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Seite:Die Gartenlaube (1896) 0783.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

gegeben – stieg Herr Friedrich von Germar vom Balkon, dem vorzugsweise von Adeligen besetzten ersten Rang, herunter in das Parterre und verkündete dort laut: „Es bleibe bei der Verabredung für heute abend!“ Hunnius spielte den Gastwirt Schnipfer. Sowie er auf der Bühne erschien, geschah, was im Weimarischen Theater bis dahin nie erlebt worden: das gesamte männliche Publikum, vom Parterre bis zur Galerie, begann ein so fürchterliches Pochen und Pfeifen, daß es mich eiskalt überlief und man nicht anders glaubte, als das alte wackelige Haus werde zusammenbrechen. Viele junge Mädchen, Frauen und Kinder ergriffen, schreiend vor Schrecken, die Flucht aus dem Hause. Dabei waren aller Blicke wie aus einem einzigen Auge auf die Jagemann gerichtet, Hunnius’ intime Freundin und Beschützerin, welche ihren Platz auf dem linken Balkon hatte. Zitternd, totenbleich, beinahe bewußtlos saß sie da, als das furchtbare Gericht über sie erging.

Noch sehe ich den „alten Herrn“, den Herzog! Er saß an jenem Abend, wie er oft pflegte, nicht in der sogenannten Herrschaftsloge, sondern ziemlich in der Mitte des linken Balkons. Als das Gericht begann, erhob er sich, und beide Hände auf die Brüstung stemmend, sah und hörte er, dem furchtbaren Lärm gelassen zu, bei welchem seine Minister, Räte und Hofherren kräftig mitwirkten.

Der unverschämte Mensch, welchem diese allgemeine Kundgebung hauptsächlich galt, war frech genug, sich vorn an die Rampe zu stellen und – beide Hände in die Rocktasche steckend – mit lächelnder Miene die Achseln zu zucken, als wollte er sagen: „Macht’s mit ihr aus, meiner Gebieterin! Mir könnt Ihr nichts anhaben.“ Als jene Dame sich einigermaßen erholt hatte, stand sie auf und verließ schwankenden Schrittes das Haus, welches sich unter lautem Getöse bis auf einige wenige entleerte, vor denen das Stück weiter gespielt wurde. So geschah es im Hoftheater zu Weimar am Montag den 11. März 1822, zwei Tage nachdem die Nachricht von Denys Tode eingetroffen war.

Sonnabend darauf, am 16. März, war das damals sehr beliebte Singspiel „Fanchon, das Leyermädchen“ von Kotzebue und Himmel zur Aufführung bestimmt, in welchem Deny durch seine graziöse Erscheinung als Husarenlieutenant St. Val das Publikum immer entzückt hatte. Hunnius spielte den Tapezier Martin. Sobald das Publikum ihn erblickte, erneuerte sich der grauenhafte Lärm in womöglich noch heftigerer Weise als am elften, denn das Haus war heute gedrängt voll. Dann verließen wieder drei Vierteile des Publikums das Theater. – Der „alte Herr“ schaute wieder ruhig zu. Die Dame war, nichts Gutes ahnend, gar nicht erschienen. Ein junger talentvoller und hübscher Schauspieler – Thieme – spielte Denys Rolle, den St. Val, recht gut, konnte sich aber nicht des mindesten Beifallszeichens erfreuen.

Hunnius, ein gar nicht übler Schauspieler, wurde von da an nie wieder applaudiert und kam einige Jahre danach um seine Pension ein, die ihm gewährt wurde. Am Tage der dritten Aufführung nach Denys Tode verkündeten Plakate an sämtlichen Eingangsthüren zum Theater mit Riesenlettern, „daß zu sofortiger Arrestation geschritten werden würde, wenn sich Scenen ähnlicher Art wie neulich im Publikum wiederholen sollten“. Im offiziellen Weimarischen Wochenblatt erschien an der Stelle der Ministerial-Bekanntmachungen die folgende:

„Die Voraussetzungen, unter welchen bisher alle ausdrücklichen Verbote eines unanständigen Betragens in dem Großh. Hoftheater allhier überflüssig waren, scheinen leider wegfallen zu wollen. Zum Schutze des Publikums vor Störungen und zur Sicherung des Anstandes und der Sitte, durch welche die fortdauernde Oeffnung des Großh. Hoftheaters für dasselbe bedingt ist, wird andurch alles Pfeifen, Pochen und Lärmen im Schauspielhause bei ernster Ahndung untersagt. Der Zuwiderhandelnde hat, ohne Ansehen der Person, zu erwarten, daß er aus dem Schauspielhause und zu polizeylicher Haft werde gebracht werden.

Weimar am 19. März 1822.

Großherzogl. Hof-Theater-Intendanz.“ 

Die Wachen, die bekannten Leibhusaren, denen die Exekutive der Theaterpolizei oblag, waren verdoppelt. Es war dies unnötig. Das Publikum hatte sein Urteil gesprochen und die Strafe an Hunnius öffentlich mit bisher unerhörter Strenge vollzogen. Damit war seinem Rechtsgefühl vorläufig Genüge geschehen.

Am 23. März erschien Madame Jagemann zuerst wieder auf den Brettern in der Oper „Mahomet“ von Winter als Seïde.

An die allgewaltige Freundin des gnädigsten Herrn, wagte man sich denn doch nicht in gleicher Weise wie an einen gewöhnlichen Schauspieler, zumal man überzeugt sein konnte, daß Karl August mit der angedrohten Arrestation sofort Ernst machen würde. Aber es gab ein anderes Mittel zu einer nicht weniger empfindlichen Strafe!

Madame Jagemann war als ausgezeichnete Sängerin und Schauspielerin ebenso wie die anderen ersten Mitglieder an regelmäßigen Applaus gewöhnt, ein Ausbleiben desselben hatte sie noch nie erlebt.

Darauf nun war der Schlag berechnet. Das Publikum hatte einmütig beschlossen, ihr bei ihrem nächsten Auftreten gar nicht, den Mitspielenden desto lebhafter zu applaudieren. Und so geschah ihr am 23. März 1822. Nur die Hände von zwei oder drei käuflichen Wichten, deren es damals ebensogut wie zu allen Zeiten gab, wollten sich rühren, wurden aber durch ein allgemeines und entschiedenes Zischen sofort und für den ganzen Abend zur Ruhe gebracht. Die „Husaren“ unterließen es jedoch, gegen die Protestler einzuschreiten.

Dieser Schlag traf die Dame hart. Am andern Tage erzählte der Kammermusikus Eberwein uns an der Mittagstafel im „Schwan“, gestern abend habe die Darstellerin des Sklaven Seïde nach dem ersten Akte sich heulend vor Wut auf die Ottomane ihres Ankleidezimmers geworfen und durchaus nicht weiter singen wollen. Da habe Stromeyer, ihr Günstling, ihr vorgestellt, sie dürfe dem Publikum den Triumph nicht bereiten, sie von der Scene vertrieben zu haben. Das habe gewirkt.

Das Publikum aber, welches sein Verhalten gegen die Dame bis zum Schluß der Oper konsequent durchsetzte, schwelgte im Genuß seiner Rache, als es in den folgenden Akten die verweinten Augen und das Zittern des schwer getroffenen Sklaven Seïde bemerkte …

Umsonst! Umsonst! Alles umsonst! Deny war durch das seinen Manen dargebrachte Sühnopfer nicht wieder zu erwecken. Das Weimarische Publikum hatte seinen Liebling, das deutsche Theater einen seiner begabtesten Künstler unwiederbringlich verloren. Und wie jung war er dem grausigen Tod zum Opfer gefallen! Wilhelm Deny stand, als er starb, im siebenunddreißigsten Jahre.


Kinderfüßchen.

Novelle von Victor Blüthgen.

Berlin hat sicherlich nicht viel Sackgassen mehr; aber in der Nähe der Gneisenaustraße giebt es eine solche, und in ihr wohnte der Doktor Hartmann.

Er ist jahrelang Schiffsarzt gewesen, hat dann quittiert und, unabhängig, wie er durch eigenes Vermögen ist, sich hier und da in den großen ostasiatischen Verkehrscentren aufgehalten, Land und Leute studiert, dagegen nur gelegentlich nach Laune praktiziert. Die bunte Fremde mit ihren freieren Lebensverhältnissen hatte es ihm angethan. Er war zwischendurch in Familienangelegenheiten einmal nach Deutschland gereist, aber da hatte er alles entsetzlich eng und kleinlich gefunden, hatte sich aufgeregt über die tausend Rücksichten, die man rechts und links, hinten und vorn zu beobachten habe, und war froh gewesen, als er wieder abdampfen durfte.

Mit der Zeit war er ein starker Vierziger geworden, bequemer und toleranter, und er hatte es an der Zeit gefunden, die Fülle von Eindrücken und Beobachtungsergebnissen, die er gesammelt, zu verwerten. Zunächst litterarisch. Die Genußfreude hatte sich abgeschwächt und etwas wie Ehrgeiz überkam ihn.

Er nahm also Abschied von Tokio, wo er zuletzt gewohnt, um sich in dem unruhigen Berlin ein möglichst ruhiges Wohn- und Arbeitsplätzchen zu suchen. Hier wußte er ein paar Freunde, die es gern übernahmen, ihn wieder mit der Gesellschaft in der alten Heimat zu verknüpfen, so weit er dies wünschen würde.

Die Wohnung wählte er sich selber; den Ausschlag dabei gab, daß der ihm angenehmste Freund, ein verheirateter Ingenieur, den er in Shanghai kennengelernt, in der Nähe wohnte. Er selbst war

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0783.jpg&oldid=- (Version vom 28.4.2023)