenn man starb? Er spürte wie all die Kraft aus seinen Gliedmaßen entwich. Sein Körper erschlaffte wie eine Puppe und seine Gedanken verschleierten, wurden gedämpft, als wären sie weit weg, außer Reichweite. Es war, als würde ihm seine Lebenskraft entzogen und Jasper wusste auch warum.

Er nimmt sich meine Seele, wurde ihm in dem Moment klar. Du hast versprochen, auf sie aufzupassen. Bitte iss sie nicht.

Jasper hätte gelacht, hätte er dazu die Kraft, doch alles was heraus kam, war ein leises Ausatmen, das sich anhörte, wie sein letzter Atemzug. Das Letzte, das er wahrnahm, war Aristes, der seine Hand drückte.

Dann versank Jaspers Welt in Dunkelheit.



Währenddessen war Aristes damit beschäftigt, mit zitternden Händen und klopfendem Herzen, Jaspers Seele zu extrahieren. Freigesetzt durch die Klinge, die noch immer in Jaspers Brust steckte strömte sie aus der Wunde in Jaspers Brust wie eine Kugel aus reinem, buntem Licht. Weiß glühend malte sie bunte Schatten auf das Gras, befleckt nur von den dunklen Ranken des Fluches, der sich wie ein Parasit um Jaspers Seele wickelte. Aber darunter war die pulsierende, leuchtende Lebenskraft, die Jasper zu dem machte, der er war.

Als Aristes Jaspers Seele sah, gingen ihm zwei Gedanken durch den Kopf: Jaspers Seele war die Schönste, die er je gesehen hatte. Und dass er es nicht wollte.

Aristes wandte seine Augen ab, suchte und fand Avery, die mit einem ehrfürchtigen Ausdruck im Gesicht auf der gegenüberliegenden Seite von Jasper kniete.

between the shadow and the soulWo Geschichten leben. Entdecke jetzt