Es gibt einige Alben, die uns 2020 aus dem Alltag reissen konnten. „What’s Your Pleasure“, Jessie Wares herrlich dekadentes, Disco-inspiriertes viertes Album, war eines davon. Veröffentlicht auf dem Höhepunkt des ersten Lockdowns in Grossbritannien, entpuppte sich Wares vierte LP zu einem überraschenden Soundtrack für lange Nächte zu Hause: Die melodramatischen Melodien und tiefen Basslines waren wie ein Ticket zu unerreichbaren Tanzflächen. Als sie 2018 mit dem Schreiben des Albums begann, konnte sie das so zwar nicht kommen sehen – doch die Londoner Singer-Songwriterin, die auch als Podcasterin und Autorin erfolgreich ist, war sich bereits damals der eskapistischen Kraft von „What’s Your Pleasure?“ bewusst. Es war das Album, das Ware aus einem Tief herausgeholt hat, in dem sie über das Ende ihrer Musik-Karriere nachdachte. Aber sie wusste auch, dass es etwas Einmaliges sein würde. „Die nächste Platte wird nicht ‚What’s Your Pleasure?‘ Teil zwei sein“, sagt Ware gegenüber Apple Music. „Aber ich hatte all diese Songs, auf die ich stolz war und die sonst nie jemand hören würde, weil sie nicht in das nächste Kapitel passen. Ich dachte einfach: ‚Jeder scheint es zu lieben, also lasst uns die Party am Laufen halten.‘“ „What’s Your Pleasure? (The Platinum Pleasure Edition)“ gibt diesen Tracks ein Zuhause – und erhöht die Intensität, indem Ware uns zu einer lockeren, dunkleren After-Party einlädt. Das Timing dieser Ausgabe – sie wurde im Juni 2021 veröffentlicht, als die Aussicht auf das Tanzen in echten Clubs näher rückte – ist Ware nicht entgangen. „Es war in dem Sinn eine reaktive Platte, dass ich dachte: ‚Wir kommen einer wieder einer Art Normalität näher, also lasst uns das einfach anpeilen. Lasst uns weitermachen.‘ Es war eines der lebensbejahendsten Jahre in meiner Karriere. Dieses Album gab mir den Raum, mich selbstbewusst zu fühlen und das Gefühl, dass meine Optionen danach grenzenlos sind.“ Lies weiter: Hier nimmt sie uns mit auf eine Track-für-Track-Reise durch „What’s Your Pleasure? (The Platinum Pleasure Edition)“. „Spotlight“ Dieses Stück habe ich in der ersten Schreibsession geschrieben. [Produzent] James [Ford] spielte Klavier und wir haben total gecroont. Das ist es, was den ersten Teil des Songs ausmacht – diese Anspielung auf Musiktheater und Jazz. Wir dachten darüber nach, es herauszunehmen, aber dann wurde mir klar, dass der theatralische Aspekt irgendwie wichtig ist. Es fühlte sich wie ein perfekter Einstiegspunkt an, nach dem Motto: „Komm in meine Welt.“ Dank dieser Melancholie steckt auch etwas von der alten Jessie drin. Dieser Song fühlte sich wie ein guter Indikator dafür an, wohin der Rest des Albums gehen würde. Deshalb schien es passend, die Platte damit zu beginnen. „What’s Your Pleasure?“ Wir hatten bereits den ganzen Tag geschrieben, und nichts funktionierte. Wir gingen Mittagessen und sagten uns: „Manchmal ist das einfach so.“ Später haben wir herumgealbert und ich dachte: „Ich möchte mir so richtig vorstellen, dass ich im Berghain Club bin und mit jemandem tanze und er anzüglich ist, dass einfach alles geht.“ Das ist Sex, das ist Begehren, das ist Versuchung. Wir meinten, „lasst uns das so skandalös wie möglich machen.“ Also stellten wir uns vor, wir wären diese unglaublich selbstbewusste Person, die einfach alles sagen kann. James kam mit dem gigantischen Beat daher, der mich fast an einen DJ Shadow-Song erinnert. Wir haben die ganze Zeit nur gekichert. „Ooh La La“ Auch ein ganz Frecher. Viel davon ist eine Anspielung. In meinem Kopf gibt es diese prüden und anständigen Liebhaber, aber eigentlich geht es hier nicht um Höflichkeit. Der Song hat einen absoluten Funk-Touch, ist aber eingängig und trotzdem ganz schön schräg. Stimmlich verausgabe ich mich nicht gerade. Es ist eher ziemlich abgehackt. „Soul Control“ Bei diesem Stück ging mir Janet Jackson durch den Kopf. Es ist eine wirklich energiegeladene Nummer. Da ich nicht versucht habe, einen Radio-Edit einzuspielen, haben diese Songs einen ausschweifenden Charakter, was ich wirklich genossen habe. Es ist aber nicht selbstverliebt, es macht Spass. Das sind die höchsten Tempi, die ich je gemacht habe, und ich habe mich damit selbst überrascht. Ich wollte die Energie aufrechterhalten. Ich wollte, dass die Leute denken: „Wann wird sie Ruhe in dieses Album bringen?“ „Save A Kiss“ Lustig, aber vor diesem Track habe ich mich ein wenig gefürchtet. Ich erinnere mich, dass Ed Sheeran mir sagte: „Wenn du ein bisschen Angst vor einem Song hast, bedeutet das normalerweise, dass sich etwas wirklich Gutes darin verbirgt.“ Meine Fans mögen meine Emotionalität, also wollte ich einen gefühlvollen Dance-Song machen. Wir hatten eine Menge andere Sachen drin, letztlich war es aber einer dieser Fälle, bei dem James und ich alles wieder herausgenommen haben. Der Song erwies sich als der schwierigste. Aber ich freue mich total darauf, ihn zu spielen. In ihm stecken die Sehnsucht und das Verlangen, das meine Fans spüren, und ich wollte einfach, dass er sich ein bisschen over-the-top anfühlt. „Adore You“ Das hier habe ich geschrieben, als ich schwanger wurde. Es war meine erste Session mit [Produzent] Joseph Mount und wir waren beide ein bisschen zurückhaltend. Wenn ich nervös bin, singe ich ganz leise, weil ich nicht will, dass man mich hört. Aber komischerweise hat dann genau das funktioniert. Ich dachte an mein ungeborenes Kind, im Sinne von: „Ich verliebe mich in dich und diesen Bauch und bald wird das alles Realität sein.“ Joe hat einen klasse Job gemacht, es mit diesem verrückten Sound hypnotisch und trotzdem romantisch und zärtlich klingen zu lassen. Ich finde, es ist ein wirklich schöner Song. „In Your Eyes“ Das war der erste Song überhaupt, den James und ich für das Album geschrieben haben. Die Dunkelheit darin ist spürbar. Und vielleicht auch, dass ich diesen Groll spürte und meine selbstquälerische Art zum Vorschein kam. Das schwirrende Arpeggio und die Beats in diesem Song deuten auf einen Bewusstseinsstrom hin. Da ist eine Verzweiflung erkennbar. Das war wohl der Moment, an dem ich mich gerade befand. Ich bin sehr stolz auf diesen Track. Er ist sogar einer meiner Lieblingssongs. Aber er entstand während eines musikalischen Tiefpunkts. „Step Into My Life“ Diesen Song habe ich mit [dem Londoner Künstler] Kindness [alias Adam Bainbridge] gemacht. Ich kenne Kindness schon sehr lange. In meinem Kopf klang die Strophe fast wie R&B und fühlte sich wirklich intim und irgendwie lüstern an, aber mit diesem Disco-Moment im Refrain. Ich liebe es, dass Adams Stimme im Breakdown zu hören ist. Es fühlt sich wie eine Unterhaltung an – der Song ist purer Groove und Attitüde. Das ist einer, den man zum Beginn der Party spielt, um die Leute auf die Tanzfläche zu holen. „Read My Lips“ James und ich haben diesen Song alleine gemacht, und er sollte ziemlich quirlig werden. Wir spielen darin auf [den Song von Lisa Lisa & Cult Jam feat. Full Force] „I Wonder If I Take You Home“ an. Die Bassline ist einfach klasse. Zudem haben wir meinen Gesang langsamer und tiefer aufgenommen, damit er – gepitcht auf normale Geschwindigkeit – heller, höher und damit niedlicher wird. Ich wollte, dass es leicht quietschig klingt. „Mirage (Don’t Stop)“ Die Bassline ist hier total abgedreht! Es ist das Verdienst von Matt Tavares [von BADBADNOTGOOD]. Er ist ein Multi-Instrumentalist und einfach unglaublich talentiert und enthusiastisch. Diesen Track habe ich mit [dem britischen DJ und Produzenten] Benji B und [dem US-Produzenten] Clarence Coffee Jr. geschrieben. Ich denke, er beweist, dass mein Selbstvertrauen und mein Mojo zurück waren, als ich in diese Session ging. Normalerweise würde ich sagen: „Oh Gott, ich kann so was nicht mit neuen Leuten machen.“ Aber es hat einfach geklickt. Ich war etwas unsicher, ob der Text „Don’t stop moving“ nicht zu offensichtlich ist. Aber Benji B. meinte nur: „Kein bisschen. Du willst doch, dass die Leute tanzen. Das ist die perfekte Botschaft.“ Und ich halte Benji B für den absolut Coolsten. Also dachte ich mir: „Wenn Benji B es cool findet, dann ist es okay für mich.“ „The Kill“ Dieser Song trägt ein fast hypnotisches Element in sich. Er ist sehr dunkel, wie die tiefste Nacht. Es geht um jemanden, der denkt hat, dass er dich gut kennt – vielleicht zu gut. Da stecken Ängste drin, dieses filmische Gefühl ist gewollt. Ich wollte eine unerbittlich treibende Intensität kreieren, als ob man in einem Auto sitzt und vor etwas weg rast. Jules Buckley hat hier mit den Streichern einen tollen Job gemacht – ich wollte, dass es fast an Primal Scream oder Massive Attack angrenzt. Am Ende brechen aber eine Leichtigkeit und ein Optimismus durch – als ob man sich aus dieser Dunkelheit herauskämpfen würde. „Remember Where You Are“ Ich bin unheimlich stolz auf diesen Song. Ich schrieb ihn, als Boris Johnson gerade in die Downing Street einzog und die Lage miserabel war. Alles, was schief gehen konnte, ging schief. Das steckt hinter dem Text „The heart of the city is on fire“. Das klingt zwar relativ optimistisch, aber eigentlich geht es darum, dass ich dachte: „Erinnere dich daran, wo du bist. Erinnere dich daran, dass selbst eine Umarmung okay sein kann. Denk daran, wer um dich herum ist.“ Es war auch eine Art Abschiedsgruss und thematisiert Ansage: „Das ist mein Weg, ich war noch nie so selbstbewusst.“ Es war ein mutiges Statement. Ich denke, es ist eines der besten Lieder, die ich je geschrieben habe. „Please“ Diesen Track haben wir ziemlich am Anfang von „What’s Your Pleasure?“ geschrieben, ungefähr zu der Zeit, als „Spotlight“ und der Titeltrack entstanden. Es war eine brillante Woche voller Kreativität. In meinem Kopf kreiste der Gedanke: „Das fühlt sich an wie Kylie [Minogue] in den 90ern, und darauf stehe ich.“ Es hat wirklich Spass gemacht. Gleichzeitig habe ich mich aber gefragt, ob ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt damit durchkommen werde. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum es jetzt so gut läuft – weil ich diese eigene Welt geschaffen habe. „Impossible“ Dieser Song wurde auch mit Clarence Coffee Jr. geschrieben, mit dem ich „The Kill“ gemacht habe. Der Track hat eine gewisse Intensität. Es ist eine Art Kommentar, bezogen auf eine Frau in der Musikindustrie. Es geht um Hysterie und archaische Darstellungen von Frauen und darum, dass frau die Kontrolle darüber übernehmen kann. Ich habe bei diesem Song an Róisín [Murphy] und Bat for Lashes gedacht. „Eyes Closed“ Der Track wurde eigentlich für die neue Platte geschrieben, gedanklich waren wir aber noch bei „What’s Your Pleasure?“. Das Album war gerade herausgekommen und ich wollte eine noch düstere Version dazu packen. Dieser Song fällt definitiv in die Welt von Berghain und Clubbing, ohne Konsequenzen und frei, unterlegt mit diesem Domina-Gesang. Er ist unanständig und fühlt sich an, als müsste er sehr, sehr spät in der Nacht oder früh am Morgen gespielt werden. „Overtime“ Das war die erste Aufnahme, die ich mit der neuen Musik herausgebracht habe, bevor es überhaupt losging mit „What’s Your Pleasure?“. Wir wollten sehen, wie der Sound ankommt, und die Leute mochten es wirklich. Es war etwas zu hart für „What’s Your Pleasure?“, aber in dieser Auswahl fühlte es sich einfach richtig an. Es gab sogar einen Hashtag – #justiceforovertime –, weil er es nicht auf die Platte geschafft hatte. Das hat mich sehr zum Lachen gebracht. Ich dachte mir: „Ich höre auf meine Fans. Ich muss ihnen diesen Song geben!“ „Hot N Heavy“ Dieser entstand mit SG Lewis. Wir wollten schon ewig zusammenarbeiten. Er hatte diesen witzigen Backing-Track und in meinem Kopf schwirrte der Trommel-Sound von Gloria Estefans Miami Sound Machine herum. Es sollte sich frech anfühlen, damit man es auch wirklich seinen Freunden vorspielen kann. Das war meine Absicht: Ich wollte einfach, dass die Leute es sich gegenseitig vorsingen, während sie zusammen tanzen. Es gibt einem das Gefühl, ein wenig überdreht zu sein. „Pale Blue Light“ Eine epische Liebesballade, die definitiv auf Prince anspielt. Es ist näher dran an einigen meiner alten Sachen. Wir haben uns von all diesen schweren Stücken, die etwas clubbiger sind, wegbewegt und gehen mit dieser Veröffentlichung in die nächste Phase. Der Song entstand, als ich mich mit James und den anderen Leuten am sichersten und wohlsten fühlte. Er bewegt sich fliessend, ich habe einfach improvisiert, Riffs gespielt und mich frei gefühlt. Das Studio war früher ein sehr seltsamer, angsteinflössender Ort für mich. Jetzt habe ich scheinbar meine Leute gefunden und habe das Gefühl, dass ich unter ihnen richtig aufblühen kann. Ich habe mir meinen eigenen Raum geschaffen. „0208“ (feat. Kindness) Der Track wurde 2018 geschrieben. Adam [Bainbridge, alias Kindness] und ich kannten uns bereits durch Auftritte und gemeinsame Freunde – schon bevor wir „Step Into My Life“ zusammen gemacht haben. Wir hatten dieses sehr einfühlsame, intime Gespräch und wir waren einfach ehrlich zueinander. Danach entstand dieser R&B-Track. Ich wollte ihn auf das Album packen, aber er fiel auf wie ein bunter Hund. Es ist ein Lied darüber, mit seiner ersten Liebe zu telefonieren, der Jugendliebe, die jetzt mein Mann ist. Es war eine rührende Erinnerung daran, wie weit mein Mann und ich gekommen sind. Das ist seine Telefonnummer, wobei wir eine Ziffer geändert haben. Ich wollte nicht, dass die Leute in dem Haus anrufen, in dem er früher gewohnt hat! „Adore You (Endless Remix)“ Ich wurde von einem A&R-Manager in China angesprochen, da jemand einen Remix von „Adore You“ machen wollte. Und ich dachte: „Das klingt cool – legt los! Die Künstler waren [Produzent und DJ] Sihan und die Sängerin Bibi Zhou, die auf dem Track singt. Die Aufnahme wurde wunderschön und der Song dabei völlig neu interpretiert. Ich fand es so stilvoll und brillant und ich mir gefiel, dass wir dieses Gespräch mit im Song haben. Ich bin begeistert, was sie daraus gemacht haben. Ich war hin und weg.
Disc 1
Disc 2
Andere Versionen
- Apple Music
- Kylie Minogue
- Carly Rae Jepsen
- Rina Sawayama
- Years & Years