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Seite:Die Gartenlaube (1864) 150.jpg

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

von Ende 1772 bis Anfang 1775 – durchsegelte der unermüdliche Forscher, von unseren berühmten Landsleuten Reinhold und Georg Förster begleitet, im Zickzack die Gewässer des südlichen Eismeeres und lüftete einigermaßen den Schleier, der sie bis dahin bedeckt gehalten. Durch Eisschollen und Nebel brach er der Wissenschaft Bahn, mit jeder Meile seiner Fahrt ein Stück des fabelhaften Landes im eigentlichsten Sinne des Wortes zu Wasser machend. So weit er auch nach Süden vorgedrungen war – nirgends hatte er eine Spur des problematischen Südpolarfestlandes auffinden können. Gleichwohl war die Existenz eines solchen noch nicht außer Zweifel gestellt, ja Cook glaubte selber daran. Die größte von ihm erreichte südl. Breite war 71° 10’ (unter 107’ westl. Länge), er war also noch 283 deutsche Meilen vom Südpol entfernt. Dort war ihm der Weg durch Packeis verrannt, worauf er den Versuch, weiter vorzudringen, gänzlich aufgab. „Die Gefahr,“ so sagt er in seinem Reiseberichte, „der man sich in diesem unbekannten Eismeere aussetzen würde, wollte man bis zum Lande vorzudringen versuchen und seine Küsten erforschen, ist so groß, daß ich dreist behaupte, daß kein Mensch es jemals wagen wird, weiter zu gehen, als ich, und daß daher auch das Land, das weiter südlich liegen kann, niemals entdeckt und erforscht werden wird.“ An einer andern Stelle spricht er sich dahin aus, daß sich das von ihm vorgefundene Packeis ganz bis zum Pole erstrecke oder sich vielleicht einem Lande anschließe, mit dem es seit der frühesten Zeit verbunden gewesen sei. „Ich schmeichle mir, daß nun die südliche Hemisphäre genugsam durchforscht worden und das Suchen nach einem südlichen Continent, welches die Aufmerksamkeit der seefahrenden Nationen beinahe zwei Jahrhunderte lang beschäftigt hat, ein für alle Mal zu Ende gebracht ist.“

Solche Worte, von solchem Manne ausgesprochen, mußten allerdings der wißbegierigen Welt die Ueberzeugung aufdringen, daß da unten im Süden nun einmal nichts mehr zu machen sei, und höchlichst überrascht über die sonstigen großen Entdeckungen Cook’s begnügte man sich weitere 50 Jahre mit der mangelhaften Anschauung, welche der große Reisende mitgebracht hatte. Noch immer prangte ein antarktischer Continent, wenn auch auf bescheidenere Verhältnisse reducirt, auf den Landkarten.

Erst zu Anfang der zwanziger-Jahre unseres Jahrhunderts wurde die menschenleere Wildniß wieder Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und neuer Forschungen. Auf Befehl des Kaisers Alexander I. führte Bellingshausen 1820 eine wissenschaftliche Expedition dahin, welche die Entdeckungen Cook’s ansehnlich vermehrte. Mittlerweile waren i. J. 1819 von William Smith die Süd-Shetlandinseln entdeckt worden. Ihr ungeheurer Reichthum an Robben und Seeelephanten, der schon seit 1812 einzelnen Walfischfängern und Robbenschlägern bekannt gewesen, aber geheim gehalten worden sein soll, zog eine Unmasse von englischen, schottischen und amerikanischen Schiffen in die südöstlich von Cap Horn gelegenen Meerestheile. Doch hat sich unter den Expeditionen, deren nächster Zweck die Ausbeute jenes Reichthums war, nur eine um die weitere Erforschung der Südpolargegenden wesentlich verdient gemacht: Capitain James Weddell drang im Meridian der Insel Süd-Georgien (s. Karte) bis 74° 15’ südl. Breite, also 46 Meilen weiter nach dem Südpol vor, als Cook, und fand, ganz gegen die Annahme des letzteren, in dieser hohen Breite ein gänzlich eisfreies und schiffbares Meer, angenehmes und mildes Wetter, zahlreiche Walfische und außerordentliche Massen von Vögeln.

Die Walfisch- und Robbenfänger hatten bald so rücksichtslos gehaust, daß für sie nichts mehr zu fangen war. Mit ihnen wandte sich auch für einige Zeit das allgemeine Interesse von den unbekannten Südpolargegenden ab. Nur Biscoe entdeckte in den Jahren 1831 und 1832 südlich vom Cap Horn das Graham-Land und unter 50° östl. Länge die Enderby-Insel (so genannt nach den Herren Enderby in London, welche die Expedition aus Privatmitteln ausgerüstet hatten); und unweit von der letzteren fand i. J. 1834 Kemp eine Insel, die nach ihm benannt worden ist.

Mit dem Ende der dreißiger Jahre endlich begann eine Reihe neuer wichtiger Entdeckungsreisen, die freilich schon mit 1843 ihren Abschluß erhielt, ohne daß bis heute etwas Weiteres geschehen wäre. Es sind die Expeditionen von Balleny (1839), d’Urville (1840). Wilkes (1839–1840) und J. C. Roß (1840–1843).

Während die früheren Reisen eines Cook und Bellingshausen vorwiegend durch den räumlichen Umfang ihrer Entdeckungen von Bedeutung waren, sind es nun diese neueren durch die genauere physikalisch-geographische Erforschung einzelner kleiner Gebiete und der allgemeinern Verhältnisse der antarktischen Zone. Wir wollen auf die Darlegung der besonderen Verdienste jeder einzelnen dieser Expeditionen nicht eingehen, sondern uns gleich zu einer kurzen Charakteristik der gegenwärtigen Kenntniß unseres Gebiets wenden.

Zunächst fragt sich’s wohl, was denn die bisherigen Besucher der Südpolargegenden wirklich gesehen, was sie nach genauerer Untersuchung als Land, was sie als Meer, als Eis erkannt haben. Von einem großen Theil des Gebiets müssen wir dabei vollständig absehen. Wenn wir oben erwähnten, daß Weddell an einer Stelle bis 74° 15’ südl. Breite vorgedrungen, so hat ihn hierin bis jetzt nur Roß übertroffen (s. die Karte), der – an einer fast entgegengesetzten Stelle – die Breite von 78° 10’ erreichte. Weddell war also noch 256, Roß noch 177 Meilen vom Südpol[1] entfernt. Außer an diesen beiden Stellen ist der 70° südl. Breite kaum bemerkenswerth überschritten worden, ja zum großen Theil bildet noch der Polarkreis die Grenze der südlichen Entdeckungen. Der eigentliche Kern des Südpolargebiets ist demnach noch gänzlich unbekannt, und wenn auch die Vermuthung gegründet ist, daß derselbe eher aus einem großen Meere als einer zusammenhängenden Landmasse bestehen möchte, so berechtigt uns doch Nichts, eines von beiden auf eine Karte zu zeichnen oder bei der Eintheilung der Erdoberfläche in Meere und Länder mit einem bestimmten Zahlenwerthe zu verrechnen – wie noch neuerdings im Rufe der Wissenschaftlichkeit stehende Geographen gethan haben.

Nur wenige Küstenstriche und Eilande an der Grenze dieses großen unbekannten Gebiets sind es, von denen wir sichere Kunde haben. Von den größeren: Graham-, Victoria- und Wilkesland wissen wir nicht, wie weit sie sich nach innen erstrecken, ob sie unter einander zusammenhängen oder vereinzelte größere Inseln bilden. Es ist hier wohl auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, welche der Bestimmung von Land in den südlichen Eisregionen entgegenstehen. Von einer wirklichen Bestimmung können wir überhaupt nur dann reden, wenn entweder der Boden an Ort und Stelle untersucht und als Land – aus erdigen oder steinigen Bestandtheilen – erkannt, oder wenn die Umrisse der in Frage kommenden Erscheinung längere Zeit aus der Ferne beobachtet worden sind. Denn nirgends täuschen Wolken- und Dampfgebilde unser Auge mehr, als in hohen nördlichen oder südlichen Breiten. Nach oben von dem dampfleeren, klaren Himmel scharf abgegrenzt, stellen sie sich dem Auge deutlich, bald als sanft hingedehnte Küsten, bald als riesige, groteske, mit Eis und Schnee bedeckte Gebirgsreihen, dar. Selbst Roß, der erfahrenste Polarfahrer, wurde noch häufig durch solche Trugbilder getäuscht und seines Irrthums nicht eher gewahr, als bis er mitten durch die trügerische Lufterscheinung hindurchgesegelt war. Ein Zweites, was das Erkennen von Land erschwert, ist das Vorkommen von großen Eismassen. Vereinzelte Schollen, schwimmende Eisberge und Eisinseln, sind als solche leicht zu erkennen; schwieriger wird die Entscheidung, wenn das Eis in langgestreckten, zusammenhängenden hohen Wänden, als sogenanntes Packeis, auftritt. Unüberschreitbar und undurchdringlich, wie es dann häufig ist, verschließt es dem Forscher den Einblick in das dahinter liegende Gebiet und führt ihn auch wohl, wenn sich noch dazu auf dem hohen Eisfelde trügerische Dampf- und Wolkenschichten aufthürmen, irre. Solche Packeislinien sind von allen Besuchern der antarktischen Zone in großer Anzahl, jedoch fast ausschließlich südlich vom 60. Breitengrad vorgefunden worden. Die wichtigsten von ihnen haben wir auf unserer Karte angedeutet, und das unterste Bild unseres Tableau’s stellt einen Theil der von Roß unter 78° südl. Breite verfolgten unabsehbaren Eiswand von 150–300 Fuß Höhe dar. Daß übrigens diese Eislinien keinen unveränderlichen Charakter haben, beweist die Thatsache, daß mehrere der von früheren Reisenden vorgefundenen schon nach wenigen Jahren von den betreffenden Stellen verschwunden waren. Roß ist der Ansicht, daß selbst die von ihm entdeckte große Eiswand nicht bis zum Seeboden reiche und also auch keine unveränderliche Stellung habe.

Von den drei größeren auf der Karte bezeichneten Landstrichen wurde das der Südspitze Amerika’s zunächst liegende Graham und Alexander I.-Land am frühesten entdeckt; der Zusammenhang des letzteren, das von Bellingshausen i. J. 1821 nur aus der


  1. E. K. Kane hatte auf seiner berühmten Nordpolexpedition nur noch 115 deutsche Meilen bis zum Nordpol!
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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_150.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)