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Seite:Ueber die Liebe 048.jpg

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Infolgedessen hatten es die liebenswürdigsten Männer aufgegeben, ihre Gunst zu erringen, und bewarben sich nur noch um ihre Freundschaft.

Eines Abends war sie auf einem Balle beim Prinzen Ferdinand und tanzte zehn Minuten mit einem jungen Hauptmann.

„Von diesem Augenblicke an,“ schrieb sie später an eine Freundin, „war er der Herr meines Herzens und meiner selbst, und das in so hohem Grade, daß ich selbst erschrocken gewesen wäre, wenn mir das Glück, Hermann zu sehen, überhaupt Zeit gelassen hätte, noch an etwas anderes im Leben zu denken. Mein einziger Gedanke war der, zu beobachten, ob er mir einige Aufmerksamkeit schenkte.

Heute ist es mein einziger Trost, den ich im Gefühl meiner Mängel finden kann, mich in der Illusion zu wiegen, es sei eine höhere Macht gewesen, die mich mir selbst und der Vernunft geraubt hat. Mit Worten vermag ich es nicht annähernd richtig zu schildern, wie sehr sein bloßer Anblick mein ganzes Wesen verwirrte und umgestaltete. Ich erröte bei dem Gedanken, mit welcher Schnelligkeit und Heftigkeit ich mich zu ihm hingezogen fühlte. Wenn sein erstes Wort, als er schließlich mit mir sprach, gewesen wäre: „Lieben Sie mich?“, ich hätte nicht die Kraft gehabt, ihm nicht mit „Ja“ zu antworten. Niemals hätte ich mir vorstellen können, daß eine Empfindung so plötzlich und so unvorhergesehen sein könnte. Das ging so weit, daß ich einen Augenblick lang glaubte, ich sei verzaubert.

Unglücklicherweise weißt Du und alle Welt, liebe Freundin, wie sehr ich Hermann liebte: nun wohl, er

Empfohlene Zitierweise:
Stendhal übersetzt von Arthur Schurig: Über die Liebe (De l’Amour). Leipzig 1903, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ueber_die_Liebe_048.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)