Sigriswiler wehrten sich nicht gegen die Reformation
Vor 500 Jahren begann die Reformation. Sie erreichte schon bald darauf auch das Oberland. Der ländliche Teil tat sich schwer damit. Nicht so die Sigriswiler, welche sich der Obrigkeit in Bern fügten.
«Beim Brand des Pfarrhauses 1671 gingen leider fast alle Aufzeichnungen verloren», sagt Vinzenz Oppliger. Der Sigriswiler Alt-Kirchgemeinderatspräsident ist aus Anlass des 500-Jahr-Jubiläums des Beginns der Reformation in die Geschichte der Gemeinde eingetaucht. Seine Recherchen hat Oppliger in einer Broschüre zusammengetragen. «Ich bin an historischen Themen interessiert. Deshalb habe ich den Aufwand gerne auf mich genommen», sagt Oppliger.
Eine wichtige Quelle war für ihn das Jahrzeitenbuch von Sigriswil. Unter dem Priester Peter von Oppenheim wurden 1384 die ersten Einträge darin gemacht. Aufgeführt wurden unter anderem die Vergabungen. Damit verfolgten die Gläubigen das Ziel, die Verstorbenen vom Fegefeuer zu erlösen.
Sigriswil gehörte vor der Reformation – wie alle Kirchgemeinden rechts der Aare – zum Bistum Konstanz, diejenigen auf der linken Seite zum Bistum Lausanne. Patron der Kirche von Sigriswil war der Heilige Gallus. 1518 erreichte die reformatorische Botschaft über Luther-Schriften die Stadt Bern. Sie fand bei Geistlichen und Laien in der Stadt und deren Umgebung zunehmend Resonanz.
Die Anfänge in Sigriswil
Die Reformation liess sich nicht mehr aufhalten. 1525 wurde Albrecht Vogt, Chorherr von Interlaken, als Leutpriester nach Sigriswil geschickt. Er folgte dem Befehl zur Teilnahme an der Berner Disputation von 1528 und unterschrieb dort die Reformationsthesen. In der Folge wurde er beauftragt, als Pfarrer die Reformation in Sigriswil einzuführen.
In den Schlussreden der Disputation sind 10 Thesen aufgestellt worden. So hiess es unter anderem: «Bildermachen zum Zweck der Verehrung verstösst gegen Gottes Wort. Darum sind sie zu beseitigen». Die Altäre wurden in der Folge aus der Kirche Sigriswil entfernt, die Fresken weiss übermalt, die Beinhauskapelle abgerissen und Bildstöcke und Kruzifixe an den Wegen entfernt. «Was mit den Altären und Heiligen-Statuen in Sigriswil geschehen ist, bleibt offen», sagt Oppliger. Das Jahrzeitenbuch sei nicht mehr weitergeführt worden und könne deshalb keinen Aufschluss darüber geben.
Angst vor Plünderungen
«Das Landvolk hing mehr an den Traditionen als die durchmischte Stadtbevölkerung», sagt der ehemalige Kirchgemeinderatspräsident weiter. Die Sigriswiler hätten sich aber offenbar den Anordnungen des Staats gefügt. «Das hat mich überrascht», sagt Oppliger, «da die Sigriswiler als aufmüpfig galten». Es liege nahe, dass sie sich erhofften, von den Abgaben erlöst zu werden. «Die Rechnung ging aber nicht auf. Die Sigriswiler mussten die Steuern anstatt der Kirche nun dem Staat abliefern.»
Die Einführung der Reformation ging im Oberland insgesamt nicht so leicht von statten. In Interlaken raufte sich ein ansehnliches Heer von Unzufriedenen zusammen, verstärkt durch Vertreter aus der katholischen Zentralschweiz. Man plante einen «Marsch auf Bern». Dieser sollte über Beatenberg und Sigriswil erfolgen. «Die Sigriswiler befürchteten Plünderungen und wandten sich an Bern um Hilfe», schreibt Oppliger in seiner 26-seitigen Broschüre. Die Berner Truppen konnten schliesslich die Aufständischen ohne Kampf vertreiben.
«Die Sigriswiler befürchteten wohl Plünderungen und wandten sich an Bern um Hilfe.»
Die Sigriswiler liessen zwar die Reformation über sich ergehen, duldeten aber weiter, dass der Pilgerweg für Wallfahrten zu den Beatus-Höhlen benutzt wurde, sagt Oppliger. Die Regierung liess in der Folge die Höhlen zumauern sowie Kirche und Pilgerherberge zerstören. Unterwaldner liessen sich davon aber nicht vor weiteren Wallfahrten abhalten und brachen die Mauer wieder auf. Die Regierung mauerte daraufhin die Höhlen abermals zu. Zudem liess sie als Gegengewicht zum Beatus-Kult in den Jahren 1534/35 auf dem Beatenberg eine reformierte Kirche bauen.
Irgendwann rissen die Sigriswiler die Bildstöcke mit katholischen Motiven am Pilgerweg ab. Als Bildstock wird ein religiöses Kleindenkmal bezeichnet. Um das Gedenken an die Bildstöcke zu löschen, errichtete die Regierung an ihrer Stelle in Gunten und Merligen die Wirtschaften «Zum Kreuz». Aber auch fast 500 Jahre später tragen diese Gaststätten im Volksmund den Namen «Stock». Es sei faszinierend, wie sich die Namen gehalten hätten, sagt Oppliger. «Auch wenn heute fast niemand mehr weiss, wieso man Stock und nicht Kreuz sagt.»
Vorerst blieben die vielen Feiertage des katholischen Heiligenkalenders bestehen. Gallus- und Verenentag wurden in Sigriswil gemäss Kirchenrechnung von 1722 bis ins 19. Jahrhundert mit Abendmahl gefeiert, und bis 1860 wurde sogar noch der Maria Verkündigung gedacht.
Strenge Kirchendisziplin
Damit der neue Glaube auch gelebt wurde, setzte die Obrigkeit 1529 in jeder Kirchgemeinde ein Chorgericht ein. In den Chorgerichtsmanualen wird von einer strengen Kirchendisziplin berichtet. Christen Sauser kam in die «Trülle» – ein sogenanntes Drehhäuschen, in welchem Fehlbare öffentlich zur Schau gestellt wurden, weil er am Sonntag Weiden gehauen und Trauben gestohlen hatte. Pintenwirte und ihre Kunden wurden wegen Wirtens während der Predigt gebüsst. Sogar der bekannte Arzt, Doktor Johannes von Gunten, musste wegen Wirtens und Tanzmusikmachen im eigenen Haus eine Busse von 10 Pfund zahlen.
Für schlimmere Vergehen drohte das Gefängnis, das sich im heute als Gemeindegewölbe bekannten Gebäude befand. Das Chorgericht und der Pfarrer kontrollierten zudem den Unterweisungs- und Schulbesuch.
Pfarrer waren auch Landwirte
Die Obrigkeit in Bern setzte neu die Pfarrer ein. Mit der aktualisierten Kantonsverfassung von 1846 wurde die Gemeinde Wahlbehörde für die Pfarrer. Das Einkommen des Pfarrers bestand zu Beginn nur zum kleineren Teil aus einem Sold. «Der grössere Teil stammte aus dem Ertrag des sogenannten Pfrundguts», sagt Oppliger.
Darauf sind die Namen «Chüejerhüsi» und «Pfrundschüür» zurückzuführen, die bis heute Bestand haben. Das «Brunnehüsi» war der Holzschopf. Je nach dem zu erwartenden Ertrag waren die Pfründen bei den Pfarrern mehr oder weniger beliebt. Sigriswil war insgesamt eines der reicheren Pfrundgüter.
1806 übernahm dann der Staat die Pfrundgüter und verpflichtete sich im Gegenzug, die Pfarrer zu besolden. Mit der neuen liberalen Verfassung von 1831 wurde schliesslich das Chorgericht aufgehoben.
Die Broschüre «Wie Sigriswil die Reformation erlebte» ist auf dem Sekretariat der Kirchgemeinde Sigriswil erhältlich.
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