Auf Wegen, drauf die Nacht bald wird vergehen,
Ihr „großes Glück“ die Geomanten schau’n:
Ganz fahl, verstümmelt, stotternd, krumm gebückt,
Und schielend sah ich sie die Augen drehen.
Gestärkt wird und belebt vom Blick der Sonnen,
So wurde sie von meinem Blick durchzückt.
Sie richtete sich auf; ein rother Schein,
Färbt’ ihr Gesicht, wie Hauch der Liebeswonnen.
Als sie ein Lied begann, so holden Sanges,
Daß ich auf nichts horcht’ als auf sie allein.
„Ich bin’s, durch die vom Weg der Schiffer schweift;
Denn wer mich hört, ist voll des Wonnedranges.
Und wie Entzücken ihn und Wollust kirren,
Verläßt mich Keiner, der mich ganz begreift.“
Da trat geschwind ein heil’ges Weib mir nah’,
Die Sängerin beschämend zu verwirren.
Sie rief’s mit Streng’, als sie dies Weib entdeckte,
Indeß er fest nur Ihr ins Auge sah.
- ↑ 7. [In den drei noch übrigen Kreisen büßen, nach Ges. 17, 27 ff. 136, die, der noch nicht ganz überwundenen Weltlust schuldigen Christen, zunächst die noch zu Geizigen, dann Schwelger und Wollüstige. Das erste erscheinende Weib hier ist eben die Weltlust, der sündliche Sinnengenuß.] Dem unbefangenen Blick zeigt sie sich, wie sie der Dichter in V. 7 ff. malt. Aber wenn Leidenschaft und Begehren sie betrachten, erhält sie Reize, welche verschwinden, sobald das zweite Weib, die göttliche Gnade und Wahrheit, sie in ihrer wirklichen Gestalt zeigt. [Es kann unter derselben niemand anderes verstanden sein, als die heil. Lucia.]
- ↑ 22. [= wäre fast gefolgt.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Komödie_-_Streckfuß_-_303.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)