Karl August und der Oberförsterssohn
[640] Karl August und der Oberförsterssohn. Ein Oberförster, der seit langen Jahren treu und redlich gedient, wurde einst bei der Holzrevision beschuldigt und überführt, daß mehrere Klaftern Holz auf seinem Schlage fehlten. „Da weiß der Himmel, wie das zugegangen,“ entschuldigt sich der alte Mann, „ich hab’ sie nicht; auch weiß ich nicht, wer hier etwa der Thäter ist.“
Mit dieser Entschuldigung waren das großherzogl. Oberforstamt und Kammercollegium natürlich nicht zufrieden; es wurde eine gerichtliche Untersuchung über den Armen verhängt, in Folge deren der Oberförster seines Dienstes entsetzt werden sollte. Das Haus des Oberförsters war seitdem ein Haus der tiefsten Trauer, nicht sowohl über den bevorstehenden Verlust des Amtes und Brodes, als vielmehr über den Verlust der bürgerlichen Ehre.
Da macht sich der älteste Sohn des Oberförsters, dem der Schmerz und das Elend seiner Familie auch zu Herzen ging, in aller Stille auf, eilt in die Residenz und meldet sich bei dem Oberforstamte freiwillig als denjenigen, der als Forstgehilfe seines Vaters das fehlende Holz auf dem Schlage heimlich verkauft und das Geld dafür verthan habe. Der Thäter wird bestraft, seines Amtes als Jagd- und Forstgehülfe entsetzt und muß – was am meisten schmerzte – für alle Zukunft jeglichem etwaigen Anspruche auf eine Anstellung als Förster im Großherzogthume feierlich und förmlich entsagen.
Was nun zu thun? Der junge Mann wählte das Beste für damalige Zeiten, er wurde Soldat und als Oberjäger eingestellt. Nach beendigtem Kriege kehrte er in sein Vaterland und Vaterhaus zurück, aber mit welchen Aussichten, welchen Hoffnungen? Der Vater redet ihm zu, sich vor der Hand wieder um eine Anstellung als Jägerbursche auf irgend einem Reviere des Großherzogthums zu bewerben. Mit schwachem Glauben, daß man über seinen mehrjährigen, treuen Soldatendiensten sein früheres Vergehen vergessen haben werde, begiebt sich der Sohn in die Residenz und meldet sich. Jedoch vergebens. Der greise Vater selber verwendet sich für ihn, umsonst. Es bleibt sonach dem Armen nichts anderes übrig, als irgend einen andern Lebensberuf zu wählen, was auch geschah; er wurde Großknecht auf einem Gute.
Da wird nach Jahresfrist fast durch Zufall der wahre Thäter jenes Holzdiebstahls entdeckt. Es wird dem Großherzoge sogleich gemeldet, und dieser läßt den Großknecht zu sich bescheiden.
„Sie sind der Sohn des Oberförsters S.?“ fragt Karl August streng, als der junge Mann in das Zimmer des Großherzogs tritt.
„Zu Befehl, Hoheit.“
„Wie kommen Sie dazu meine Justizbehörde zu belügen und sich als den Dieb und Verkäufer von gestohlenen Hölzern auszugeben?“
Der junge Mann trat einen Schritt näher. Hoheit kennen meinen alten Vater,“ sagte er leise. „Er hatte nichts als seine Kinder und seine Ehre, er war uns stets ein lieber Vater, und da dachte ich denn, es sei Schuldigkeit des Kindes, die Ehre …“
Der Großherzog, der am Tische stand, unterbrach ihn. Als der junge Missethäter so einfach und ohne alle Ruhmrederei seine edle That entschudigen wollte, packte es den Fürsten, und er pochte, um seine Rührung und die aufperlenden Thränen zu verbergen, unwillkürlich auf den Tisch. Hastig ging er dann auf den Erschrockenen zu, und indem er ihn mit zornigen Blicken ansah, sagte er mit erhobener Stimme:
„Und da dachten Sie die Ehre Ihres Vaters mit einer Lüge zu retten? Wissen Sie, was Sie verdienen, junger Mann? … Die Oberförsterstelle in T. (es war die Stelle seines Vaters), und damit der wackere Sohn des wackern Vaters die bösen Tage vergessen kann – hier eine Anweisung auf meine Kammer zum Bau eines neuen Hauses und für den alten Vater den vollen Gehalt als Pension. Gehen Sie – gehen Sie, lieber S.,“ rief er, als der junge Mann weinend zu seinen Füßen stürzte und danken wollte, „gehen Sie – und Gott schenke in meinem Lande allen Vätern solche Söhne!“ –
In einem der hübschesten Forsthäuser des weimarischen Landes wird heute noch von den Kindern des ehemaligen vermeintlichen Diebes am 3. September das Bild des „alten Herrn“ bekränzt, der es verstand in so echt fürstlicher Weise lang getragenes Unrecht wieder gut zu machen und Kindesliebe zu belohnen.