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Krieg in Gaza
Ein Vater, der seine Kinder nicht beschützen kann

TOPSHOT - Children sit on a couch amid the destruction following an Israeli strike in the Nuseirat refugee camp in the central Gaza Strip on November 7, 2024, amid the ongoing war between Israel and Palestinian Hamas militants. (Photo by Eyad BABA / AFP)
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In Kürze:
  • Abdul Hadi Awkal berichtet von gravierenden Kriegsfolgen in Gaza.
  • Viele Menschen, darunter Kinder, starben bei einem israelischen Angriff.
  • Yoav Gallant sieht keine militärische Notwendigkeit, den Krieg fortzusetzen.
  • Menschenrechts­organisationen warnen vor «ethnischen Säuberungen» in Gaza.

Abdul Hadi Awkal sieht den Krieg in seiner Wohnung, die durch einen israelischen Luftangriff beschädigt wurde. Er kann ihn riechen, wenn er durch die Trümmer im Norden des Gazastreifens läuft, wo Hunderte Leichen noch unter den Bruchstücken der Häuser liegen. Er kann ihn hören, nachts, wenn die Kampfflugzeuge ihre Bomben abwerfen, und am Tag, wenn die israelischen Drohnen über ihm fliegen und nach neuen Zielen suchen oder diejenigen unter Beschuss nehmen, die den Verletzten der Nacht helfen wollen. So erzählt er es in Whatsapp-Nachrichten, das Netz ist zu schwach für ein Telefonat.

Awkal (42) berichtet von seinen kranken Kindern, die in kein Spital mehr gehen können, der Ältere hat Krebs, der Jüngere einen Wasserkopf. Er erzählt, wie er und seine Familie seit Monaten flüchten müssen, immer wieder, sein eigenes Haus wurde im März getroffen, jetzt ist er mit seiner Frau und den sieben Kindern bei der Schwester untergekommen. Es gibt kaum Privatsphäre und kaum zu essen. Auf die Strasse können sie nicht, weil es zu gefährlich ist, die Bomben, die Drohnen.

Ex-Verteidigungsminister: «In Gaza gibt es nichts mehr zu tun»

Mehr als 43’000 Menschen hat der Krieg gegen Gaza nach palästinensischen Angaben bisher das Leben gekostet, die UNO hat in der vergangenen Woche eine Berechnung vorgelegt, nach der 70 Prozent von ihnen Frauen und Kinder sind. Die israelische Armee spricht immer wieder von terroristischen Zielen, die sie ins Visier genommen habe, von Hamas-Terroristen, die sich hinter Zivilisten verschanzten. Letztlich gibt es aber keinen militärischen Grund, diesen Krieg weiter in dieser Härte zu führen. So sieht es selbst der kürzlich von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu entlassene Verteidigungsminister: «Es gibt in Gaza nichts mehr zu tun. Die wichtigsten Errungenschaften sind erreicht», zitierte der israelische TV-Kanal 12 News den gefeuerten Yoav Gallant. «Ich fürchte, wir bleiben nur dort, weil es einen Wunsch gibt, dort zu sein.»

Gallant hat früher selbst einmal als Offizier die Gaza-Division der israelischen Streitkräfte geführt. Er hat auf Härte gesetzt. Er hat aber auch immer gesagt, dass Israel seine Ziele nie ausschliesslich auf militärischem Weg erreichen werde, dass es eine politische Lösung brauche.

Der «Plan der Generäle»

Auch deshalb feuerte ihn Netanyahu. Gallant war womöglich ein Hindernis für sein Ziel, möglichst viele Palästinenser aus dem Norden Gazas zu vertreiben. Als der «Plan der Generäle» ist dieses Vorhaben in Israel bekannt, als eine Idee pensionierter Offiziere. Ihr Vorschlag: Alle Zivilisten sollten den Norden verlassen, der Rest werde als Terroristen betrachtet und ausgehungert. Anschliessend solle Israel dort die Kontrolle dauerhaft übernehmen.

Israels Regierung dementiert, den Plan in die Realität umzusetzen. Mehrere israelische Menschenrechtsorganisationen glauben aber, dass genau dies passiere. Es gibt Evakuierungsaufrufe für grosse Gebiete im Norden Gazas, Militäroffensiven, in den ersten beiden Wochen des Oktober kam so gut wie keine Hilfe nach Gaza. Und vor wenigen Tagen gab ein General bekannt, dass keine palästinensischen Flüchtlinge in den Norden zurückkehren dürften und es dort keine humanitäre Hilfe mehr geben solle.

TOPSHOT - A young Palestinian girl reacts in the courtyard of the al-Shifa hospital in Gaza City after the bodies of victims were transported there, following an Israeli strike that hit a school-turned-shelter in the Al-Shati refugee camp on November 7, 2024, amid the ongoing war between Israel and the Hamas militant group. (Photo by Omar AL-QATTAA / AFP)

Die Landschaft sehe aus wie die Bilder von Stalingrad oder Dresden nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt Jan Egeland, der Chef des Norwegian Refugee Council, einer der grossen Hilfsorganisationen, die noch in Gaza aktiv sind, nach einem Besuch vor Ort. «Dies ist keine Selbstverteidigung. Dies ist keine gezielte Bekämpfung von Kämpfern im Krieg gegen den Terror. Natürlich hat die Hamas auch Kämpfer, die von zivilen Gebieten aus kämpfen, und das ist ein Kriegsverbrechen», sagte Egeland. «Aber das rechtfertigt keine Kriegsverbrechen auf der anderen Seite. Israel sollte besser sein als das. Und diejenigen, die Israel unterstützen, müssen es zwingen, damit aufzuhören.»

Abdul Hadi Awkal ist bisher im Norden geblieben. Wie soll er flüchten, mit der ganzen Familie, wenn schon der Weg zum Lebensmittelkaufen gefährlich ist? «Die israelische Armee wirft mit Drohnen kleine Bomben auf Zivilisten ab», schreibt er. So sitzen sie vor allem zu Hause, in der kleinen Wohnung der Schwester, die auch schon bei einem Angriff getötet worden sei. Zu essen gebe es nur Hülsenfrüchte, Bohnen, Linsen, Erbsen, alles aus Dosen. Manchmal dazu Reis. «Das Essen beeinflusst unsere Gesundheit», schreibt Awkal.

«Die Bombardierungen hören nicht auf»

Sein älterer Sohn Karim leidet unter dem Burkitt-Lymphom, das zu den am schnellsten wachsenden Tumoren zählt, aber oft gut auf eine Strahlentherapie reagiert. Die gibt es für Karim allerdings nicht mehr, seit Monaten schon hätte er eine Kernspintomografie bekommen sollen, die derzeit kein Spital mehr für ihn anbieten kann. Awkal hat versucht, den Sohn ausser Landes zu bringen, die Grenzen aber sind zu, auch für medizinische Notfälle. «Die Situation ist tragisch», schreibt Awkal. «Die israelischen Bombardierungen, ob aus der Luft oder mit Artillerie, hören nicht auf, und das macht meinen Kindern Angst.» Er ist ein Vater, der seine Kinder nicht beschützen kann.

Früher hat Awkal als Journalist gearbeitet, für die «Stimme Palästinas», die offizielle Radiostation der Palästinensischen Autonomiebehörde. Das kann er kaum noch, weil sein Laptop und seine Kameras zerstört wurden, als im März Bomben auf sein Haus fielen. Nach Berechnungen des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) sind in einem Jahr 129 palästinensische Journalisten getötet worden. Viele davon seien absichtlich ins Visier genommen worden, ohne dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden seien. Es müsse endlich aufhören, schreibt Abdul Hadi Awkal.

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