verschiedene: Die Gartenlaube (1864) | |
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Ich war im Jahre 1820 Student an der Berliner Hochschule, hörte die Vorlesungen von Schleiermacher, Hegel, Ermann, Tölken u. A. und war Mitglied des philologischen Seminars. In letzterer Eigenschaft ward ich für eine philologische Abhandlung „De expeditione Bacchi in Indiam“ mit dem großen Preis beehrt; er betrug außer der Belobung ein Geschenk von dreißig Thalern, eine für meine Verhältnisse und Lebensgewohnheiten nahebei kolossale Summe. Ueber ihre vernünftigste Verwendung war ich nicht lange im Zweifel. Das Sommersemester war zu Ende; eine ausgedehnte Ferienreise entsprach so sehr meinem Verlangen, Deutschland nach allen Richtungen kennen zu lernen, daß ich sogleich einen Plan entwarf, und – da ich bereits Rhein und Schweiz besucht – Salzburg und Tyrol als Ziele aufstellte. Den Ranzen mit Kleidern, Wäsche, Schreib- und Zeichen-Materialien auf dem Rücken, trat ich meine Wanderung an einem schönen Augustmorgen an und ging zunächst, um meine Mutter zu besuchen, nach Altenburg. Zu Leipzig war ich mit den jungen Fürsten Schwarzenberg zusammengetroffen, deren Einer (der bekannte „Landsknecht“) mich nach wenig Tagen durch eine Depesche – welch’ ein Aufsehen in damaliger Zeit! – einlud, in seiner Gesellschaft nach Prag zu reisen. Er ging als Courier, und selten habe ich einen Weg von solcher Länge in angenehmeren Verhältnissen zurückgelegt. Abgesehen von dem Vorausgefühl einer Eisenbahnfahrt, an die damals noch Niemand denken konnte, war mir die Beseitigung aller Paß- und Mauthplackereien eine hohe Annehmlichkeit, und die heiterste Laune und gutes Wetter machten die Reise zur Spazierfahrt.
In Prag fand ich den jungen Grafen Franz Colloredo-Mannsfeld, den ich von früherher kannte, und da auch er eben im Begriff war, eine Reise nach Salzburg und Tyrol anzutreten, war er rasch entschlossen, mit mir zu gehen, obschon sein Reisewagen gepackt stand und ich auf Fußwanderung drang. Er ließ seinen Gouverneur im Reisewagen nach Linz fahren und ging mit mir und noch einem Prager Studenten, C. Pichler, auf der Budweiser Straße durch’s Böhmerland, auf welchem Wege wir mehrfach Gelegenheit hatten, die verschmitzte Brutalität des czechischen Landvolks, sowie die Bornirtheit der Polizeibehörden kennen zu lernen. Mußten wir doch in einem Dorfwirthshause Strafe zahlen, weil wir die Wirthin gegen Gewaltthätigkeiten der Bauern in Schutz zu nehmen versucht: 25 fl., in die sich vor unsern Augen Schulze und Bauern theilten! Ja, in Budweis wurde mir gar die Aufnahme einiger architektonischer Ornamente im Kreuzgang eines Klosters von Polizeiwegen verwehrt! Aber bald sollten wir von österreichischer Polizei noch andere Annehmlichkeiten erfahren.
In Linz verlangte der Polizei-Commissär von Colloredo, er solle mit seinem Gouverneur weiterreisen, und erst auf die Drohung des Grafen, er werde dies sogleich seinem Vater (dem Generalfeldzeugmeister in Wien) melden, erhielt er die Erlaubniß, die Reise mit mir fortzusetzen. Der Gouverneur aber, ein alter, schwächlicher Herr, trat – nachdem er seinen Zögling mir auf die Seele gebunden – seinen Rückweg nach Prag an.
Es folgten nun Tage der seligsten Reisezeit. Begünstigt vom herrlichsten Wetter, voll jugendlicher Empfänglichkeit für alles Schöne, Große und Gute, schwelgten wir in den Gaben, welche die wunderreiche Natur des Salzkammergutes bietet. Wir durchschifften die Seen, erstiegen die Alpen, fuhren in die Schachte der Salzbergwerke, lernten das Leben in den Sennhütten kennen, kletterten mit den Jägern den Gemsen nach und kehrten immer wieder nach Gmunden am Traunsee zurück, wo wir von den Bewohnern des Städtchens uns wie liebe Freunde und Verwandte behandelt und selbst zu Familienfesten gezogen sahen.
Auf Sonnenschein folgt Regen! Er sollte auch uns nicht ausbleiben. In Salzburg angekommen, erfuhr ich vom Polizeicommissär, mein Paß laute auf Salzburg, hiermit sei meine Reise zu Ende. Ich reiste auf einen kgl. preuß. Ministerialpaß, in welchem Salzburg als Richtung der Reise, aber mit einem „und weiter“ angegeben war. Ohne neue Visa eines österreichischen Gesandten konnte ich nicht weiter, und so entschloß ich mich, um diese zu erlangen, nach München zu gehen, und versprach meinen Reisegefährten, nach fünf Tagen mit ihnen in Berchtesgaden zusammenzutreffen. Es war eine hübsche Aufgabe, vier Tage nacheinander je zehn Meilen, dazwischen am Münchner Rasttag eine große Anzahl Gänge zu machen zur Erlangung der Visa! Sie ward gelöst, die Reise von Berchtesgaden aus gemeinschaftlich über den Hirschbüchl in’s Pinzgau fortgesetzt.
Unsere Absicht war, über die Naßfelder Tauern in’s Pusterthal zu gehen; allein in Gastein erfuhren wir zu unserem Leidwesen, es sei so tiefer Schnee gefallen, daß ein Uebergang unmöglich wäre. Wir mußten umkehren und wandten uns nun von Lend aus westlich durch’s Pinzgau nach Kriml. Wir kamen im Dorfe zeitig genug an, um noch den nahen großen und schönen Wasserfall aufzusuchen. Hier hatten wir ein kleines Abenteuer, das uns lächerlich genug dünkte. Während wir der scheinbar in weiten Gewandfalten über die Felswand ausgebreiteten Wassermasse und ihrer sanften Bewegung zusahen, trat aus dem Gebüsch ein Polizeisoldat vor und an uns heran und frug nach unsern Pässen. Ich reichte ihm den meinigen, bemerkte aber sogleich, daß er ihn nicht las, oder lesen konnte, denn er hielt ihn verkehrt. Dann sagte er, ohne die andern Pässe in die Hand zu nehmen, mit pfiffiger Miene: „Hab’ schon die Ehre zu kennen, von Linz her,“ und ging weiter. Wir waren zu harmlose Wanderer, um uns dabei etwas Besonderes zu denken; nur als ich im Wirthshaus auf meine Frage an den Wirth, ob der dasige Gensd’arm kürzlich in Linz gewesen, eine verneinende Antwort erhielt, kam mir ein flüchtiges Bedenken.
Doch unsere Gedanken nahmen sehr bald eine andere Richtung, als wir die Bekanntschaft einiger Viehtreiber machten, die den Vorsatz hatten, am nächsten Tag mit einer Heerde Hornvieh über die Tauern zu gehen. Natürlich schlossen wir uns an; denn gerade auf die Alpenhöhen und einige Beschwerden und Fährlichkeiten war unser Sinn vornehmlich gerichtet. Letztere waren nicht groß; aber an Beschwerden hatten wir keinen Mangel. Wer mit einer Anzahl Viehtreiber eine Nacht in einem Tauernhaus zugebracht, wird davon zu erzählen wissen, wenn ihm auch nicht im Schnee das Schuhwerk erweicht worden und von den Füßen gefallen sein sollte, wie mir damals. Aber alle Leiden waren vergessen, als uns das liebliche Pusterthal aufgenommen, in welchem wir nun mit immer wachsender Lust hinabwanderten, mit der frohen Hoffnung, in Botzen und Meran halbitalische Luft und Landschaft und süße Trauben in Fülle zu finden. Wir wurden unsanft aus unsern Träumen aufgeweckt!
Am 27. September, am Abend eines der schönsten Herbsttage, die den Himmel auf die Erde zu bringen scheinen, waren wir in Clausen angekommen und hatten im Gasthof zum weißen Rössel freundliche Aufnahme gefunden. Gegen Mitternacht wurde ich aus dem Schlaf aufgerüttelt. Ein Herr in Uniform trat in Begleitung einiger andern Männer an mein Bett, erklärte mich nebst meinen Reisegefährten „auf höhern Befehl“ für Gefangene, nahm alle Reiseeffecten von uns zu sich, und ließ, nachdem er den Thatbestand zu Protokoll gebracht und sich entfernt hatte, sechs Mann Wache bei uns zurück.
Wir waren in der That wie aus den Wolken gefallen, und Keiner von uns konnte nur im Entferntesten einen Grund der über uns verhängten Maßregel errathen. Harmlosere Wanderer konnte es nicht geben; wir waren glücklich in Wanderlust, im Genuß der herrlichen Natur, in gegenseitiger Freundschaft und Erheiterung, waren mit keiner Seele in Streit gekommen, hatten auch nirgend politische Gespräche geführt und waren den Paßvorschriften auf’s Pünktlichste nachgekommen. Nur eine Vermuthung blieb offen: ich hatte die malerische Ansicht des Klosters Seben bei Clausen und seiner Umgebung in mein Skizzenbuch gezeichnet, und in Erinnerung an das Verfahren der Budweiser Polizei tauchte in uns der Verdacht auf, daß hier der Frevel durch mich geschehen sei, der uns um unsere Freiheit brachte. Es war ein Irrthum.
- ↑ Mit dem Verfasser, dem in München lebenden bekannten trefflichen Künstler und Kunstschriftsteller, glauben wir bei der im Augenblick von Neuem so rüstig vorschreitenden Reaction die Mittheilung dieser interessanten Erinnerung an die Metternich’sche Polizeiperiode zwar ganz an ihrem Platze, hegen aber doch noch nicht die Befürchtung des Autors, daß eine Wiederkehr von Zuständen, wie die hier geschilderten, noch möglich ist. D. Red.
verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_088.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)