verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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No. 19. | 1864. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen.
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„Meinen Segen habt Ihr, Kinder,“ sagte der Traubenwirth in dem thüringischen Dorfe Wetzlau, indem er dem jungen Barthold derb die Hand schüttelte, während Lieschen, seine Tochter, ihren Kopf an der Mutter Schulter legte. „Du bist ein braver Bursch, Dein Vater hat ein hübsches Gut, und ich denke, Ihr werdet schon mit einander auskommen. Arbeiten habt Ihr ja alle Beide gelernt, und das ist und bleibt doch immer die Hauptsache; so macht denn Hochzeit, wann Ihr eben wollt, Hans. Das Uebrige werd’ ich schon mit Deinem Vater in Richtigkeit bringen.“
Vorher wird es aber auch nöthig sein, daß wir uns die Leute einmal betrachten, mit denen wir hier bekannt werden, und das ist bald geschehen, denn wir haben es keineswegs mit etwa besonderen oder außergewöhnlichen Menschen zu thun.
Christoph Erlau, oder der Traubenwirth, wie er gewöhnlich genannt wurde, da sein Gasthof „zur goldenen Traube“ hieß, war eigentlich ein Metzger, der sich in Wetzlau niedergelassen und durch Fleiß und Aufmerksamkeit gegen seine Gäste ein ganz hübsches Besitzthum erworben hatte. Lieschen, seine einzige Tochter, galt wenigstens im Dorf für eine vortreffliche Partie. Er hielt auch viel auf das Kind und ließ sie, sowie sie aus der Schule war, erst ein paar Jahr in der Stadt, bei einem Schwager, daß sie nicht zwischen den Bauermädchen aufwachsen, sondern auch ein Bischen „Manieren lernen sollte“, wie er’s nannte. Mit siebzehn Jahren nahm er sie aber wieder zu sich heraus, denn einestheils hatte sich seine Wirthschaft so vergrößert, daß er ihre Hülfe wirklich nothwendig brauchte, und dann fehlte es ihm auch an allen Ecken und Enden, wenn er das Mädel nicht bei sich hatte.
Lieschen, obgleich sie ihre Eltern von Herzen liebte, war anfangs nicht gern auf das Dorf gezogen, denn es gefiel ihr besser in der Stadt; aber das elterliche Haus übte doch seine Anziehungskraft, und sie fand zuletzt auch Gefallen an der Wirthschaft selber, wo viele fremde Leute einkehrten und ein reges Leben herrschte. Sie nahm sich der Arbeit dabei mit gutem Willen an, und Vater wie Mutter hatten ihre Freude an dem Kind.
Lieschen war eben zwanzig Jahre geworden, als Barthold’s Vater in die Nachbarschaft – d. h. auf das nächste Dorf, nach Dreiberg, zog und sich dort niederließ.
Der alte Barthold hatte sich aber schon – wie man so sagt – „etwas in der Welt versucht“ und gehörte nicht zu denen, die mit dem Sprüchwort „bleibe im Lande und nähre Dich redlich“ an der Scholle kleben, auf der sie geboren sind – obgleich das wohl auch manchmal sein Gutes haben mag. Er war als junger Bauer nach Schlesien gezogen, wo er sich verheirathete, später aber, durch ein paar schlechte Jahre verdrießlich gemacht und durch glänzende Anpreisungen verlockt, verkaufte er sein dortiges Gut und wanderte nach Ungarn aus, wo er mit deutschem Fleiß und altgewohnter Sparsamkeit auch hier wieder „was Ordentliches vor sich brachte“. In Ungarn blieb er auch viele Jahre, und sein Gut galt bald für eine Musterwirthschaft in der ganzen Nachbarschaft. Allein auf die Länge der Zeit konnte es ihm trotzdem nicht gefallen.
Daß die Eingeborenen des Landes, die Ungarn selber, die eingewanderten Deutschen nicht leiden mochten, darüber hätte er sich vielleicht hinweggesetzt, denn der gutmüthige Deutsche dachte sich in ihre Lage und meinte: „Uns daheim wär’s am Ende auch nicht recht, wenn Fremde von der Regierung begünstigt und uns auf die Nase gesetzt würden.“ Aber die Ungarn verachteten auch die Deutschen und ließen sie das merken, wo sich nur immer eine Gelegenheit dazu bot. Das ärgerte ihn. Im Anfang nahm er sich freilich aus Leibeskräften zusammen und sagte zu sich: „Warte, Du willst den ungarischen Hochnasen einmal zeigen, was ein Deutscher leisten kann,“ und er hielt sich redlich Wort, doch es half Nichts. Wo ein Volk ein anderes aus Ueberzeugung verachtet, da kann ein solch Gefühl gehoben werden, wenn man eben im Stande ist, ihm zu beweisen, daß es Unrecht hat; wo das aber aus Vorurtheil und Nationalhaß geschieht, da ist eine Aenderung nicht zu erhoffen und wird auch nie stattfinden.
Der alte Barthold sah das endlich ein, und wenn er auch Bescheidenheit genug besaß, nicht stolz darauf zu sein, daß er ein Deutscher war, sagte ihm doch sein eigenes Selbstgefühl, daß er sich wenigstens von einem Ungarn noch lange nicht brauche verachten zu lassen; möglich daß auch noch ein wenig Heimweh nach dem eigenen Vaterland dazu kam, kurz er faßte in einer Lebenszeit, wo man doch eigentlich nicht mehr so leicht daran denkt, seinen Wohnsitz zu verändern, nochmals den Entschluß, fortzuziehen. Er bot sein trefflich eingerichtetes Gut aus, und es hielt wahrlich nicht schwer, einen Käufer dafür zu finden, machte Alles zu baarem Gelde, was er sonst noch an Eigenthum besaß, und zog diesmal nach dem Lande, aus dem seine Eltern stammten, nach Thüringen, um hier seine Tage zu beschließen.
Er hatte einen einzigen Sohn, den er Hans genannt, und dazu in Schlesien noch ein damals kleines Mädchen, eine Waise, an Kindesstatt angenommen, die aber auch wirklich wie ein Kind im Hause gehalten wurde und so an ihrer Pflegemutter hing,
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_289.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2021)