deswegen anerkannt, weil sie seine Botschaft ist und als gültiges Wort vor uns tritt, sondern sie wird anerkannt, weil und soweit sie dem entspricht, was uns auch ohne Jesus Lebenswert ist. Für Grundmann gibt es darnach überhaupt kein Altes Testament. Es gehört in seine Bibel, wenn man dieses Wort hier noch aussprechen darf, nicht hinein. Denn wenn er auch nicht nur negative Beziehungen zum Alten Testament kennt, so bestreitet er doch ausdrücklich seine Heilsnotwendigkeit und empfindet seine Benutzung als unnötigen Umweg über die israelitische Geschichte. Er muß folgerichtig auch seinem Jesus das Alte Testament aus der Hand nehmen, und er tut das, indem er sich in seinem Buche „Jesus der Galiläer und das Judentum“ ausdrücklich zu dem Urteil von Emanuel Hirsch bekennt, daß das Alte Testament nur der durch Gott gefügte geschichtliche Boden der Sendung Jesu sei, daß aber von einer Anerkennung des Alten Testaments als verbindlicher Gottesoffenbarung bei Jesus nicht die Rede sein könne. Die Deutschen Christen gehen also mit einer vorgefaßten Meinung an die Bibel heran und bekräftigen damit nur unseren Satz, daß sie die Bibel nicht als Maßstab und Richtschnur ihres Glaubens ansehen, sondern die Bibel dem Maßstab einer anderen Welt- und Lebensanschauung unterwerfen.
Das Urteil über das Alte Testament ist zugleich auch ein Urteil über das Neue Testament. Ist das Alte Testament keine Heilsgeschichte, dann ist es das Neue auch nicht, sondern es ist, wie wir schon gesehen haben, das Dokument einer bestimmten Frömmigkeit, der Frömmigkeit Jesu von Nazareth, zu der wir aus allerlei Gründen noch ein positives Verhältnis haben, die aber selbstverständlich unserem Urteil unterliegt. Die Deutschen Christen sprechen gern und oft davon, daß sie die Vollender der Reformation Luthers seien. Hier wird sonnenklar, daß zwischen Luther und den Deutschen Christen ein unüberbrückbarer Abgrund klafft. Luther stand unter dem Wort, und all sein Tun ging darauf aus, die Kirche und die Welt wieder ganz an die Autorität dieses Wortes zu binden. Er hatte gerade in dieser Bindung die große Freiheit seines Lebens gewonnen. Er hat in eine Bibel eigenhändig die Mahnung hineingeschrieben: „Ihr, unsere Nachkommen, betet auch mit Ernst und treibet Gottes Wort fleißig; erhaltet das arme Windlicht Gottes; seid gewappnet und gerüstet, als die alle Stunden gewarten müssen, wo euch der Teufel etwa eine Scheibe oder ein Fenster ausstoße,
Karl Fischer: Das Volkstestament der Deutschen Christen. Bekennende Evangelisch-luth. Kirche Sachsens, Dresden 1940, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Volkstestament_der_Deutschen_Christen.pdf/13&oldid=- (Version vom 28.7.2023)