MONTERO

MONTERO

Lil Nas X ist das beste Beispiel dafür, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben. Seine bahnbrechende Single „Old Town Road“ zwang die Branche dazu, alte Diskussionen über die Grenzen von Genres und Ethnien erneut aufzugreifen und folglich auch darüber nachzudenken, wer durch die Definitionen von und in der Musik ausgeschlossen (oder eingegrenzt) wird. Der aus Georgia stammende Sänger und Rapper reagierte darauf mit einem Remix und Remixen zu diesem Remix, die ihn in den Charts nach oben katapultierten und gleichzeitig die Unmöglichkeit des gesamten Unterfangens deutlich machten. Ist die Zusammenarbeit mit Billy Ray Cyrus plötzlich aussagekräftiger in Bezug auf Lil Nas X’ Country-Qualitäten als die Kollabos mit Young Thug oder Diplo es je in Bezug auf Trap beziehungsweise elektronische Musik sein konnten? Aber das ist eben der Zauber von Lil Nas X und seinem Debütalbum „MONTERO“, denn er weiß, dass Popmusik vor allem eines ist: das, was man erschaffen möchte, eine Übung in verletzlichen Fantasien, verpackt als unbeugsames, überlebensgroßes Selbstbewusstsein.„Ich glaube, ich wusste genau, was ich mit diesem Album will“, sagt er Zane Lowe von Apple Music. „Ich weiß, was ich will. Ich weiß, wo ich im Leben sein möchte. Und ich weiß, dass ich dafür offener sein und es aus mir herausholen muss – egal wie sehr es schmerzt oder wie unangenehm es ist, Dinge zu sagen, die ich sagen muss.“ Diese Ambivalenz kommt in den Songs jedoch nicht explizit zum Ausdruck, denn Lil Nas X durchstreift seine Gedankenräume ebenso offen wie seine unterschiedlichen Stilvorlieben, die von Emo und Grunge bis hin zu Indie-Pop und Pop-Punk reichen. In „DEAD RIGHT NOW“, einem donnernden Track mit Chorgesang, rekapituliert er die Reise bis zu diesem Moment, erzählt davon, wie er es fast nicht geschafft hätte und wie sich seine persönlichen Beziehungen seitdem verändert haben: „If I didn’t blow up, I would’ve died tryna be here/If it didn’t go, suicide, wouldn’t be here“, singt er („Wenn ich nicht explodiert wäre, wäre ich beim Versuch, hier zu sein, gestorben/Wenn es nicht geklappt hätte – Selbstmord, wäre ich nicht hier“), um anzufügen: „Now they all come around like they been here/When you get this rich and famous everybody come up to you singing ,Hallelujah, how’d you do it?‘“ („Jetzt kommen sie alle vorbei, als wären sie hier gewesen/Wenn du so reich und berühmt wirst, kommen alle zu dir und singen: ,Halleluja, wie hast du das gemacht?‘“)Songs wie „SUN GOES DOWN“ oder „DONT WANT IT“ sind die besten Beispiele für den Kontrast zwischen dem Gewicht, das auf seinen Schultern lastet, und der Leichtigkeit seines Sounds: eine besondere Art von Schwarzer und queerer Einstellung, die Wert auf eine Freude legt, die weitaus tiefgreifender ist als jeder Schmerz. Und tatsächlich, Freude gibt es hier reichlich. Auf „SCOOP“ findet er in Doja Cat einen übersprudelnden verwandten Geist, während „DOLLA SIGN SLIME“ mit Megan Thee Stallion eine ausgelassene Ehrenrunde ist. Die dunklen Riffs auf dem herausragenden „LIFE AFTER SALEM“ bringen ihn in ganz neue kreative Gefilde.Das Album steckt voller Überraschungen, die Lil Nas X immer wieder aufs Neue offenbaren. Es bietet einen Einblick in die Gedankenwelt eines Künstlers, der keine Angst vor sich selbst und seinen Impulsen hat, auch wenn er weiß, dass er sich noch mitten in seiner Entwicklung befindet. „Seht mich nicht als den perfekten Helden an, der keine Fehler macht und die Stimme für alle ist“, sagt er. „Du bist deine eigene Stimme.“ Und in diesem Sinne ist „MONTERO“ ein überwältigender Siegeszug, der nicht nur andeutet, wer Lil Nas X ist, sondern auch die unendlichen Möglichkeiten dessen aufzeigt, wer er in Zukunft sein könnte – ob das nun in den Bereich unserer Vorstellungskraft fällt oder nicht.

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