Verschiedene: Die Gartenlaube (1872) | |
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Turnkünsten sich gefallenden Schimpanse meist, wenn nicht Widerwillen, so doch kein Wohlwollen bekunden. Augenblicklich aber kehrt sich das Verhältniß um, wenn der Futtermeister oder einer der Wärter sich mit diesem und jenem Affen beschäftigt, sowie also der Mensch mit dem einen oder dem anderen Umgang pflegt.
Gegenüber dem Menschenaffen, welcher mit Bewußtsein und Vergnügen mit Menschen sich unterhält, in dessen Umgange sichtlich erhoben sich fühlt, nach Art eines munteren und etwas muthwilligen oder auch eines verzogenen, verhätschelten Kindes sich benimmt, bald verständig und folgsam, bald eigensinnig und unfolgsam sich zeigt und Kindereien aller Art in der Weise eines übermüthigen Knaben verübt, sinkt das ewig sich gleich bleibende, störrische, furchtsame, mit dem Menschen niemals ein wirkliches Freundschaftsverhältniß eingehende Löwenäffchen trotz seiner zierlichen Gestalt, schmückenden Behaarung und Färbung, Lebhaftigkeit und Beweglichkeit zu einem wenig bedeutenden Wesen herab; es verthiert gleichsam vor dem prüfenden Auge, während der Schimpanse sich vermenschlicht. Einen Vergleich vertragen die Beiden nicht, es sei denn, daß man sie nehmen wolle als das, was sie sind: den einen als Menschen-, den anderen als Eichhorn-Affen. In jenem sehen wir unseren rechtmäßigen Verwandten; bei diesem denken wir kaum an einen Zusammenhang zwischen ihm und uns.
Diese und ähnliche Gedanken fasse ich, vorurtheilsfreien Besuchern des Aquariums gegenüber, angesichts beider Affen zuweilen in Worte, und noch niemals ist es mir begegnet, daß ich bei solchen Leuten auf Widerspruch gestoßen wäre: so überzeugend wirkt die Vergleichung beider Affen. Blind sein Wollende suche ich nicht zu bekehren.
„Ich hätte nicht erwartet,“ sagte im vergangenen Sommer ingrimmig spottend, ein Herr mit weißer Halsbinde und ausgeprägtem Erbsündergesichte, nachdem er einem kleinen Kreise von Herren und Damen vor dem Schimpansekäfige sich zugesellt hatte, „hier im Aquarium für ein so niedriges Eintrittsgeld auch noch einen philosophischen Vortrag über unsere Abstammung von oder unsere Vetterschaft mit diesem holden Wesen, dem Schimpanse, anhören zu können; denn ich habe nicht gewußt, daß Darwinismus und Materialismus selbst hier reisepredigen.“
„Mein nach Gebühr zu verehrender Herr,“ erwiderte ich ihm, „wir haben Jahrhunderte lang nicht allein Gutes, sondern auch offenbaren Widersinn, gehalt- und geistlose Phantasien über Ursprung und Ende des Menschen, kindische Sagen und Märchen anhören und widerspruchslos hinnehmen müssen: warum sollten nicht auch Sie einen Beitrag zu der geistvollsten und überzeugendsten Annahme des bedeutsamsten aller jetzt lebenden Naturforscher mit einer diesem Reformator der Thierkunde gebührenden Achtung anhören können?!“
Was hätte ich dem Manne auch sonst noch sagen sollen? Denen, welche nicht erkennen wollen, bleiben Darwin’s Werke mit sieben Siegeln verschlossene Bücher.
Als ich Mitte Januar 1871 auf meiner Fahrt mit einem deutschen Sanitätszuge nach Frankreich von Brumath aus einen Abstecher zu Schlitten nach Straßburg machte, fiel mir, schon im Bereiche der Laufgräben und Verwüstungen zur Linken von der Straße gleich bei Schiltigheim, ein allein unversehrt gebliebenes großes Gebäude mit Kirchlein auf. Mein Rosselenker, ein fünfzehnjähriges elsässer Bürschchen, erklärte das für ein Waisenhaus und setzte mit besonderer Betonung hinzu: „Da druff habbe se nit schisse därfe.“
Hätte ich damals gewußt, durch welch ein Mirakel nur kurze Zeit vorher dieses Haus verherrlicht ward, so würde ich mir es wohl zweimal angesehen haben, denn in der That trug diese Stätte bei, ein neues Zeugniß dafür zu liefern, wie viel Unglaubliches im Glauben noch heutzutage geleistet werden kann.
Zu Illfurth, einem katholischen Pfarrdorfe des Bisthums Straßburg, im ehemaligen Arrondissement Altkirch des französischen Departements Oberrhein – jetzt im kaiserlich deutschen Reichslande Elsaß – ist ein „unbemittelt, aber christliches und frommes“ Elternpaar Burner, das sich durch Handarbeit ernährt, in Besitz zweier Knaben, von welchen der ältere, Theobald 1854, der jüngere, Joseph, zwei Jahre später geboren wurde. Im Spätherbst 1864 fingen Beide an zu kränkeln: „ein mehrartiges Fieber äußerte sich.“ – Aerzte konnten nicht helfen. Wie aber den Knaben dennoch geholfen wurde, offenbart uns der „Treue Bericht“ von dem Herrn Pfarrer zu Illfurth Karl Brey, veröffentlicht „mit Erlaubniß des Hochw. Ordinariats von Straßburg“, dem ich das Folgende mit größter Gewissenhaftigkeit nacherzähle. Nach diesem Berichte wurde am St. Katharinentag (25. November) 1865 Theobald, auf dem Rücken liegend, plötzlich schnell wie ein Rad herumgedreht; dann warfen beide Knaben, „wie von einer unsichtbaren Gewalt genöthigt“, sich schreiend auf ein Bett, schlugen mit Händen und Füßen auf dasselbe, daß starke Bretter aus der Bettstatt fielen, und setzten dieses Dreschen, wie sie es selbst nannten, mehrere Tage oft halbe Stunden lang und nahe an hundert Male fort, und zwar ohne davon zu ermüden, denn nach demselben gingen sie stets lachend und scherzend wieder zu ihren anderen Geschwistern. Bald stellten sich auch convulsivische Bewegungen und Krämpfe ein. Dies Alles geschah natürlich im Beisein vieler Zeugen, von denen Jeder irgend ein bewährtes Heilmittel anzurathen wußte. Indeß nur Einer der Umstehenden traf das Rechte: er rieth, den Leidenden ein mit etwas Gesegnetem gemischtes Getränke zu geben. Und siehe, kaum hatte Theobald davon genossen, so erstarrte er und blieb fast eine Stunde lang bewegungslos wie ein Todter liegen.
Dieser gesegnete Trank war es offenbar, der das Unheilige in den Kindern in Aufruhr gebracht hatte, denn nun erfolgte, wie der Herr Pfarrer sich ausdrückt, „eine lange Reihe der verschiedenartigsten, wunderlichsten Phänomene oder Erscheinungen, welche man in die Fabelwelt verweisen möchte, gäbe es nicht Hunderte von bewährtesten Augen- und Ohrenzeugen, welche für deren Wahrheit bürgen.“ Die Beschreibung aller dieser Vorkommnisse würde, wie der Herr Pfarrer ebenfalls versichert, mehrere Bände füllen; um dies zu vermeiden, wollen wir uns mit einigen der merkwürdigsten Vorfälle begnügen.
Es geschah u. A. Folgendes. Wenn die Knaben auf ganz schweren, hölzernen Stühlen saßen, wurden sie in die Höhe gehoben und die Stühle in eine, die Knaben in die andere Ecke geschleudert. Bald überkam die Kinder eine Art von Wolfshunger, und zu gleicher Zeit fühlten sie ein Stechen am ganzen Leib. Und da sah nun Jedermann, wie ihnen schmutzige Federn und Seegras aus den Ohren und anderen Körpertheilen „gleichsam“ hervorwuchsen. Es half nichts, die Kinder umzukleiden, Hemd und Hosen waren doch gleich wieder voll dieses Unraths.
Das dauerte wochenlang und die Knaben waren endlich so geschwächt, daß sie das Bett nicht mehr verlassen konnten. Convulsionen und Magenkrämpfe stellten sich ein, ebenso Geschwulst des Unterleibes und Gefühl, als ob eine Kugel oder etwas Lebendiges im Magen herumliefe, und dabei waren die Beine „wie biegsame Ruthen zusammengewunden“, so daß kein Mensch sie auseinanderreißen konnte. Gegen diese Uebel mußte Etwas geschehen, und man griff, wie der Herr Pfarrer berichtet, nach einem einfachen Mittel: man brachte nämlich das heilige Kreuzzeichen und das Besprengen der Leidenden mit Weihwasser in Anwendung.
Abermals scheint die fromme Cur das Böse nur gereizt zu haben, denn wenn man jetzt den Knaben ein in Tuch eingenähtes Kreuz, eine geweihte Medaille oder das zu Ehren des heiligen Joseph besonders angefertigte St. Josephschnürchen noch so sorgsam und fest auf den Leib band, so riß es eine unsichtbare Macht doch hinweg und noch die Hemden dazu entzwei. Auch das Beten wurde den Knaben immer schwerer, „die Aussprache der heiligsten Namen Heiliger Geist, Jesus, Maria weckte in den Kleinen starke Convulsionen!“ Das Schlimmste waren die gespenstischen Erscheinungen, von welchen Tag und Nacht namentlich der ältere Knabe geplagt wurde; „ihm zeigte sich ein den Umstehenden unsichtbares, ungestaltes, aber gräuliches Wesen; es hatte einen Entenschnabel, bekrallte Hände und den Leib mit unsauberen Federn bedeckt.“ Wenn dieses Ungethüm über dem
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 854. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_854.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)