verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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No. 48. | 1864. |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1 1/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.
1.
Eines Tages erinnerte sich der reiche Gustav Flemming seiner Heimath. Es war im Juli; die Adeligen, die Banquiers und großen Industriellen, die Schauspielerinnen und Sängerinnen der Residenz waren an die Nord- und Ostsee, an den Rhein und in die Alpen gezogen. Im Casino vernahm Gustav täglich die Abreise dieses und jenes seiner Bekannten; selten noch, daß bei Tische „eine Flasche kalt gestellt“ und Abends eine Bank gelegt wurde. So ereignete es sich, daß er einmal vor Mitternacht nach Hause kam und am folgenden Morgen um acht Uhr schon zu seines Grooms Verwunderung nach dem Frühstück schellte. Und während er mit verdrießlicher Miene den Kaffee schlürfte, beunruhigte ihn der Gedanke, daß es heute, morgen und in den nächsten Wochen nicht anders sein werde; daß die „famosen“ Kerle alle fort; daß es in der Residenz langweilig sei … und da fiel ihm das bescheidene Waldkirchen in der Provinz, seine Geburtsstadt, und seine Mutter ein. Er beschloß, beide mit seiner Gegenwart zu beglücken. Während der Groom die Koffer packte, schrieb der junge Herr an seinen Freund Buttler, um ihn zum Mittagsmahle einzuladen.
Um neun Uhr Abends servirte Gustav’s Diener den beiden Herren den Kaffee. Die Fenster des Gemaches gingen nach dem Thiergarten. Sie waren geöffnet und die laue Luft strich in das Gemach. Gustav hatte sich auf einen Divan hingestreckt und sah gedankenlos nach der Mondsichel über den Bäumen. Sein Freund Buttler, eine lange, dürre Gestalt mit kahlem Kopf und vollem Rothbart, saß ihm gegenüber und rauchte.
„Und Du bist wirklich entschlossen,“ begann der Letztere, „heute nach Dings da – wie heißt es doch? – zu reisen?“
„Hm – ich denke.“
„Du wirst Dich entsetzlich langweilen.“
„So fürchte ich.“
„Warum bleibst Du dann nicht hier?“
„Ich langweile mich hier – dort – ich fange an, mich überall zu langweilen … Wenn das so fortgeht, schieß’ ich mich todt.“
Buttler lächelte überlegen. „Nein, Freundchen,“ sagte er, „wenn das so fort geht, wird eines Tages Dein Geld alle sein, und Du wirst Sorgen und Schulden haben, und damit fängt man erst zu leben an.“
„Du sprichst aus Erfahrung.“
„Wie immer,“ erwiderte Buttler und blies geringelte Rauchwölkchen in die Luft. Nach einer kurzen Weile begann er wieder: „Sind hübsche Weiber in Dings da?“
Gustav gähnte, dann erwiderte er: „Hm, ja – ’s ist lange her, daß ich in Waldkirchen war, und damals war ich ein blöder Junge – aber ich denke, es sind welche dort.“
„Und Du kannst sie mir nicht an den Fingern herzählen?“
„Ich sagte Dir ja, es sind drei Jahre, seit ich Waldkirchen verlassen. Vor drei Jahren war ich einundzwanzig alt und erröthete noch und schlug die Augen nieder, wenn ich mit einer Frau allein war.“
„Das ist der Unterschied zwischen Euch Provinzialisten und uns geborenen Großstädtern: Ihr seid einmal blöde gewesen, was man von uns niemals behaupten kann. Das ist aber auch Alles! Jetzt bist Du nicht anders, als irgend Einer von uns, die wir mit vierzehn Jahren ein pince-nez! und eine Liaison hatten. Freilich, ob Deine Frau Mama mit diesen Fortschritten zufrieden sein wird, das ist die Frage.“
„Bah,“ sagte Gustav wegwerfend, „meine Mutter findet Alles an mir gut und schön. Ich bin ihr die Strahlenkrone der Schöpfung; meine nobeln Passionen findet sie so natürlich; meinen Hang zum Nichtsthun weiß sie besser als ich selber zu entschuldigen. Ich glaube, wenn ich eines Tages die Sterne verlangte, so würde sie sich, trotzdem sie eine fromme Frau ist, über den lieben Herrgott wundern, daß er mir nicht sämmtliche Fixsterne zur Verfügung stellt.“
„Himmel! wenn ich nur auch eine so nachsichtige, einzige Mutter hätte, die meinen Lebenswandel moralisch finden und meine Schulden bezahlen würde. Aber, Freundchen, die Engelsgeduld Deiner Frau Mama in Ehren, rathe ich Dir doch, Dich nicht auf Specifikation Deiner Rechnungen einzulassen, denn wenn sie die verschiedenen Shawls, Spitzen und Roben für …. die Georgette vom Opernhaus zu lesen bekommt –“
Gustav zupfte ungeduldig an seinem winzigen Schnurrbart. „Sie wird sie bezahlen,“ sagte er und blies die Backen auf.
„Ja, aber sie wird Dich verheirathen.“
Diese ironische Warnung, so trockenen Tones sie gegeben ward, nahm Gustav all die gute Lauue, mit der man nach einer trefflichen Mahlzeit auf elastischen Polstern die Glieder dehnt. Schon vom Wein geröthet, wurde er jetzt purpurn im Gesicht und sprang voll Entrüstung empor. „Mich verheirathen?“ rief er. „Bin ich ein Backfisch? Komme ich aus einem Mädchenpensionat? Ich heirathen? Niemals!“
Er streckte wie zur Abwehr anstürmender Mütter, Tanten und heirathsfähiger Basen den Arm aus und schwor, daß er sich lieber todtschießen als verheirathen wolle. Ja, so tief empörte ihn das
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 753. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_753.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)