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Textilindustrie (1914)

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Autor: Max Gürtler
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Titel: Textilindustrie
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Sechstes Buch, S. 147–164
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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Textilindustrie
Von Geh. Regierungsrat Prof. Gürtler, Berlin


Bedeutung der Textilindustrie.

Die Hauptaufgabe der Textilindustrie besteht in der Befriedigung des Bedürfnisses der Menschen nach Bekleidung. Abgesehen von einigen wenigen Völkerstämmen, die sich mit unmittelbar der Natur entnommenen Produkten begnügen, wird die Kleidung überall aus Erzeugnissen der Textilindustrie, hergestellt. In allen Kulturländern werden die Textilstoffe aber auch für die Ausstattung und Verschönerung der Wohnung in immer wachsendem Umfang benutzt. Der Verbrauch an Textilstoffen ist groß, nicht allein wegen der mehr oder weniger schnellen Abnutzung, sondern auch wegen der durch den Wechsel der Mode bedingten Neuanschaffungen. So spielt die Textilindustrie in allen Kulturstaaten eine wichtige, in den Staaten, die die anderen Länder mit Textilwaren versorgen, sogar eine die übrigen Industrien überwiegende Rolle. Auch in Deutschland sind in der Textilindustrie mehr Arbeitskräfte als in den übrigen Industrien beschäftigt.

Umfang der deutschen Textilindustrie.

Im Mittelalter besaß Deutschland ein blühendes Textilgewerbe, das in Europa an erster Stelle stand. Nach und nach ging aber die Vorherrschaft an Frankreich und England verloren. Einerseits trugen hieran die langen verheerenden Kriege schuld, in die Deutschland verwickelt wurde, andererseits überflügelte England alle anderen Staaten durch die Einführung des Maschinenbetriebes. Erst allmählich erholte sich Deutschland von den Folgen der kriegerischen Zeiten und ging mit großem Fleiße daran, das verlorene Terrain wieder zu gewinnen. In langem Kampfe ist es gelungen, Frankreich zu schlagen, dagegen war es bis heute nur möglich, die Produktion gegenüber England so zu steigern, daß sie auf dem Gebiete der Spinnerei etwa 1/5–¼ und auf dem Gebiete der Weberei etwa ½ der Produktion dieses Landes ausmacht. Im Laufe der Zeit ist dem Deutschen Reiche aber ein gefährlicher Konkurrent durch Amerika entstanden, das namentlich auf dem Gebiete der Baumwollindustrie und neuerdings auch auf dem der Seidenindustrie mit Riesenschritten vorangekommen ist und Deutschland überholt hat. So nimmt denn Deutschland zurzeit die dritte Stelle auf dem Weltmarkte ein. Auf den einzelnen Industriegebieten gehen in der Baumwollindustrie England und Amerika, in der Wollindustrie England und Frankreich, in der Juteindustrie England und in der Seidenindustrie Frankreich und Amerika Deutschland voran. Auf letzterem Gebiete muß sich Deutschland auch noch vor Italien beugen.

[596] Die neue Blüte der deutschen Textilindustrie hat, nachdem die Folgen des französischen Krieges überwunden waren, begonnen, umfaßt also ungefähr die letzten 25 Jahre. In dieser Zeit ist nicht nur die Menge der Fabrikate beträchtlich gewachsen, sondern auch die Güte der Erzeugnisse verbessert worden. Ferner ist der Bau der Textilmaschinen so vervollkommnet worden, daß es heutzutage kaum noch notwendig ist, für irgendeinen Spezialzweig Maschinen aus dem Auslande zu beziehen. Die Fabrikate der Farbenindustrie haben sogar einen so bedeutenden Ruf erlangt, daß sie die ganze Welt beherrschen, denn sie decken 6/7 des Weltbedarfs.

Die Steigerung der Produktion innerhalb der letzten 25 Jahre ließe sich zahlenmäßig genau nur angeben, wenn eine vergleichende Statistik über die hergestellten Erzeugnisse und ihren Wert zum Beginn der Blüteperiode und zur Jetztzeit vorläge. Da nur Angaben über die heutigen Zustände und auch diese nur lückenhaft vorhanden sind, muß man sich mit Schlußfolgerungen aus den Gewerbezählungen von 1882 und 1907 begnügen. Nach diesen betrug im Jahre 1882 die Zahl der Betriebe 406 574 und die der darin beschäftigten Personen 910 089, während im Jahre 1907 die Zahl der Betriebe 161 218 und die der darin beschäftigten Personen 1 088 280 ausmachte. Diese Zahlen lehren, daß sich die Zahl der Betriebe verringert und die Zahl der beschäftigten Personen vermehrt hat, d. h. es sind viele kleinere Betriebe verschwunden und größere an ihre Stelle getreten. Die Zahl der beschäftigten Personen ist um nahezu 20%, also um 1/5 gewachsen. Die mit ihnen erreichte Produktion muß aber um einen bedeutend höheren Betrag gestiegen sein, denn in den 80er Jahren gab es noch viele Hand- und Einzelbetriebe. Sie sind allmählich durch die mechanischen Großbetriebe verdrängt worden. Einen annähernden Maßstab wird man gewinnen, wenn man die Zahl der für die Betriebe erforderlichen Pferdekräfte zum Vergleich heranzieht, denn die hier zu verzeichnende Zunahme wird der Zunahme der Arbeitsmaschinen entsprechen. Leider stehen diese Zahlen nur für die Zählungen von 1895 und 1907, nicht aber von 1882 zur Verfügung. Im Jahre 1895 betrugen die Pferdekräfte 518 176 und im Jahre 1907 880 400, wozu noch 77 843 Kilowatt an elektrischer Kraft kommen. Rechnet man die Pferdekraft zu 736 Watt, so beträgt die Zahl der Pferdekräfte im Jahre 1907 etwa 986 000. Hiernach würde sich der Betrieb in der Zeit von 1895–1907 nahezu verdoppelt haben. In Wirklichkeit wird aber die Steigerung noch größer sein. Die Arbeitsmaschinen sind innerhalb der 25 Jahre sehr verbessert worden, ihre Leistung beträgt also bei gleichem Kraftbedarf mehr wie früher. Der Fortschritt gegenüber 1882 ist natürlich entsprechend größer.

Daß dieser Erfolg erreicht worden ist, verdankt Deutschland allein der rastlosen Tätigkeit und Tüchtigkeit der Fabrikanten und Kaufleute und der Maschinenbauer und Chemiker, denn es arbeitet seinen beiden Hauptkonkurrenten auf dem Weltmarkt gegenüber unter ungünstigen Umständen. Die Textilindustrie in England ist lokalisiert und zu den Gewinnungsorten des Eisens und der Kohle sowie zu den Hafenplätzen für die Einfuhr des Rohmaterials und die Ausfuhr der fertigen Waren günstig gelegen, während sie in Deutschland ziemlich zersplittert ist und Rohmaterialien und fertige Waren weite Landwege zurücklegen müssen, bevor sie zu den Fabriken oder zu den Ausfuhrhäfen [597] gelangen. Amerika wiederum gewinnt die hauptsächlichsten Rohmaterialien im eigenen Lande, so die Baumwolle ganz und die Wolle größtenteils, während Deutschland die Baumwolle ganz und die Wolle größtenteils vom Auslande beziehen muß. Es werden daher gewaltige Anstrengungen notwendig sein, um die jetzige Stellung auf dem Weltmarkt zu behaupten. Die sich aus den günstigen geographischen Verhältnissen ergebenden Vorteile können nur durch die Lieferung billigerer oder besserer Waren wettgemacht werden.

Man wird aber getrost in die Zukunft blicken können, wenn man sich vergegenwärtigt, welche wichtige Rolle deutsche Erfinder bei allen neuen Errungenschaften und Fortschritten auf dem Gebiete der Textilindustrie gespielt haben.

Die größten Umwandlungen haben wohl auf dem Gebiete der Veredelungsindustrie stattgefunden. Die Kunstseidenfabrikation, die Mercerisation und die gleiche Ziele verfolgende Behandlung der Baumwolle durch den sogenannten Seidenfinish und die Erfolge, die bei der Herstellung schöner und echter Farben erzielt worden sind, haben der Textilindustrie vollkommen neue Wege gewiesen und überall waren deutsche Wissenschaftler und Techniker hervorragend beteiligt.

Kunstseide, Glanzstoff, Viskoseseide.

Der Gedanke, Kunstseide zu erzeugen, also den Prozeß des Seidenspinners auf künstlichem Wege nachzuahmen, ist schon im 18. Jahrhundert von dem Chemiker Réaumur angeregt worden. Graf Hilaire de Chardonnet in Besançon hat den Gedanken in die Tat umgesetzt und erhielt im Jahre 1885 das erste Patent auf die Herstellung künstlicher Seide. Zum Verspinnen benutzte er das von dem deutschen Chemiker Schönbein im Jahre 1846 durch Einwirkung von Salpetersäure auf Zellulose zuerst dargestellte Kollodium oder die sogenannte Nitrozellulose. Die Nitrokunstseide ist somit das älteste der im Handel befindlichen Kunstseidenprodukte. Auf der Pariser Weltausstellung im Jahre 1889 konnte Chardonnet die ersten Proben seiner Kunstseide ausstellen und das Verfahren der Herstellung vorführen. Praktische Verwendung fand die Kunstseide erst vom Jahre 1890 ab, nachdem es Chardonnet gelungen war, seinem Fabrikate die hohe Feuergefährlichkeit zu nehmen und das Verfahren durch Dr. Lehner in Augsburg verbessert worden war. Die nach dem Chardonnetschen Verfahren begründeten deutschen Kunstseidenfabriken vermochten im Anfange ihres Bestehens nur wenige Kilogramm pro Tag herzustellen. Die Produktionsmöglichkeit erfuhr eine rasche Steigerung, im Jahre 1908 betrug sie 2000−3000 kg pro Tag. Bei einem Selbstkostenpreis von 12–14 M. ergab diese Fabrikation der deutschen Volkswirtschaft einen ganz erheblichen Nutzen, der sich vor allem auch in den hohen Dividenden der beteiligten Fabriken zeigte. In den letzten Jahren weist die Industrie der Nitrokunstseide eine stark rückschreitende Tendenz auf und ist zum größten Teile schon ganz eingegangen. Der Grund hierfür liegt in den hohen Preisen des für dieses Verfahren benötigten Alkohols und Äthers und in dem Umstande, daß es gelang, Kunstseide ohne Verwendung von Alkohol und Äther durch Auflösen von Zellulose in einer konzentrierten Lösung von Kupferoxydammoniak [598] herzustellen. Der Faden wird bei diesem Verfahren durch Eintretenlassen der Spinnflüssigkeit in saure oder alkalische Fällungsbäder gebildet. Das erhaltene Produkt führt die Handelsbezeichnung Glanzstoff. Die bahnbrechende Erfindung auf diesem wichtigen Gebiete ist im Jahre 1897 gemacht worden. Bei der Ausarbeitung des Verfahrens und seinen Verbesserungen sind die Erfinder Bronnert, Fremery, Urban und Pauly sowie die Glanzstoffabriken in Elberfeld beteiligt. Wegen der im Anfange der Fabrikation zu überwindenden großen Schwierigkeiten vermag das Kupferoxydammoniakverfahren erst seit dem Jahre 1900 dem Chardonnet-Verfahren erfolgreich Konkurrenz zu machen. Die weitaus größte Menge an Kupferoxydammoniakseide wird in Deutschland und hier vor allem von den vereinigten Glanzstoffabriken in Elberfeld hergestellt. Diese fabrizierten schon 1897 etwa 1 Million kg Glanzstoff. Heute sind es über 2 Millionen kg Glanzstoff, wozu zirka 4000 Personen in kontinuierlichem Tag- und Nachtbetrieb erforderlich sind. Das werbende Kapital der Gesellschaft beträgt 19 Millionen Mark. Die dritte, unter dem Namen Viskoseseide im Handel befindliche Sorte von Kunstseide wird durch Lösung von Alkalizellulose in Schwefelkohlenstoff erhalten. Das Verfahren ist durch die Werke des Fürsten Donnersmarck in Sydowsaue für die Praxis ausgearbeitet und im Jahre 1911 von den Elberfelder Glanzstoffabriken angekauft worden. Die Viskoseseide verursacht von allen bis jetzt bekannten Kunstseidensorten die niedrigsten Herstellungskosten. Sie übertrifft in bezug auf Weichheit und Glanz den Glanzstoff und ergibt in der Weberei weit bessere Resultate als dieser. Aus diesen Gründen wird der Viskoseseide eine große Zukunft vorausgesagt und man behauptet, daß ihre Vorherrschaft auf dem Gebiete der Kunstseide nur eine Frage der Zeit sei. Die erwähnten Kunstseiden haben den Fehler, daß sie beim Naßwerden an Festigkeit verlieren. Versuche, wasserfeste Kunstseide herzustellen, haben ein allseitig befriedigendes praktisches Ergebnis noch nicht gehabt. Bei den Versuchen sind die Elberfelder Farbwerke darauf gekommen, Metallgarne, sogen. Baykogarne, herzustellen, die einen Ersatz der bisherigen Gold- und Silbergespinste darstellen. Sie geben der Baumwolle einen Überzug von Zelluloseazetat, das mit Bronzen gemischt ist. Das Produkt ist sehr echt und eignet sich für Weberei-, Wirkerei- und Stickereizwecke.

Die Entwicklung der Kunstseidenindustrie hat bisher nicht nach der Richtung hin sich bewegt, für alle Fälle einen Ersatz der Naturseide zu bilden. Es handelt sich vielmehr um das Erscheinen eines neuen selbständigen und sehr wertvollen Textilmaterials, welches sich bisher nur beschränkte Anwendungsgebiete in der Textilindustrie gesichert hat. Die Produktion wird auf etwa 7½ Millionen Kilogramm Kunstseide geschätzt, woran Deutschland mit etwa 2 Millionen beteiligt ist.

Mercerisieren.

Das Verfahren zum Mercerisieren von Baumwolle hat eine chemische und physikalische Veränderung der Faser zur Folge, wodurch sie dauerhaften und bleibenden Glanz und größere Festigkeit, Dicke und Transparenz erhält. Mercerisieren nennt man die im Jahre 1844 von dem englischen Chemiker John Mercer entdeckte Behandlung der Baumwolle mit starken Alkalilaugen. Er beobachtete, daß beim Filtrieren von starker Natronlauge durch Baumwollzeug eine Veränderung [599] der Faser stattfand. Der Stoff wurde dichter, die einzelnen Fäden wurden durchsichtiger und dicker, dafür war er aber sowohl in der Länge, als auch in der Breite erheblich eingegangen. Das Mercersche Verfahren ist zur Erzeugung von Krepp- und Damastartikeln verwendet worden. Man benutzte hierbei nicht nur die Eigenschaften des Schrumpfens der Faser, sondern auch die Tatsache, daß sich die mit Lauge behandelte Faser später weit dunkler anfärbt. Bei Versuchen zur Herstellung solcher zweifarbiger Effekte machte die Firma Thomas & Prevost in Krefeld im Jahre 1895 die wichtige Entdeckung, daß man den großen Nachteil des Einlaufens der Fäden durch starkes Strecken der Garne oder Gewebe vermeiden kann und hierbei gleichzeitig einen hohen, seidenähnlichen Glanz auf der Baumwolle erhält. Der durch das Mercerisieren auf der Baumwollfaser hervorgebrachte Effekt ist ein so bedeutender, daß dieses Verfahren heute unbedenklich als das weitaus wichtigste und meist ausgeübte Veredlungsverfahren für Baumwolle angesehen werden kann. Ägyptische Baumwollgarne mittlerer Garnnummer und von nicht zu fester Zwirnung erhalten durch das Mercerisieren einen so hohen Glanz, daß sie von Chappeseide kaum noch zu unterscheiden sind. Der hohe Glanz wird durch das Mercerisieren nicht, wie dies in der Appretur vielfach der Fall ist, durch äußerliche Mittel lose auf die Faser gebracht, sondern der Glanz entsteht durch eine vollkommene Strukturveränderung der Baumwollfaser selbst und ihre physikalischen und chemischen Eigenschaften, er verschwindet nicht bei nachherigem Waschen, Bleichen, Färben, Abreiben usw. Die Zunahme der Zerreißfestigkeit beträgt, wenn das Mercerisieren unter Streckung vorgenommen wird, noch 25–30%. Sehr wichtig ist die neue chemische Eigenschaft der mercerisierten Baumwolle, sich mit allen Farbstoffen viel intensiver anzufärben als die nicht mercerisierte. Die auf diese Weise erzielte Farbstoffersparnis ist eine sehr wesentliche und beträgt bei hellen Nuancen 10–15%, bei dunklen sogar 25–30% an Farbstoff. Die Möglichkeit, aus der Baumwolle eine so gut wie neue glänzende Faser herzustellen, hat derselben viele neue Gebiete der Textilindustrie erschlossen, besonders nachdem man es gelernt hat, nicht allein die Garne, sondern auch die fertigen Gewebe zu mercerisieren. Mercerisierte Baumwolle wird für sehr viele Zwecke der Besatzindustrie verwendet, die einer Verwendung gewöhnlicher Baumwolle nicht erschlossen waren. Vor allem sind hier die Borden für Portieren, Vorhänge, Möbel usw. zu nennen, auch diese Stoffe selbst werden so häufig unter Verwendung mercerisierter Baumwolle hergestellt, daß sie diesem Zweige der Textilindustrie ein ganz bestimmtes Gepräge erteilt haben. Während es im Jahre 1896 etwa 20 Mercerisieranstalten mit einer Tagesleistung von etwa 5000 Pfund gab, dürften es heute 200 mit einer Tagesleistung von 150 000 Pfund sein.

Seidenfinish.

Die neueren Fortschritte der Glanzerzeugung liegen nicht mehr auf dem Gebiete des Mercerisierens, sondern fast ausschließlich in der Art des Kalanderns. Der alte zusammenhängende, speckige und spiegelnde Kalanderglanz hat niemals den Beifall der Abnehmer gefunden und selbst, wenn man ohne Fettzusatz kalandert, bessert sich das Aussehen des Glanzes nicht wesentlich. Die Kundschaft verlangt nun aber ein der Seide möglichst ähnliches Aussehen [600] des Kalanderglanzes auf mercerisierten Geweben, während der Speck- oder Spiegelglanz möglichst vermieden werden soll. Den ersten Weg zur Erreichung dieses Zieles zeigte Dr. L. Schreiner in Barmen im Jahre 1894, indem er die Kalanderwalzen mit einer besonderen Gravierung versah. Durch letztere werden an Stelle der zusammen hängenden Fläche winzig kleine und mit dem bloßen Auge nicht mehr wahrnehmbare einzelne Flächen auf den Stoff gepreßt. Die einheitliche Fläche des Speck- und Spiegelglanzes ist also gewissermaßen in zahllose kleine, winkelig zueinander stehende Flächen zerlegt. Da hierdurch alle diese Flächen dem Lichte gegenüber eine verschiedene Richtung haben, werden je nachdem, wie man den Stoff hält, stets einzelne der Flächen das Licht dem Auge des Beschauers reflektieren und eine spiegelnde Flächenwirkung ausüben, während andere dicht danebenliegende Flächen dunkel erscheinen und das Licht erst bei einem anderen Einfallswinkel reflektieren. Der Erfolg dieses Verfahrens war ein ganz überraschender. An Stelle des zu verwerfenden Speck- oder Spiegelglanzes erhielt man einen außerordentlich schönen, dem Glanz der Seide täuschend ähnlichen Kalanderglanz auf einer Seite des Gewebes. Man bezeichnet diesen Glanz heute allgemein als Seidenfinish. Leider erwies sich dieser Glanz in der ersten Zeit nicht als ein dauernder. Geringes Waschen und Spülen wie überhaupt Feuchtigkeit und feuchtes Bügeln hoben ihn wieder auf und das Gewebe wurde glanzlos, genau wie dies bei dem gewöhnlichen Speck- oder Spiegelglanz der Fall ist. Karl Rumpf gelang es, diesen Übelstand zu beseitigen. Er entdeckte, daß die Baumwolle bei sehr hoher Temperatur und Gegenwart von Feuchtigkeit gewissermaßen plastische Eigenschaften bekommt und diejenige Form dauernd beibehält, die man ihr unter diesen Bedingungen verliehen hat.

Fortschritte der Färberei.

Mit der beispiellosen Entwicklung der chemischen Wissenschaft und Technik hat auch die Färberei in den letzten 25 Jahren einen ganz ungeahnten Aufschwung genommen. Die unmittelbar der Natur, z. B. den Jarbhölzern, der Indigo-, der Krappflanze usw., entnommenen natürlichen Farbstoffe wurden immer mehr durch die vom Chemiker auf experimentellem Wege erzeugten künstlichen Farbstoffe ersetzt. Jeder neue Farbstoff, dessen Herstellung der Chemie gelang, wurde sofort in der Färberei daraufhin geprüft, ob er für die Praxis billig genug ist und gegenüber den bisherigen eine schönere und echtere Nuance ergibt. Der erste künstliche Farbstoff wurde im Jahre 1858 von dem Engländer Perkin[1] aus dem Steinkohlenteer dargestellt. Trotz des englischen Ursprungs hat sich die Farbstoffindustrie vor allem in Deutschland entwickelt und es wird heute von hier aus die ganze zivilisierte Welt mit Farbstoffen versorgt. Die in der ersten Zeit künstlich hergestellten Teerfarbstoffe zeichneten sich wohl durch eine ganz hervorragend schöne und lebhafte Nuance, dabei aber auch durch große Unechtheit ihrer Färbungen aus, und man verstand es namentlich nicht, gute Färbungen auf Baumwolle herzustellen. Aus diesem Grunde wurde die Industrie mit der Verwendung der sogenannten Anilinfarben schwer enttäuscht. Man übersah vollständig, daß die meisten der bekannten natürlichen Farbstoffe, abgesehen von dem aus der Indigopflanze [601] gewonnenen Indigo und dem aus der Krappflanze hergestellten, für Türkischrot benutzten Alizarin, auch keine große Echtheit aufwiesen, und daß die anscheinend echte Färbung alter Gewebe nur darauf zurückzuführen ist, daß sie unter vermindertem Zutritt von Luft und Licht aufbewahrt werden, dagegen gleichfalls schnell verblassen, wenn sie der Luft und dem Licht ausgesetzt werden, wie Lessing im Berliner Kunstgewerbemuseum festgestellt hat. Der anscheinende Fehlschlag mit den ersten künstlichen Farbstoffen hat zur Folge gehabt, daß heute noch ein allgemeines Mißtrauen gegen jeden künstlichen Farbstoff herrscht, trotzdem es inzwischen gelungen ist, Farben herzustellen, die bei weitem echter sind als die Naturfarben und trotzdem auch für Indigo und Türkischrot vollwertiger Ersatz gefunden worden ist. Die künstliche Herstellung des Farbstoffes der Türkischrots gelang den Chemikern Gräbe und Liebermann in den 60er Jahren und die des Indigos A. v. Bayer im Jahre 1888, zunächst jedoch ohne Möglichkeit der praktischen Verwendung. Dies erreichte die Badische Anilin- und Sodafabrik erst im Fahre 1896. Der Erfolg dieser beiden wichtigsten Entdeckungen war ein derartiger, daß heute von dem Anbau des Krapps, sowie des natürlichen Indigo, kaum noch die Rede sein kann. Die Ausgabe Deutschlands für Indigo allein betrug zirka 70–80 Millionen M. jährlich. Heute bleibt nicht nur dieses Geld im Lande, sondern es wird jährlich noch für etwa 50–60 Millionen M. Indigo aus Deutschland ausgeführt. Für Alizarin sind die Zahlen ganz ähnliche, während früher 50 Millionen M. für Krapp an Frankreich bezahlt wurden, ist heute die Einnahme Deutschlands für Alizarin viermal so hoch. Der Nutzen, den die deutsche Volkswirtschaft von diesen Entdeckungen gehabt hat, wird mit über 1 Milliarde gewiß nicht zu hoch eingeschätzt.

Die genannten echten Farben kommen nur für ganz bestimmte Zwecke der Textilindustrie zur Verwendung, für die Farben des täglichen Gebrauchs war die Auffindung des ersten künstlichen Farbstoffes, der die Baumwolle ohne Vorbehandlung färbte, von größter Bedeutung. Der erste derartige Farbstoff, Benzidin, ist schon im Jahre 1884 entdeckt worden, aber erst in den Jahren 1895–1900 wurden die Holzfarben hierdurch allmählich verdrängt, nach dem man gelernt hatte, die Echtheit dieser Färbungen durch Nachbehandeln zu verbessern. Vervollständigt wurden diese direkten Farbstoffe durch die Gruppe der sogen. Schwefelfarbstoffe, die sich seit 1900 immer mehr einbürgerten. Heute können die Holzfarben in der Baumwollfärberei als fast vollständig verdrängt angesehen werden. Nur für Schwarz und wenige Spezialartikel wird das Blauholz noch verwendet. In früherer Zeit hatte man sich daran gewöhnt, daß eine echte Farbe nicht gleichzeitig einen sehr lebhaften Farbton zeigen konnte. Von dem Jahre 1902 ab führte sich jedoch eine neue Klasse von Farbstoffen in der Färberei ein, die in bezug auf Licht-, Wasch- und Chlorechtheit selbst den bis dahin echtesten Farben, Indigo und Türkischrot, noch weit überlegen war und dabei eine unübertroffen lebhafte und klare Nuance zeigte. Man bezeichnet diese Masse von Farbstoffen als Küpenfarbstoffe. Fast alle Farbenfabriken sind mit Erzeugnissen dieser Klasse herausgekommen, die Badische Anilin- und Sodafabrik in Ludwigshafen mit den Indanthren-, die Farbenfabriken vormals Bayer & Co. in Leverkusen mit den Algol-, die Farbwerke vormals Meister Lucius & Brüning in Höchst mit den Helindon-, Leopold [602] Cassella & Co. in Frankfurt a. M. mit den Hydron- und Kalle & Co. in Biebrich mit den Thioindigo-Farbstoffen. Dieser Farbstoffklasse gehört anscheinend die Zukunft. Mit ihrer Hilfe war es möglich, die jetzt viel begehrten wasch- und kochbaren Kleider-, Blusen-, Hemden-, Schürzenstoffe, Tischdecken usw. in schönen und lebhaften Farben herzustellen. Hier ist es die Färberei gewesen, welche anregend und fördernd auf die Mode eingewirkt hat, denn wie hätte sonst das Publikum beispielsweise waschbare Blusen in klaren und hellen Farben verlangen können, wenn nicht die Färberei imstande wäre, diese herzustellen. Es ist bedauerlich, daß derartige Ansprüche bei dem Publikum so vereinzelt auftreten und dasselbe sich in den weitaus meisten Fällen mit weniger echten und dafür etwas billigeren Farben begnügt. Die heutige Färberei würde in der Lage sein, für alle Industriezweige viel schönere und echtere Farben herzustellen, als sie jetzt durchschnittlich verlangt werden. Auch in lichtechten Farben ist die Baumwollfärberei leistungsfähig. Tapeten, Möbel- und Dekorationsstoffe usw. können viel lichtechter hergestellt werden, als das Publikum sie heute verlangt.

Wohl auf keinem Gebiete der Textilindustrie ist die Echtfärberei so einfach wie in der Wollfärberei. Die vor dem Jahre 1888 üblichen Verfahren des Beizens der Wolle mit Chrom oder Tonerdesalzen in der Siedehitze und nachfolgendes Ausfärben mit Alizarinfarben wurde nach und nach aufgegeben. Man vollzieht das Beizen und Färben heute in einer Operation und spart dadurch an Zeit, Arbeitslohn und Dampf und schont die Wolle. Trotz der einfachen Färbeweise sind die erhaltenen Färbungen hervorragend walk-, wasch- und lichtecht. Sie können zum Färben der Herrenkleiderstoffe unbedenklich verwendet werden, sogar Uniformstoffe, an deren Echtheit die höchsten Anforderungen gestellt werden, können auf diese Weise gefärbt werden.

Im Färben der edelsten Faser, der Seide, sind weniger große Fortschritte zu verzeichnen. Das eigentliche Färben geschieht hier noch fast genau so wie vor 25 Jahren, nur sind die verwendeten Farbstoffe teilweise etwas andere geworden. Holz- und Naturfarben werden noch viel verwendet. Für Schwarz wird vor allem Blauholz und der Katechu noch in kolossalen Mengen verbraucht und diese Naturfarbstoffe konnten bisher noch durch keinen Ersatz verdrängt werden. Erst neuerdings führen sich die Küpenfarbstoffe ein. Im Gegensatz hierzu sind die Fortschritte, die auf dem Gebiet der Seidenerschwerung gemacht worden sind, außerordentlich große. Bekanntlich verliert die Seide während des Färbeprozesses 20–30% ihres Gewichtes dadurch, daß sich der Bast von dem Seidenfaden ablöst. Diesen Verlust auszugleichen, ist man von jeher bestrebt gewesen. Das neueste Verfahren, das J. N. Neuhaus in Krefeld im Jahre 1892 brachte, besteht darin, daß man die Seide abwechselnd mit Zinnchlorid, phosphorsaurem Natron und Wasserglas behandelt. Diese sogen. Zinnphosphatsilikatcharge fand rasch Eingang in die Technik, und heute wird wohl jede zu erschwerende Seide nach diesem Verfahren, das nur kleine Abänderungen erfahren hat, behandelt. Mit der Beschwerung der Seide tritt gleichzeitig auch eine Volumvermehrung des Fadens ein, und dieses ist es wohl, welches in der Hauptsache dazu beigetragen hat, daß die erschwerte Seide sich beim Fabrikanten und auch beim laufenden Publikum so großer Beliebtheit erfreut. Durch die Volumvermehrung ist der Fabrikant imstande, mit der gleichen Menge Seide bedeutend [603] mehr Meterwaren herzustellen, als wenn die Seide nicht erschwert ist. Dadurch stellt sich denn auch der Verkaufspreis der Seidenstoffe wesentlich billiger, denn die Erschwerung ist im Verhältnis zur Seide sehr billig. Das große Publikum ist in der Lage, die billigeren Seidenstoffe zu kaufen, wodurch Weberei und Färberei wieder reichliche Produktionsgelegenheit bekommen. Man kann also wohl behaupten, daß das Erschweren der Seide erheblich zur Hebung und Förderung der gesamten Seidenindustrie beigetragen hat.

Über die Bedeutung der deutschen Farbstoffindustrie geben folgende Zahlen Aufschluß. Der Wert der Jahresproduktion wird auf 250 Millionen M. geschätzt. Etwa ¼ hiervon bleibt in Deutschland, ¾ gehen ins Ausland. Es gibt in Deutschland etwa 15 Teerfarbenfabriken mit gegen 1000 Chemikern und 25 000 Arbeitern. Einige dieser Fabriken sind Riesenunternehmungen mit je 36 Millionen M. nominellem Aktienkapital.

Mit der Verbesserung des Farbprozesses hat auch die Verbesserung der Färbeapparate Schritt gehalten. Es sei besonders auf die Erfolge hingewiesen, die bei dem Färben von Garnen in aufgewickeltem Zustande erzielt worden sind.

Neuerungen auf den verschiedenen Arbeitsgebieten.

Nicht minder wichtig wie die besprochenen Fortschritte, die die ganze Textilindustrie beeinflußt haben, sind die vielen Verbesserungen und Neuerungen bei den einzelnen Arbeitsmaschinen und Arbeitsverfahren. Die Bestrebungen gehen dahin, die Produktion zu erhöhen, das Material zu schonen, die Abfälle, namentlich bei teuren Materialien zu verwerten und durch Einführung neuer Spezialmaschinen an Arbeitskräften zu sparen. Hand in Hand laufen damit die Bemühungen, die Arbeiter vor Unfällen an den Arbeitsmaschinen durch Sicherheitsvorkehrungen zu schützen und die Arbeitsräume durch sanitäre Einrichtungen zu verbessern. Auch ist das Bestreben unverkennbar, bei Neueinrichtung von Fabriken dem Schönheitssinn durch Berücksichtigung der Forderungen der modernen Architektur Rechnung zu tragen. Elektrischer Antrieb bürgert sich mehr und mehr ein und läßt die unschönen, die Übersichtlichkeit des Betriebes störenden und zu Unsauberkeiten leicht Veranlassung gebenden Transmissionen verschwinden. Aus den einzelnen, im folgenden betrachteten Arbeitsgebieten können nur die wichtigsten Neuerungen berücksichtigt werden.

Baumwollindustrie.

In der Baumwollspinnerei haben die Mischmaschinen, die ihnen verwandten Kastenspeiser und die pneumatischen Vorrichtungen, die das beim Verpacken an der Gewinnungsstelle stark zusammengepreßte Material in Einzelflocken auflösen und in die Mischungsstöcke befördern, zur Verbilligung und Verbesserung des ersten Arbeitsvorganges in der Fabrik beigetragen. Überhaupt sind die Beförderungsvorrichtungen für das Material von Maschine zu Maschine wesentlich geändert worden, was durch zweckentsprechende Anordnung der Öffner und Schlagmaschinen ermöglicht wurde. Durch diese Vorkehrungen und die Vakuumentstaubung, die Staub und Materialflug unmittelbar von den Maschinen [604] absaugt, sind alle Arbeitsräume staubfreier und sauberer geworden, und die Feuersgefahr ist vermindert. Das letztere ist auch durch die Anbringung von Magnetwalzen zur Entfernung metallischer Verunreinigungen des Rohmaterials durch Nägel, Teile von Metallbändern der Baumwollballen usw. erreicht worden, durch die viele Entzündungen verursacht wurden. Bei den Karden ist das Färben und Bleichen der Bänder in der Spinnerei von Wichtigkeit. Die mehrfach doublierten Bänder durchlaufen nacheinander die Farbflotte, die Quetschwalzen, die Spülvorrichtungen usw., werden zu Wickeln aufgerollt und können, nachdem sie getrocknet sind, der Strecke vorgelegt werden. Sehr sinnreich sind die elektrischen Abstellvorrichtungen an den Strecken und Flyern. Sie stellen ab, wenn das Band oder der Faden fehlt, wenn das Band zu schwer oder zu leicht ist und wenn die Kanne oder die Spule gefüllt ist. Von den großen Fortschritten des Maschinenbaues zeugen die Antriebs-, Führungs- und Zentralschmiervorrichtungen der Trosseln, die eine Tourenzahl von 9500–11 000 zulassen, ferner die Möglichkeit der Geschwindigkeitsregulierung der Spindeln entsprechend dem Aufwindungsradius bei so hoher Tourenzahl und endlich die Vermehrung der Spindelzahl der Selfaktoren von 600–800 auf 1200–1300. Ganz neu sind die Versuche, das Absetzen der Trosselspulen automatisch vorzunehmen, wodurch die Zahl der das Absetzen besorgenden Arbeitskräfte von 8 auf 2 vermindert wird und die Trosseln in 1½ Minute wieder in Betrieb gesetzt werden können. Um die Vervollkommnung der Baumwollspinnmaschinen haben sich verschiedene sächsische Firmen hoch verdient gemacht. Vor allem Oskar Schimmel & Co. und die sächsische Maschinenfabrik in Chemnitz.

Hinsichtlich der Vorbereitungsmaschinen für die Baumwollweberei haben wir uns ganz frei von England gemacht, heute bilden sie zum Teil sogar ein beträchtliches Absatzgebiet Deutschlands an fremde Staaten. Um die Ausbildung der Kreuzspulmaschine haben sich die Firmen Rud. Voigt in Chemnitz, die Sächsische Webstuhlfabrik in Chemnitz und Schlafhorst & Co. in M.-Gladbach verdient gemacht. Englische Kreuzspulmaschinen werden bei uns kaum noch eingeführt, dagegen führen wir sie in großem Umfange nach Holland, Belgien, Frankreich, Österreich, Rußland, Italien, Spanien und Portugal aus. Wir verdanken den Erfolg der gründlichen Durchbildung, die unsere Konstrukteure der Maschine gegeben haben. Auch sind wir auf dem besten Wege, den Barberknoter, der bis jetzt noch aus England bezogen wird, durch eine deutsche Erfindung zu ersetzen, die mit dem richtigen Weberknoten arbeitet. In der Konusschermaschine der Sächsischen Webstuhlfabrik ist der englischen Zettelmaschine eine scharfe Konkurrenz erwachsen, da erstere sich für unsere Fabrikationsverhältnisse besser eignet. Aber auch die Zettelmaschine wird von deutschen Firmen längst in guter Ausführung geliefert. Die englische Sektionalschermaschine ist durch die Konstruktion von B. Cohnen in Grevenbroich ziemlich verdrängt worden. Zu erwähnen wären noch die Versuche von Feßmann & Hämmerle in Augsburg, das Scheren direkt von Cops vorzunehmen, also die Spulmaschine zu ersparen. Die Schlichtmaschinen, namentlich die Kettenbreitschlichtmaschinen, die lange Zeit eine englische Domäne waren, sind seit 10–15 Jahren durch deutsche Maschinen ersetzt worden. Das deutsche Prinzip der Trocknung vermöge starker [605] Luftbewegung durch Windflügel im Innern der Trockenkästen hat das englische Prinzip, die Luft hauptsächlich an der Kette entlang streichen zu lassen, überholt. Die in Verbindung mit den Schlichtmaschinen arbeitende Kettenkreuz-Einlesemaschine, die in wenigen Minuten die Arbeit verrichtet, ist eine deutsche Erfindung. Hinsichtlich der amerikanischen Kettenanknotmaschine, die 100 000 Knoten in 10 Stunden leistet, hat die deutsche Firma Gentsch in Glauchau die Konkurrenz mit einer Kettenandrehmaschine aufgenommen. Maschinen zum Einziehen der Kette in das Geschirr und das Blatt werden vorläufig noch ausschließlich von einer amerikanischen Firma geliefert. Jedoch baut die Firma Baer & Co. in Zürich seit Jahren eine Maschine zum Einziehen in das Blatt, die im Wuppertal viel im Gebrauch ist. Die Schußspulmaschinen, sowohl als Kötzer- als auch als Schlauchcopsmaschine, sind von deutschen Firmen so verbessert worden, daß sie die englischen Konstruktionen in den Schatten stellen.

Die Stühle für die Baumwollweberei, die von den Engländern als Massenartikel in ziemlich roher Ausführung geliefert werden, sind unter dem Einfluß deutscher Konstrukteure zu Präzisionsmaschinen umgestaltet worden. Sie wurden zuerst in Schlesien und Sachsen aufgenommen. Der Westen, veranlaßt durch seine geographische Lage, Tradition und persönliche Beziehungen, bezieht teilweise heute noch englische Fabrikate, die Einfuhr geht jedoch ständig zurück. Die hauptsächlichsten Verbesserungen des Webstuhls zielen seit einigen Jahren dahin, ihn automatisch einzurichten, namentlich die Schußspulen selbsttätig auszuwechseln und den Stuhl bei Fadenbruch still zu setzen, also nicht den Stuhl, sondern den Arbeiter, der mehrere Stühle bedienen kann, leistungsfähiger zu machen. Die Neuerungen sind uns aus Amerika überkommen. Solange die amerikanischen Patente in Gültigkeit sind, sind die deutschen Stuhlbauer an Lizenzverträge gebunden. Die Versuche deutscher Konstrukteure, nicht die Spulen allein, sondern die Schützen mit Spule automatisch auszuwechseln, haben noch nicht viel Erfolge gehabt.

Leinenindustrie.

Im Bau von Spinnmaschinen für den Flachs haben die Engländer am längsten das Monopol behauptet, namentlich dadurch, daß es ein Syndikat der drei leistungsfähigsten Firmen lange Zeit verstand, keine Konkurrenz aufkommen zu lassen. Erst in neuester Zeit ist es zuerst anderen englischen Firmen und dann auch den deutschen Firmen Seydel & Co. in Chemnitz, Oskar Schimmel & Co. in Chemnitz, C. Oswald Liebscher in Chemnitz und N. Schlumberger & Co. in Gebweiler gelungen, in Wettbewerb mit dem Ringe zu treten. Zu den wichtigsten Errungenschaften ist zunächst die automatisch arbeitende Flachskluppen-Ein- und Um- und Ausspannvorrichtung an den Hechelmaschinen zu rechnen. Alle bei dieser Maschine noch erforderlichen Handarbeiten bis auf das Einlegen und Wegnehmen der Flachsbänder wird selbsttätig von der Maschine besorgt, so daß die vorher erforderlichen vier Bedienungspersonen durch eine ersetzt sind und die Maschine auch noch leistungsfähiger geworden ist. Zu erwähnen wären noch die Versuche, die gehechelten Flachsbärte unmittelbar an die Anlegemaschine abzugeben. Einen großen Fortschritt zur Erzielung von Materialersparnis, die bei dem immer teurer werdenden [606] Rohmaterial von Wichtigkeit ist, stellt die Schüttelmaschine dar, die ihre Entwicklung deutschen Erfindern verdankt. Die Karden sind durch die automatischen Speiseapparate und durch die Einführung der Hechelfelder mit Kettenführung und mit schiebenden Hechelstäben verbessert worden. Die Strecken- und Vorspinnmaschinen sind in bezug auf ihre Leistungsfähigkeit vervollkommnet worden. Bei den Feinspinnmaschinen sind mit Erfolg viele Versuche gemacht worden, die Lagerung und Schmierung der Spindeln zu verbessern, dagegen ist man in Bezug auf den Bau der Spindeln selbst immer wieder zur alten Flügelspindel zurückgekehrt. Vielleicht gelingt es aber der Flügelspindel der Firma Seydel & Co. in Bielefeld, die in einer einzigen, das Hals- und Fußlager zugleich bildenden, mit Öl gefüllten Hülse gelagert ist, sich einzubürgern. Hinzuweisen wäre auch noch auf die Erfindung der Firma N. Schlumberger & Co. in Gebweiler, die berufen erscheint, eine vorteilhaftere Verarbeitung der kürzeren Heden zu ermöglichen.

Bei den Vorbereitungsmaschinen der Leinenweberei sind die Fortschritte der Baumwollweberei nutzbar gemacht worden. In der Leinenindustrie hat sich die Handweberei recht lange gehalten. Das liegt daran, daß das spröde Material eine vorsichtige Behandlung erforderlich macht. Es bedurfte erst besonders sorgfältiger Konstruktionen, bevor der mechanische Webstuhl sich einführen konnte. Die Taschentuchweberei, bei der teilweise sehr feine Garne zur Verarbeitung kommen, widerstand am längsten dem mechanischen Webstuhl. Aber heute ist auch dieses Gebiet erobert. Von Wichtigkeit für die Leinenweberei sind die Vorrichtungen zum Mustern, also die Schaft- und Jacquardmaschinen. Hier hat der Maschinenbau unter deutschem Einfluß sehr sinnreiche Verbesserungen zutage gefördert. Zu erinnern wäre an die vielen Vorkehrungen zur Verminderung der Kartenzahl und zur Verbilligung des Kartenmaterials. Bei den Schaftmaschinen hat die hölzerne Stiftkarte und bei den Jacquardmaschinen die Verdolmaschine, die mit Papierkarten arbeitet, den Sieg errungen. Mit den Jacquardmaschinen hängen die Kartenbindemaschinen und die mechanischen Kartenschlag- und Kopiermaschinen eng zusammen. Zu den Kartenspareinrichtungen ist ferner die mechanische Damastmaschine zu rechnen, die das bei der Handweberei übliche Kreuzfach, das ein langsames Arbeiten bedingt, beseitigt hat.

Bei der Appretur der leinenen Waren ist es gelungen, die schwerfälligen und teuren Kastenmangeln durch hydraulische Mangeln, die auch wenige Bedienung benötigen, zu ersetzen. Solche Maschinen mit einem Drei- oder Vierkaulenrevolver werden vorbildlich den Firmen Weisbach in Chemnitz und Gebauer in Charlottenburg gebaut und sind in der ganzen Welt berühmt. Die Beetle-Maschinen haben sich zur Milderung des beim Kalandern entstehenden Speckglanzes immer mehr eingeführt und sind wesentlich verbessert worden, so z. B. durch die Chasing-Einrichtung.

Wollindustrie.

Die deutsche Wollindustrie hatte lange Zeit und teilweise noch heute mit dem Vorurteil zu kämpfen, daß sie hinsichtlich der Qualität der Waren nicht so leistungsfähig sei wie die englische. Richtig ist hierbei, daß in England allerdings einige vorzügliche Wollsorten gezüchtigt werden, die dem Auslande nur in beschränktem Umfange zur Verfügung stehen. Im übrigen ist aber [607] die deutsche Fabrikation im Laufe der Zeit so verbessert worden, daß sie heute durchaus auf gleicher Höhe mit der englischen steht. Von vielen Fachleuten wird sogar behauptet, daß England in mancher Beziehung nicht fortgeschritten und daher von Deutschland überholt worden sei. Das gelte namentlich in bezug auf die Spinnerei und die Zurüstung der Stoffe. Jedenfalls zeigt eine nähere Prüfung im einzelnen, daß viele Fortschritte und Verbesserungen auf deutsche Erfinder und deutsche Industrielle zurückzuführen sind.

Einen wichtigen Bestandteil der Wollspinnerei bildet die Kunstwollindustrie. Der verächtliche Klang, den dieser Name hatte, ist mehr und mehr geschwunden, nachdem man erkannt hat, welche wichtige Rolle dieses Material auf dem Markte spielt. Ohne Kunstwolle wäre es nie möglich gewesen, auch den wenigen bemittelten Leuten Wollsachen mit ihren großen Vorzügen zugänglich zu machen. Ohne Kunstwolle wären die Preise für Schurwolle bei dem Mangel an diesem Material bedeutend höher gestiegen, wie es schon der Fall ist. Ohne Kunstwolle hätte die Baumwolle der Schurwolle eine noch größere Konkurrenz wie bisher gemacht. Bei dem Vorurteil gegen die Kunstwolle ist zu berücksichtigen, daß es sich gar nicht um ein Kunstprodukt, sondern um Naturwolle handelt. Die Wolle, die als Kunstwolle in den Handel kommt, war nur schon einmal zu einem Verbrauchsgegenstand verarbeitet und hat natürlich dabei hinsichtlich der Haltbarkeit und Güte mehr oder weniger gelitten. Gute Kunstwolle, z. B. solche aus feinen Kammgarnstoffen und Trikotagen gewonnene, stellt unter Umständen ein wertvolleres Produkt als schlecht gezüchtete Schurwolle dar. Die Kunstwollfabrikation ist wesentlich durch die Karbonisation, durch die alle pflanzlichen Verunreinigungen, z. B. Baumwollfäden, beseitigt werden, vervollkommnet worden. Dadurch ist es z. B. jetzt auch möglich, halbwollene Lumpen zu Kunstwollfabrikation zu verwenden. Sonstige Errungenschaften in der Wollspinnerei sind vielfach zu verzeichnen. In der Wollwäscherei haben die Gewinnung des Schweißes, aus dem Pottasche hergestellt wird, und die Gewinnung von Fett aus den Abwässern an Bedeutung zugenommen, nachdem man die Gewinnungsmethoden verbessert hat. Das Trocknen und Färben der gewaschenen Wolle geschieht heute ausschließlich durch maschinelle Einrichtungen, auf welchem Gebiete deutsche Erfinder hervorragend tätig gewesen sind. Beim Färben wird gerade umgekehrt wie früher gearbeitet. Während die Wolle früher in der Flotte bewegt wurde, wird jetzt die Flotte durch sie hindurch getrieben und zwar meistens im Wechselstrom. Dadurch wird das Material geschont, denn das gefürchtete Filzen der losen Wolle wird vermieden. Das Karbonisieren der Wolle, daß wie bei der Kunstwollfabrikation zur Beseitigung pflanzlicher Verunreinigungen, z. B. Kletten und Stroh, vorgenommen wird, hat sich immer mehr eingebürgert, nachdem die Arbeitsmethoden so geändert worden sind, daß die Wolle beim Säuren und Trocknen nicht mehr angegriffen wird. Hinsichtlich des Baues der Krempel- und Spinnmaschinen kann man behaupten, daß die deutschen Erbauer ihre englischen Lehrmeister weit überholt haben. Während vor 25 Jahren englische Spinnereimaschinen in großen Mengen eingeführt wurden, ist es heute nicht mehr erstaunlich, daß deutsche Fabrikate nach England wandern. Die Entwickelung des deutschen Spinnereimaschinenbaues stellt ein Ruhmesblatt in der Geschichte [608] der deutschen Technik dar. Es sei nur erinnert an die Florteiler von Schellenberg, die von Geßner verbessert wurden, an die Einführung der Nitschelhosen, die bald auf vier und sechs vermehrt wurden, an das Zweipeigneur-System, an die selbsttätigen Beschickungsapparate, an die Pelzbrecher, an die automatischen Bandübertragungsvorrichtungen von Krempel zu Krempel usw. Dank diesen Einrichtungen ist die Leistungsfähigkeit der Krempeln um das Dreifache vermehrt und doch die Zahl der Bedienungskräfte vermindert worden. Auch der Selfaktor ist durch deutschen Fleiß zu einer Maschine entwickelt worden, vor der der Laie jedesmal vor Bewunderung stillsteht, wenn er sieht, wie sinnreich die vielen Mechanismen ineinandergreifen, um die einzelnen Arbeitsvorgänge auszuführen.

Mit dem Bau der Tuch- und Buckskinwebstühle haben sich hauptsächlich die Sächsische Webstuhlfabrik, die Sächsische Maschinenfabrik in Chemnitz und die[2] Großenhainer Webstuhlfabrik in Großenhain beschäftigt und alle Einzelheiten so sorgfältig ausgestaltet, daß ihre Fabrikate nahezu konkurrenzlos sind. Laden- und Schäftebewegung, Schlag und Schützenwechsel sind so verbessert worden, daß die Stühle, die früher nur 50 Schuß in der Minute machten, heute 110 ausführen. Die Vorbereitungsmaschinen liefert heute in erster Linie die Firma Gebr. Sucker in Grünberg. Auf dem Gebiete der Teppichweberei sind viele Neuerungen in der Herstellung der Vorware für Axminsterteppiche, in der Moquettefabrikation, beim Drucken der Florketten und für die mechanische Herstellung von Knüpfteppichen zu verzeichnen. Als Unterschuß für Teppiche spielen die Zellstoffgarne eine Rolle. Sie werden aus dem Zellstoff des Holzes gewonnen.

Bei den Appreturmaschinen für Wolle wären zu erwähnen: Die elektrische Tuchwaschmaschine, die aber noch Mängel aufweist, die Absaugemaschinen, die eine neue Idee für die Entfeuchtung der Ware darstellen und die die Zentrifugen verdrängen, die Kratzenrauhmaschine, die die Maschinen mit natürlichen Karden hinsichtlich der leichten Abstufung des Rauheffekts übertreffen, aber nicht für alle Stoffgattungen anwendbar sind, die Naßdekatur, die einen Glanz gibt, der durch den nachfolgenden Farbprozeß unwesentlich verändert wird und die zugleich eine Art Nachreinigung der Ware zur Folge hat, die Verbesserungen an den Trockenmaschinen, sei es in bezug auf die Vorrichtungen zum Einführen der Gewebe, sei es in bezug auf den Trockenprozeß, die Änderungen der alten Spanpresse, die sich in verbessertem Zustande wieder einbürgert, endlich die Finish- und die Plattendekaturmaschine, die beide durchaus krumpffreie Ware mit tropf- und bügelechtem Glanz liefern.

Seidenindustrie.

Noch länger als die Leinenindustrie hat die Seidenindustrie dem Eindringen der mechanischen Weberei widerstanden, aber auch hier geht es mit dem Handwebstuhl schnell bergab. Während es z. B. in Krefeld in den 80er Jahren noch 17 000 Handstühle gab, waren es im Jahre 1912 nur noch 1900. Einige Hundert werden sich aber wohl dauernd behaupten, sie sind für schwierige Artikel, wie Paramenten, Seidenbilder, allerbeste Qualitäten des Samts, der Futter- und Schirmstoffe unentbehrlich. Eigenartig liegen die Verhältnisse in der [609] Bandweberei, die sich als Hausweberei noch im großen Umfange erhalten hat. Der Grund hierfür ist hauptsächlich darin zu suchen, daß der Bandstuhl ohne erhebliche Umänderungen für mechanischen Antrieb geeignet gemacht werden kann, und die elektrische Kraft bequem und billig in kleinen Mengen zu haben ist. Mit welchem Erfolge die mechanischen Seidenwebstühle die heute hauptsächlich von den Firmen Felix Donnar in Dülken und Hermann Schroers in Crefeld bezogen werden, verbessert worden sind, ergibt sich daraus, daß sie heute mit 160–220 Schüssen in der Minute arbeiten, während es vor 10–15 Jahren nur 90–110 waren. Außerdem webt man auf einem Stuhl 2–3 Waren nebeneinander, so daß ein Weber, der bei Stapelwaren 2 Stühle bedient, gleichzeitig 4–6 Waren herstellt. In der Samtweberei geht die Massenerzeugung sogar noch weiter. Es werden nicht allein 3–5 Waren nebeneinander, sondern 2 Warenläufe übereinander, also 6–10 Warenbahnen gleichzeitig gewebt. Die Herstellung von 2 Warenläufen übereinander ist dadurch erreicht, daß die Grundgewebe getrennt übereinandergewebt und durch den Flor verbunden werden, der in der Mitte zerschnitten wird. Die Riesenleistung eines solchen Doppelsamtstuhls ist neuerdings noch dadurch vermehrt worden, daß zwei Schützen übereinanderlaufen, während bisher beide Warenläufe nur mit einem Schützen verarbeitet wurden. Sehr zu Nutzen kamen der Seidenweberei die Erfolge, die mit der Einführung des elektrischen Einzelantriebs erzielt wurden. Denn dieser Antrieb bietet hier besondere Vorteile. Nachdem die Versuche in den Jahren 1893 und 1894 mit Gleichstrommotoren gescheitert waren, sind sie später mit Drehstrommotoren und Kurzschlußanker von Erfolg gewesen, namentlich als man die Kraftübertragung vom Motor auf den Stuhl den eigenartigen Betriebsverhältnissen anpaßte.

Wirkerei und Strickerei.

Bei der Wirkerei und Strickerei gingen die Bestrebungen dahin, den mechanischen Betrieb in größerem Umfange einzuführen und die Maschinen- und Arbeitsmethoden so zu vervollkommnen, daß die Gebrauchsgegenstände möglichst ohne Nähte von der Maschine kommen. In dieser Beziehung ist geradezu Hervorragendes von sächsischen und süddeutschen Firmen, namentlich in der Strumpffabrikation, geleistet worden. Die Rundstrickmaschinen arbeiten heute den fertigen Strumpf vom Rand bis zur Spitze ohne Naht und unter Berücksichtigung aller Forderungen an Änderung der Strickart und Form. Zur vielseitigeren Musterung wurde die Links- und Linksmaschine erfunden und die Jacquardmaschine auf Wirk- und Strickmaschinen übertragen.

Flechterei.

Die Entwickelung der modernen Flechterei ist fast ausschließlich deutschen Erfindern zu danken. Das Wuppertal ist der hauptsächlichste Sitz dieser Industrie, und dort sind alle bahnbrechenden Erfindungen für sie entstanden. In die 80er Jahre fällt die allgemeine Einführung der 4-, 3- und 2fädigen Maschinen, die schließlich ihre Krönung in der 1fädigen Maschine fanden. Dank der Verwendung der Jacquardmaschine, die nicht allein für die Steuerung der Klöppel, sondern auch zur Betätigung aller übrigen Elemente der Maschine nach und nach nutzbar [610] gemacht wurde, wurde die Musterung freier und eine vollständige Imitation der handgeklöppelten Spitze erreicht.

Bobbinetfabrikation.

Der rastlosen Tätigkeit sächsischer Firmen ist die Einführung der Bobbinetfabrikation in Deutschland zu verdanken. Nach vielen langwierigen und kostspieligen Versuchen ist nicht allein die Fabrikation der glatten und später der gemusterten Tülle, sondern auch der Gardinen und Spitzen gelungen. In letzterer Beziehung sind wir zwar noch von dem Ursprungslande dieser Fabrikation England abhängig, aber deutsche Konstrukteure sind unablässig daran tätig, diese Industrie auf eigene Füße zu stellen.

Stickerei.

Auch auf dem Gebiete der mechanischen Stickerei sind große Fortschritte zu verzeichnen. Es sei hingewiesen auf die Einfädelmaschine für die Heilmannsche Stickmaschine, auf die automatische Schiffchenstickmaschine, auf die Verbesserungen des Ätzverfahrens bei der Erzeugung der Spachtel- und Luftspitzen usw., auf die Verwendung des Panthographen an der in eine Stickmaschine verwandelten Nähmaschine zur Herstellung von Buchstaben, Monogrammen und Namen, und auf die Kurbelstickmaschine, die sich für das Besticken von Kleidungsstücken, Möbel- und Vorhangsstoffen usw. sehr eingebürgert hat. Auf allen diesen Gebieten sind deutsche Erfinder erfolgreich tätig gewesen.

Zukunft der deutschen Textilindustrie.

Zum Schlusse seien noch einige kurze Betrachtungen der Zukunft der deutschen Textilindustrie gewidmet. Die Ausfuhr auf diesem Gebiete betrug im Jahre 1910 1250 Millionen, die Einfuhr 1840 Millionen. Wir zahlen also an das Ausland 590 Millionen mehr, als wir von ihm einnehmen. Diese Zahl braucht nicht Schrecken zu erregen, denn die Textilindustrie ruft viele Gegenwerte hervor, die dem Inlande zugute kommen und den Verlust reichlich einbringen. Immerhin muß man bestrebt sein, die Differenz zu verringern oder sogar zu beseitigen. Ob und inwieweit dies durch Steigerung der Ausfuhr möglich sein wird, ist nicht vorauszusagen. Es ist schon früher auf die ungünstigen geographischen Verhältnisse Deutschlands gegenüber seinen bevorzugten Konkurrenten England und Amerika hingewiesen worden. Es fragt sich, ob es den Fabrikanten und Kaufleuten trotz der Zollschranken, die sich überall erheben, gelingt, durch Lieferung besserer Qualitäten und durch billigere Preise mehr Boden zu gewinnen. Wohl aber ist es nicht ausgeschlossen, die Einfuhr zu verringern. Sie betrug im Jahre 1910 für Rohmaterial 1436 Millionen, für Garne 254 Millionen und für Stoffe 150 Millionen. Zunächst müssen alle Kräfte daran gesetzt werden, die Summe zu verkleinern, die durch den Bezug im Inlande nicht erzeugter, aber verbrauchter Stoffe und Garne verloren geht. Maschinenbauer und Fabrikant müssen Hand in Hand arbeiten, um Maschinen und Arbeitsverfahren so zu vervollkommnen, daß alle Qualitäten, auch die feinsten, im Inlande hergestellt werden können. Auffälig ist, daß die Fabrikation der Florettseide in Deutschland noch nicht in größerem Umfange aufgenommen worden ist, trotzdem [611] die Spinnereiabteilung der höheren Fachschule für Textilindustrie in Krefeld seit geraumer Zeit Gelegenheit bietet, gründliche Kenntnisse auf diesem Gebiete zu erwerben. Bisher wird die Florettspinnerei nur in wenigen Fabriken Badens und des Elsasses betrieben. Im Jahre 1910 wurde aus dem Auslande – namentlich der Schweiz – für 34 Millionen Florettseide bezogen.

Viel wichtiger ist natürlich die Beschaffung des Rohmaterials für die gesamte Industrie. Von den vier Hauptmaterialien können in Deutschland nur Flachs und Wolle gewonnen werden. Früher geschah dies in beträchtlichem Umfange, leider ist dies heute anders. Während im Jahre 1878 noch rund 134 000 ha mit Flachs bestellt wurden, waren es im Jahre 1910 nur noch 10 000–20 000 ha. Während es in den 60er Jahren noch 28 Millionen Schafe gab, waren es im Jahre 1907 nur noch 8 Millionen. Beim Flachs sind wir heute hauptsächlich auf Rußland angewiesen, das 5/6 unseres Bedarfs deckt und bei der Wolle auf Australien und Argentinien, die beinahe ¾ unseres Bedarfs aufbringen. Große Hoffnungen werden auf unsere Kolonien gesetzt. Klima und Bodenverhältnisse sind für den Anbau der Baumwolle und für die Schafzucht geeignet. Mit dem Baumwollbau hat man dank der Tätigkeit des 1896 gegründeten kolonialwirtschaftlichen Komitees in Berlin schon vor längerer Zeit begonnen, zuerst in Togo, später in Ostafrika und schließlich in Kamerun. Der Wert der Ernte, der im Jahre 1903 44 000 M. betrug, ist im Jahre 1912 auf 2 615 000 M. gestiegen. Mit der Wollzucht ist in kleinem Umfange in Neu-Guinea und Ostafrika, und in größerem Umfange in Südwestafrika der Anfang gemacht worden. Der Wert der gewonnenen Wolle betrug im Jahre 1908 19 000 und im Jahre 1912 149 000 M. Ein deutsches Wollschafzucht-Syndikat hat sich neuerdings die Aufgabe gestellt, 3 Millionen M. für Errichtung einer Stammschäferei in Südwestafrika aufzubringen. Erwähnt sei noch, daß man in Ostafrika einen Seidenspinner entdeckt hat, der wild lebt. Mit dem aus den Raupennestern gewonnenen Material sind an der vorgenannten Textilfachschule in Krefeld Spinnereiversuche gemacht worden, die zur Zufriedenheit ausfielen. Es hat sich eine Schappe bis zur Feinheitsnummer 300/2fach herstellen lassen, die sich schön färbte und ohne Schwierigkeit verwebt wurde.

Für den Flachsbau sind unsere Kolonien ungeeignet. Will man sich hier vom Auslande unabhängig machen, so muß die Kultur desselben wieder in größerem Umfange im Mutterlande betrieben werden. Versuche sind neuerdings wieder aufgenommen worden. Es hat sich ergeben, daß sich der Anbau unter Umständen lohnt. Schwierigkeiten macht hauptsächlich die Zubereitung des geernteten Flachses, namentlich das Rösten. Die Spinner wollen diese Arbeit nicht übernehmen und die Landwirte haben heute keine Erfahrung mehr auf diesem Gebiete. Das Rösten ist auch dadurch erschwert, daß in Rücksicht auf die Fischzucht in fließenden Gewässern nicht mehr geröstet werden darf. Die Tauröste geht zu langsam und die Röste in stehendem Wasser liefert zu ungleiches Material. Die bisher vorgeschlagenen künstlichen Röstverfahren haben versagt. Es bleibt daher nur die Warmwasserröste übrig, die aber nur im großen von Vorteil ist. Vorläufig können daher nur solche Landwirte den Flachsbau aufnehmen, die in der Lage sind, große Flächen anzubauen und eine eigene Röstanstalt zu begründen. Der Zusammenschluß [612] kleiner Besitzer behufs Schaffung einer gemeinsamen Röstanstalt ist versucht worden, macht aber oft große Schwierigkeiten. Für den Unterricht in der Flachskultur und für Forschungen auf diesem Gebiete ist an der höheren Textilfachschule in Sorau eine besondere Abteilung geschaffen worden, die mit wissenschaftlichen Apparaten und maschinellen Einrichtungen reichlich ausgestattet ist.

Es ist also alles vorbereitet, um auch auf diesen Gebieten voranzukommen. Mögen die großen Hoffnungen, die auf diese Unternehmungen gesetzt werden, nicht fehlschlagen, damit unsere Textilindustrie nicht allein die jetzige Stellung auf dem Weltmarkt behält, sondern auch noch größeren Einfluß gewinnt.

  1. Druckfehlerberichtigung im 3. Band: lies „Perkin“ statt „Perking“
  2. Druckfehlerberichtigung im 3. Band: lies „die Großenhainer“ statt „der“