verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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daß der Welteroberer Cyrus, der in so vielen Schlachten gesiegt, gegen ein Heer von Frauen schmachvoll unterlag. Zu andern Gedanken dürfte die lesende Männerwelt angeregt werden. Sie dürfte meinen, daß das Amazonenthum ja auch heute noch nicht ganz ausgestorben sei, wenn es auch statt des Wehrgehenkes der Hippolyta nur den Gürtel des Liebreizes trage und statt mit Bogen und Pfeil oder mit Pistolen und Dolch, wie das jüngste sarmatische Amazonenfräulein Wustowoitoff, nur mit dem scharfen Schwerte der Zunge kämpfe; daß vielleicht unsere modernen Amazonen von der Feder, die man so höchst ungalant „Blaustrümpfe“ nennt, viel fürchterlicher seien, als selbst die schlangenhaarigen Gorgonen, und daß ohne Zweifel noch heute mancher Frauenkopf mehr Unheil unter der Männerwelt anrichte, als das versteinernde Haupt der Medusa. In einem Punkte aber werden Leser und Leserinnen übereinkommen, in dem Entsetzen über den Amazonenstaat, von dem die alten Dichter reden. Man denke sich einen Staat von lauter Frauen, von Frauen regiert, von Frauen vertheidigt, wo die Männer höchstens geduldet werden, um die Kinder zu hüten, namentlich die Säuglinge mit der Milch der Heerden zu ernähren! Am ausgebildetsten soll dieser Weiberstaat bei den Amazonen Kleinasiens und Afrikas bestanden haben.
Dort, wird erzählt, sei nie ein Mann in das Land gelassen worden und nur zur Erhaltung des Staates habe man mit den Männern benachbarter Völker Umgang gepflogen. Nur die weiblichen Kinder seien erzogen, die männlichen entweder getödtet oder den Vätern zurückgeschickt worden. Die Mädchen aber habe man von Jugend auf in den Waffen geübt und ihnen sogar die rechte Brust ausgebrannt, weil man sie für ein Hinderniß im Kriege gehalten habe. Das Unnatürliche, Widerspruchsvolle, das in einem solchen kriegerischen Gemeindewesen von lauter Weibern ohne Männer liegt, dessen Hauptstreben doch auf die Vertilgung des ganzen Männervolks gerichtet sein mußte, hat selbst die guten Alten, welche sonst im Glauben an Unglaublichkeiten nicht eben sehr engherzig waren, zu gerechten Zweifeln veranlaßt. Die meisten alten Geschichtsschreiber erklären geradezu das Ganze für eine Fabel, der vielleicht nur das eine Wahre zu Grunde liege, daß einmal Frauen, die von ihren Männern verlassen oder von Unwillen über die Feigheit und unkriegerische Schwäche ihrer Männer erfüllt waren, zu den Waffen griffen und die Bedränger ihres Volkes siegreich zurückschlugen. In ähnlicher Weise wird in der That der Ursprung der pontischen Amazonen von einem Scythenstamme hergeleitet, der sich in Cappadocien niedergelassen und, nachdem der größte Theil der Männer im Kampfe gefallen, durch die Weiber gerettet und zu großer Macht erhoben wurde. Andere wollten das Amazonenthum auf die unter den scythischen Völkern vielfach verbreitete Sitte zurückführen, daß die Weiber mit den Männern in den Kampf zogen. Sie sollen darum auch durchaus nicht so von den Männern abgeschieden gelebt haben, wie es von den pontischen und afrikanischen Amazonen erzählt wird, sondern sich nur als Lohn ihrer Tapferkeit einen Antheil an den Beschäftigungen der Männer, namentlich auch an der Leitung der Volksangelegenheiten, errungen, vielleicht auch zuweilen über jene ein strenges Pantoffelregiment geführt haben. Ein großer Theil alter Schriftsteller und besonders die neuern Philosophen haben sich auch damit nicht begnügt; sie wollen den Amazonen überhaupt keine andere Existenz gönnen, als höchstens eine symbolische.
Solchen Zweifeln gegenüber bleibt den alten Amazonen die einzige Rettung durch die noch jetzt lebenden Amazonen. Ich meine damit nicht die crinolinenumhüllten, federschwingenden Amazonen Europas, sondern die wirklichen, Wehr und Waffen schwingenden, freilich schwarzen Amazonen Afrikas. Hier in dieser Welt der Menschenfresser, der geschwänzten Menschen, der Einhorns etc. ist auch das Amazonenthum noch nicht ausgestorben. Es lebt fort in den Amazonenheeren der Fürsten von Dahome und Ashanti. Diese Länder sind der Sitz des entsetzlichsten und blutigsten Despotismus, der je auf der Erde geherrscht hat, und namentlich Dahome ist in unserer Zeit vielfach genannt worden wegen der gräßlichen Menschenopfer, mit denen die Thronbesteigung jedes Königs gefeiert wird. Hier ist der König der unbeschränkte Eigenthümer alles Grund und Bodens und aller seiner Unterthanen. Ihm allein gehören alle Frauen des Landes, und er verkauft sie alljährlich den Männern, wenn er nicht Einen oder den Andern als Zeichen seiner Gunst oder als Lohn für große Verdienste damit beschenkt. Jeder muß das Weib nehmen, das der König ihm zutheilt, ob auch seine Laune einmal einem jungen Manne dessen Mutter oder gar Großmutter als Frau octroyiren mag. Dieser despotische Fürst wird gleichwohl von Frauen vertheidigt. Frauen bilden den kräftigsten und tapfersten Theil seines Heeres und sind in Zeiten ernster Gefahr seine beste Schutzwehr. Dieses fast durchweg mit Musketen bewaffnete Frauenheer, das gegenwärtig etwa fünftausend Köpfe zählen soll, ist vortrefflich organisirt und hat unter seinen eigenen weiblichen Officieren in allen Kriegen Dahome’s die wichtigste Rolle gespielt; seiner Tapferkeit und Ausdauer verdankte der jetzige König die Rettung seines Lebens bei einem der letzten unglücklichen Angriffe auf Abeokuta.
Es kann auf den ersten Blick befremden, daß dieses Amazonenthum, welches doch eine gewisse Anerkennung des weiblichen Geschlechts, wenigstens seiner Kraft und seines Muthes, einschließt, gerade in den despotischsten Ländern Afrika’s besteht, wo bekanntlich das Weib in der tiefsten Erniedrigung lebt. Aber dieses Räthsel löst sich bei näherer Betrachtung. Das Weib ist es in Afrika, dem alle Arbeit aufgebürdet wird; es hat nicht blos für Haus und Küche, sondern auch für das Vieh und den Feldbau zu sorgen, hat die Häuser zu bauen und auf Reisen oft schwere Lasten zu tragen, während der Mann nur seinem Vergnügen nachgeht und höchstens mit Jagd und Krieg sich beschäftigt. Bei der großen Trägheit der Männer kann es daher wohl geschehen, daß sie den Weibern auch noch die wichtigste und fast nie ruhende Arbeit, den Krieg, überlassen. Dazu aber kommt bisweilen noch ein anderer Umstand. Während der Mann in Folge seines Müßigganges und seiner Ausschweifungen in Schwäche und Unmännlichkeit verfällt, schöpft die Frau aus ihrer beständigen Arbeit, sofern diese nicht übertrieben wird – und dafür sorgt der natürliche Reichthum des Landes – Kraft, Gewandtheit, Regsamkeit. Es kann leicht der Fall eintreten, daß sich das Verhältniß der Geschlechter geradezu umkehrt, daß das Weib nicht mehr als die schwächere Hälfte des Menschen erscheint, und es bedarf nur der Erkenntniß dieser Ueberlegenheit, um auch die Herrschaft des Weibes, den Amazonenstaat, zu begründen. So hätten wir eine doppelte Gestalt des Amazonenwesens: einmal ein tapferes Heer kriegerischer Frauen, aber doch im Dienste der Männer, wie in Dahome; dann ein Frauenregiment, gegründet auf die erworbene geistige und physische Ueberlegenheit des thätigen Weibes über den faulenzenden Mann. Auch für diese letztere Gestalt des Amazonenthums, das uns an die pontischen und libyschen Amazonenstaaten der griechischen Dichter erinnert, hat es in Afrika nicht an Beispielen gefehlt.
Die tiefe Stellung des Weibes bei den Negern, die ihm selbst das Eigenthumsrecht bestreitet, schließt nämlich keineswegs aus, daß es bisweilen zu den höchsten Ehren und zur absolutesten Machtstellung zugelassen wird. Livingstone hat in Südafrika vielfach weibliche Häuptlinge gefunden, die durch Erbfolgerecht diese Stellung erlangt hatten und die denselben blinden Gehorsam, dieselbe abgöttische Verehrung fanden, ja dieselbe Furcht erregten, wie nur je ein männlicher Fürst des Landes. Sie durften freilich nicht heirathen, da ihre hohe Stellung sich mit der Unterwerfung unter einen Mann nicht vertragen hätte, und Livingstone erzählt ein rührendes Beispiel von einer jungen Fürstin, die, nachdem sie die Freuden des Herrscherlebens gekostet, aus freien Stücken ihnen entsagte, um der Liebe ihre Huldigung darzubringen. Wenn eine solche afrikanische Despotin aber zum vollen Bewußtsein ihrer Macht gekommen, so könnte ihr wohl die Versuchung nahe treten, einmal Rache zu nehmen an den Bedrückern ihres Geschlechts und an der eigenen Herrschaft die Mitschwestern theilnehmen zu lassen. Daß es in der Regel freilich bei dem bloßen Versuche bleiben wird, dafür sorgt schon die Natur, und dazu bedarf es kaum noch des Widerstandes der Männer. Einen solchen Versuch zur Gründung eines Amazonenreichs erzählt Reade von einer jungen Fürstin der Dschagas am Kongo. Tembandumba – so hieß diese Königin, vielleicht eine der grausamsten und blutgierigsten ihres Geschlechts – gerieth auf den Gedanken, die Welt um sich in eine Wildniß zu verwandeln. Alle Thiere sollten getödtet, alle Wälder, alles Gras vernichtet werden, damit ihre Unterthanen gezwungen würden, allein von Menschenfleisch und Menschenblut zu leben. Alle männlichen Kinder, alle Zwillinge, alle Kinder insbesondere, denen die oberen Zähne vor den unteren hervorbrechen und gegen welche in ganz Afrika ein merkwürdiges Vorurtheil besteht, sollten umgebracht werden. Nur die weiblichen Kinder sollten aufgezogen und in kriegerischen Dingen unterrichtet werden. So sollte in der
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_810.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)