Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour) | |
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sein Leid und alle klugen Einwendungen nichts vermochten.[1] Als er starb, waren wir uns darüber einig, daß sein Charakter in den zwei Jahren seiner hochherzigen und grenzenlosen Leidenschaft an edlen Eigenschaften viel gewonnen hatte. Wenigstens in dieser Beziehung hatte er sich richtig beurteilt. Wäre er weiter am Leben geblieben und einigermaßen unter günstigen Umständen, so hätte er sich vielleicht einen Namen gemacht. Vielleicht auch wäre sein Verdienst gerade wegen seiner Einfachheit klanglos verhallt.
. . . . . . . . . . .„O lasso
Quanti dolci pensier, quanto desio
Menó costui al doloroso passo!
Biondo era, e bello, e di gentile aspetto;
Ma l’un de’ cigli un colpo avea diviso.“[2]
Das größte Glück, das die Liebe gewährt, liegt im ersten Handdruck der Frau, die man liebt.
Das Glück der Liebe aus Galanterie dagegen ist realer, mehr ein gefälliges Spiel.
In der Liebe aus Leidenschaft beruht das höchste Glück nicht in der völligen Hingabe, sondern im letzten Schritt zu ihr. Dieses erinnerungslose Glück läßt sich nicht schildern.
Erregt kam Mortimer von einer weiten Reise zurück. Er betete Jenny an, die ihm auf seine Briefe nicht mehr geantwortet hatte. In London angekommen, nimmt er ein Pferd und reitet nach ihrem Landhause hinaus, um sie aufzusuchen. Er kommt hin, Sie ist im
- ↑ [348]
„Come what sorrow can,
It cannot countervail the exchange of joy
That one short moment gives me in her sight.“
(Shakespeare, „Romeo und Julia“.) - ↑ [348] Zitat aus Dante. [Deutsch:
... O armer Mann,
Es ging dahin in seiner TodesstundeManch holder Traum und mancher Hoffnungsstern.
Wie schön er war, wie blond, wie stattlich groß.
Mit einer Heldennarbe auf der Stirne ...]
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 93. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_093.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)