Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1872) 384.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Max glaubte unter diesen Umständen den Verstoß gegen die Dienstgesetze auf sich nehmen zu dürfen; er konnte ja seinen Burschen mit einer Meldung an Sontheim allein nach Void zurücksenden, um dort keine Unruhe wegen seines Ausbleibens entstehen zu lassen. Gaston übernahm noch, die Einladung zum Bleiben über Nacht, die von Herrn d’Avelon ausgehen mußte, zu veranlassen. Herr d’Avelon war ein leidenschaftlicher Schachspieler; es genügte, nach dem Diner wie zufällig ihn darauf zu bringen und zu einer Partie mit Max zu verleiten; es war sicher vorauszusehen, daß er alsdann seinen Gast so lange festhalten würde, bis er ihn einladen mußte, über Nacht zu bleiben. –




4.


Die beiden jungen Männer kehrten zur Ferme zurück. Herr d’Avelon kam jetzt, von den Ställen her, ihnen entgegen. Er schien in ihren Mienen lesen zu wollen, und Max sagte deshalb, um ihn zu beruhigen, sogleich:

„Wir haben uns vollständig darüber verständigt, Herr d’Avelon, daß viele Dinge nicht der Mühe werth sind, ihretwegen einen beschwerlichen Gang zu machen, dessen Ende man nicht kennt; und da auch wohl die Höhle der Jungfrau zu diesen Dingen gehört, ziehen wir es vor, friedlich zusammen heimzukehren.“

„Ah, das ist sehr weise und sehr löblich gehandelt,“ rief Herr d’Avelon offenbar von einer Sorge befreit und fröhlich aus. „Zudem wird die Zeit zum Diner nicht fern sein, und wir thun gut, in’s Haus zu gehen, um auch die Damen nicht länger in Sorge zu lassen, daß dies Mahl ihnen verdorben würde durch zu langes Warten auf Ihre Rückkehr!“

Als sie auf die Terrasse zurückkamen, begegneten sie den beiden Damen, die Arm in Arm und lebhaft redend hier auf und ab gingen.

„Unsere Gäste sind in völligem Einvernehmen,“ rief ihnen Herr d’Avelon lächelnd entgegen, „daß es besser ist, ihren Ausflug zusammen aufzugeben.“

„In der That,“ fiel Gaston ein, „es herrscht darüber nicht die geringste Meinungsverschiedenheit unter uns.“

Valentine blickte forschend in die Züge der beiden jungen Männer; sie nahm allerdings nichts von zorniger Erregung wahr; nur mochte ihr Das, was sie in den Augen und Stirnfalten Gaston’s las, nicht viel beruhigender vorkommen; sie war offenbar nicht so leicht beschwichtigt, wie ihr Vater, und sehr zerstreut. Während man nun auf der Terrasse auf und ab ging und Gaston sich mit Miß Ellen unterhielt, begann Herr d’Avelon mit Max über dessen Pferd, das er eben in den Ställen angesehen hatte, zu sprechen – Herr d’Avelon begann die Art und Weise, wie die Deutschen ihre Pferde behandelten, zu rühmen und im Gegensatz dazu Anekdoten über französische militärische Pferdebehandlung zu erzählen – damit war ein unerschöpfliches Thema für ihn gefunden. Er endete auch nicht eher, als bis ein Knecht kam, um sich von ihm in irgend einer Angelegenheit Verhaltungsmaßregeln zu holen; während er bei ihm stehen blieb, sagte Max:

„Es liegt eine Wolke der Sorge auf Ihrer Stirn, Fräulein Valentine! Ich würde viel darum geben, wenn ich etwas thun könnte, um sie zu zerstreuen!“

„Das können Sie,“ versetzte sie, „es liegt völlig in Ihrer Macht, sie zu zerstreuen.“

„Ach, ich bitte Sie, sprechen Sie, wie …“

„Werden Sie es nicht mißdeuten, wenn ich ganz offen mit Ihnen darüber rede? Sie stehen als Sieger auf unserem französischen Boden, und das muß Sie großmüthig machen; Sie müssen begreifen, wie natürlich in den Besiegten die Neigung ist, einer reizbaren Lebhaftigkeit nachzugeben, den Worten etwas mehr von der Bitterkeit, welche in ihren Herzen schläft, mitzutheilen, als es die gemessenste Höflichkeit erlaubt, durch Rede und Blick an den Tag zu legen, daß sie den Deutschen gegenüber sich[WS 1], wenn auch besiegt, doch nicht entwaffnet oder gar gedemüthigt fühlen –“

„O gewiß, Fräulein Valentine, begreife ich das, das Alles ist ja so natürlich …“

„Und weil Sie das einsehen, wird es Ihnen leicht werden, es auch zu berücksichtigen, in Ihrem Verkehr mit Herrn Gaston von Ribeaupierre; Sie werden edel genug sein, sich zu sagen, daß Sie nicht darauf eingehen dürfen, wenn ihn eine leidenschaftliche Verblendung zu dem Einfalle hinreißen sollte, den großen Kampf zweier Nationen zu carrikiren durch einen …“

„O nein, o nein, Fräulein Valentine,“ fiel Max rasch ein, „seien Sie vollständig darüber beruhigt, ich habe nicht die geringste Lust, durch eine kleine Privatrauferei, denn anders wäre es ja nichts, dieses große Völkerduell zu carrikiren, wie Sie sich ganz richtig ausdrücken. Ich will Ihnen gern gestehen, daß Herr Gaston gewisse Velleitäten der Art mir gegenüber andeutete; ich habe mit ihm offen geredet und wir sind ganz eins darüber geworden, daß davon weiter nicht die Rede zwischen uns sein kann.“

„Das beruhigt mich in der That und ich danke Ihnen dafür. Aber ich fürchte Gaston’s, wie soll ich sagen, leicht bewegliche und reizbare Natur, seine Neigung zu plötzlichem Aufwallen, ich möchte deshalb auch für die Zukunft Ihr Versprechen haben …“

„Ich soll mich auch für die Zukunft binden? Sie sind etwas von einer Diplomatin à la Benedetti, Fräulein Valentine.“

„Sie würden es nicht scherzhaft nehmen, wenn Sie wüßten, was für mich davon abhängt,“ versetzte sie.

„Ich kann es mir denken,“ entgegnete Max, durch diese Bemerkung ein wenig betroffen, „man sagt, er stehe Ihnen näher, als es ein bloßer Freund thut –“

Sie schüttelte den Kopf.

„Was sagt man nicht Alles! Aber das Schicksal findet oft seltsame Wege, uns zu umstricken und uns auf Bahnen zu ziehen, zu Schritten zu drängen, welchen wir ursprünglich widerstrebten. Gaston’s Mutter ist die Wohlthäterin meines Vaters. Dieser ist unbekannt und freundlos in diese Gegend gekommen; Gaston’s Mutter hat ihm erleichtert, möglich gemacht, sich hier einzubürgern und Wurzeln in diesem Lande zu schlagen, indem sie ihm die Verbindung mit einer Verwandten vermittelte –“

„Die ihm dies Gut zubrachte?“ lag es auf Maxens Lippen, aber er unterdrückte die Frage, als zu indiscret. Valentine fuhr fort:

„Sie sehen, daß heute, wo Gaston in unser Haus als Freund und Gast aufgenommen ist, wir ihn nicht von der Ferme des Auges seiner Mutter nach Givres heimsenden können mit einem zerschossenen Arm, einer deutschen Kugel in der Brust … stieße ihm durch unsere Schuld ein Unglück zu, dann …“

Valentine endete nicht; ihre leise geflüsterten Worte verloren sich in einem tiefen Seufzer, der ihre Brust hob.

„Ich verstehe Sie vollständig, Fräulein Valentine,“ sagte Max, dem vor stürmischer Freude über diese vielsagenden Geständnisse das Herz schlug. „Ihre Worte ‚durch unsere Schuld‘ deuten mir an, welches Urtheil Sie glaubten mir sprechen zu müssen, wenn ich nicht in der Friedfertigkeit das Aeußerste leiste! Sie würden mich sofort von hier vertreiben! Aber Sie können meiner gewiß sein. Ich werde der treueste und gehorsamste Beobachter unserer Kriegsgesetze sein, die uns ja jede derartige Reibung mit Ihren Landsleuten strenge untersagen; in der That, ich werde Gaston gegenüber, was auch immer kommen möge, nie vergessen, daß wir im Kriege sind, so gründlich und vollständig ich das vergesse Ihnen gegenüber. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es ist mir ganz unmöglich zu denken, daß ich auf der Ferme des Auges in einem feindlichen Lande bin – es ist mir, als herrsche in diesem schönen, von der Welt geschiedenen Erdwinkel ein goldenes Zeitalter ewigen Friedens, eine heimathliche Luft, nur eine mildere, wärmere noch als meine heimathliche, denn ich wüßte keine Stelle der Heimath, wo mir so alle Knospen des Gemüths plötzlich und über Nacht aufgeblüht sind –“

Valentine erröthete ein wenig, als er dies so lebhaft sprach, sie antwortete lächelnd:

„Wenn in diesem stillen Thale auch nicht ganz so die ewige Sorglosigkeit und der Friede des goldenen Zeitalters herrscht, wie es Ihnen scheint, so haben Sie doch Recht, wenn Sie gerade hier das berühmte deutsche ‚Gemüth‘ sich ausblühen lassen, denn Sie finden an uns Leute, die es zu verstehen wissen.“

„Und doch sprechen Sie ein wenig ironisch von diesem ‚Gemüth‘.“

„Ironisch? o nein; umsoweniger, da wir ja glauben, es ebenso gut zu besitzen, und es eben so hoch halten, wie die Deutschen es thun. – Wir nennen es nur anders.“

„Und wie nennen Sie es?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ch; Korrektur nach Buchausgabe 1874, Google
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_384.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)