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Das Schmirgeldampfwerk in Hainholz vor Hannover

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Autor: J. Hirsch
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Titel: Deutschlands große Industrie-Werkstätten. Nr. 14. Das Schmirgeldampfwerk in Hainholz vor Hannover
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 143–146
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Reportage über eine Schmirgelfabrik
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[143]

Deutschlands große Industrie-Werkstätten.

Nr. 14. Das Schmirgeldampfwerk in Hainholz vor Hannover.

Die pergamenischen Altertümer waren erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen, als ich eine Reise von Berlin nach Wien unternahm. Ein Reisegefährte, der in mir einen Bewohner der deutschen Kaiserstadt erkannt hatte, brachte das Gespräch auf diese erhabenen Denkmäler einer bis dahin wenig gekannten Kunstepoche und wünschte von mir, der ich sie ja gesehen haben müsse, eine genaue Schilderung derselben zu hören.

Gesehen hatte ich die Sachen allerdings und mich von Herzen daran erfreut, aber die an mich gerichteten Fragen zu beantworten, war ich außer Stande und würde arg in’s Gedränge gekommen sein, hätte sich nicht ein anderer Herr, der erst unlängst zu uns eingestiegen war, in’s Gespräch gemischt und statt meiner die gewünschte Auskunft ertheilt.

Er vermochte dies in einer eigenartigen und lebendigen Weise zu thun; denn er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie ein Theil der Schätze dem Boden entrissen wurde, der sie neidisch und schützend den Blicken der nachwachsenden Geschlechter so lange entzogen. Der neue Reisegefährte stellte sich uns als einen Freund des Dr. Karl Humann (vergl. „Gartenlaube“ 1880, S. 599) vor, dessen Kunstkenntniß, Umsicht und Energie Deutschland den Besitz jener vielbeneideten Kunstschätze verdankt. Er erzählte von der gastlichen Aufnahme, die er bei wiederholtem Aufenthalte in Smyrna im Hause seines Freundes gefunden, und wußte über türkische und griechische Verhältnisse trefflich Bescheid zu geben; denn auch Griechenland hatte er mehrmals besucht und war gerade wieder auf einer Reise dahin begriffen. Unwillkürlich regte sich die Neugierde. Wer und was mochte der Fremde sein? Alterthumsforscher, Geologe, Künstler, Ingenieur? Jede dieser Vermuthungen hatte etwas Wahrscheinliches.

Unser Reisegefährte mußte uns diese Fragen von den Gesichtern abgelesen haben; denn er kam uns mit der Bemerkung zu Hülfe:

„Sie fragen sich gewiß, was einen einfachen Gewerbetreibenden, als den Sie mich sicher erkannt haben, so oft nach[WS 1] dem classischen Boden von Hellas führt? Ich will Ihnen das Räthsel lösen: Ich kaufe dort das Material zu meinen Fabrikaten, nämlich Schmirgel.“

„Eine hübsche Lösung der Frage.“ dachte ich, „nämlich die Lösung eines Räthsels durch das andere.“

„Schmirgel?“ fragte ich. „Was ist Schmirgel? Wozu wird der gebraucht?“ Mein älterer Reisegefährte, der mich schon durch seine Fragen über die pergamenischen Alterthümer in Verlegenheit gesetzt hatte, schaute mit tiefer Verachtung ob meiner Unwissenheit zu mir herüber. Wieder fand ich Hülfe bei dem Andern, der mein Selbstgefühl hob durch die Versicherung, die gleiche Frage werde unzählige Male an ihn gerichtet. In weiten Kreisen Gebildeter wisse man weder was Schmirgel sei, noch welche Bedeutung er für die Herstellung eines großen Theiles unserer Lebensbedürfnisse habe.

„Das Glas des Spiegels dort an der Wand,“ fuhr er erläuternd fort, „ist mit feinem Schmirgel geglättet; ohne Schmirgel war weder Ihre Brille, mein Herr, noch die Sammetbänder und Kragenschleifen unserer Damen, noch der Hut, welchen ich hier im Futterale mit mir führe, anzufertigen; die blinkenden Griffe an der Außenseite unseres Waggons sind ebenso wohl, wie alle wichtigen Metallgegenstände an demselben bei ihrer Anfertigung mit Schmirgel behandelt, um ihnen den Schliff zu geben, und diese Beispiele ließen sich in’s Unendliche vermehren.“

„Schmirgel ist also ein Mineral?“

„Eine Abart des Korund,“ antwortete statt des Gefragten mit wichtiger Miene der andere Herr.

„Und Sie müssen ihn aus so weiter Ferne herholen?“

„Die Fundorte des Schmirgel, Smergel oder Smirgel“ docirte unser gelehrter Reisegefährte weiter, „sind hauptsächlich Naxos und Klein-Asien, obgleich er auch in Nord-Amerika, auf den Canal-Inseln, in Portugal, aus Ceylon und sogar bei Eisenberg in Sachsen –“

„Bitte um die Billets,“ unterbrach der Schaffner, das Coupé aufreißend.

Wir waren dicht vor Wien. Ich warf dem Vielwisser einen bösen Blick zu und wandte mich eifrig an den Besitzer der Schmirgelfabrik, nur die erwachte Wißbegierde noch nach Möglichkeit zu befriedigen. So gut es in der Eile thunlich war, gab er Auskunft auf meine sich überstürzenden Fragen, that ihnen aber endlich lächelnd mit den Worten Einhalt:

„Sie scheinen die Gründlichkeit zu lieben. Was Sie zu erfahren wünschen, läßt sich im Fluge nicht mitteilen. Hier ist meine Karte; ich bin der Mitbesitzer des Dampfschmirgelwerkes von S. Oppenheim u. Comp.[WS 2] in Hainholz bei Hannover; sollte Ihr Weg Sie je in unsere Gegend führen, so besuchen Sie mich; Sie sollen alsdann durch den eigenen Augenschein die gesammte Fabrikation kennen lernen.“

Seine letzten Worte verhallten schon in dem Lärmen und Gewühl, das regelmäßig durch die Ankunft eines Zuges an einer größeren Station verursacht wird. Ein flüchtiges, aber herzliches Abschiednehmen – dann trieb uns die wogende Menge nach verschiedenen Richtungen aus einander.

[144] Während der Fiaker mich nach meinem Hôtel fuhr, hielt ich die Karte in der Hand und dachte kopfschüttelnd, daß diese Begegnung, wie so manche, wohl auch flüchtig und spurlos vorübergehen und ich nie Gelegenheit finden werde, der Einladung Folge zu leisten. Indeß diesmal sollte das alte Sprüchwort: „Berge und Thäler kommen nicht zusammen, wohl aber Menschen“, Recht behalten; denn im vergangenen Sommer traf ich im Seebade Norderney meinen Reisegefährten wieder. Wir begrüßten uns wie alte Freunde; er wiederholte seine Einladung, und ich versprach, auf der Rückreise bei ihm Station zu machen. Das geschah auch.

Nach meiner Ankauft in Hannover brachte mich die Hainholz mit der Stadt verbindende Pferdebahn auf bequeme Weise an das Ziel meiner Reise; ich fand die herzlichste Aufnahme in den Familien der beiden Fabrikbesitzer, die sich unfern von ihrem Fabrikgebäude ein schönes, behagliches Wohnhaus erbaut haben, und es währte eine geraume Zeit, ehe das Gespräch sich der ersten Veranlassung meines Besuches, der Fabrik, zuwandte. Nachdem wir aber darauf gekommen, blieb mein Interesse für lange Zeit ausschließlich davon gefesselt.

Die Entstehung der Fabrik ist, wie mir berichtet ward, sozusagen auf einen Zufall zurückzuführen. Die Inhaber derselben, die Herren Oppenheim und Seligmann, welche damals, der eine als Kaufmann, der andere als Fachmann, ihren Weg durch’s Leben zu machen begannen, wurden im Jahre 1859 veranlaßt, sich mit der Herstellung von Glas- und Flintsteinpapier zu beschäftigen, das zum Schleifen und Glätten von Holz- und Metallgegenständen Verwendung findet.

Die Fabrikation ward anfänglich in sehr beschränkter und primitiver Weise betrieben, das Papier fand aber Absatz, und so konnte bald eine Erweiterung des Betriebes eintreten. Es währte nicht lange, so ward von den Abnehmern und von anderer Seite die Nachfrage nach Schmirgelleinen und Schmirgelpapier laut, sodaß die Geschäftsinhaber es für angezeigt hielten, diesem Artikel gleichfalls ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden, der bis dahin in Deutschland noch nicht hergestellt, sondern aus England und Amerika bezogen wurde, obgleich man dort das Material dafür ebenso wenig im Lande selbst besitzt, wie bei uns.

Wie man mich weiter belehrte, kommt nämlich für die Fabrikation nur der Schmirgel aus Naxos und der Levante in Betracht, und zwar giebt der erstere die besseren, der letztere die mehr gebräuchlichen Qualitäten. An seinen Fundorten sprengt man den Schmirgel in Stücke bis zu einer Größe von etwa 75 Kilogramm, und es ist leicht denkbar, daß der Transport dieses harten und schweren Minerals große Schwierigkeiten bietet.

Auf der Insel Naxos, wo die griechische Regierung das Monopol der Ausbeute innehat und jährlich bedeutende Quantitäten Schmirgel gebrochen werden, schafft man die Stücke aus den Gruben im Gebirge über steile, beschwerliche Bergpfade auf den Rücken geduldiger Saumthiere nach dem Hafenort Naxos und verladet sie dort in kleine Segelschiffe, welche sie nach dem größten griechischen Handelsplatz, Hermopolis, jetzt Syra, auf der gleichnamigen Insel bringen, von wo aus Segelschiffe sie den betreffenden Consumplätzen zuführen.

Der Levantische Schmirgel findet sich zumeist in der Nähe des alten Ephesus und der Stadt Thyra; die dort befindlichen, Privatleuten gehörigen Gruben liefern noch eine weit erheblichere Ausbeute als jene auf der Insel Naxos. Auch hier wird der Transport zunächst durch Lastthiere (Esel und Kameele) bewirkt, bald aber tritt an die Stelle des ältesten Verkehrsmittels das modernste; in Cosbonar und an einigen anderen Stationen nimmt die Eisenbahn die Steine auf und führt sie dem Hafenplatz Smyrna zu, von wo aus sie auf Schiffen nach den Stätten, an welchen sie verarbeitet werden sollen, gebracht werden.

„Den Schmirgel hätten wir also,“ fuhren meine Berichterstatter fort, „wie aber war der feste, zähe Stein zu zerkleinern und für seine Zwecke herzurichten? Verlassen Sie sich darauf, die beste Art, den Schmirgel zu zerbrechen, hat uns nicht wenig Kopfzerbrechen bereitet.“

Zunächst versuchte man durch primitive Hülfsmittel, den Stein mit Aufwendung von viel Zeit und Mühe zu zerkleinern und zu zermahlen; das so erzeugte Fabrikat konnte sich aber in Bezug auf Ebenmäßigkeit der Körnung mit dem der wohleingerichteten ausländischen Fabriken nicht messen, und zum Ueberfluß war die unzulängliche Herstellungsart auch noch eine sehr theure. Da galt es einen Entschluß, und die Herren Oppenheim u. Comp. faßten ihn. Sie bauten eine größere Fabrik mit Dampfbetrieb, in welcher die Erzeugung sämmtlicher Schmirgelfabrikate in umfassender Weise vorgenommen werden konnte. Zur Besichtigung dieses hochinteressanten Werkes ward ich nunmehr freundlich eingeladen.

Wir durchschritten den Hofraum, sowie einen geschmackvoll angelegten, wohlgepflegten Garten und gelangten nach der Fabrik, einem Complex von mehreren Gebäuden, welche den großen oblongen Hofraum von allen Seiten umgeben. Der Rundgang begann bei einem großen Haufen röthlich schimmernder Schmirgelsteine in verschiedenen Größen.

In der Schmirgelfabrik: Brechmaschinen.
Nach der Natur aufgenommen.

Arbeiter führten beliebige Mengen derselben mittelst Kipp-Lowries auf Schienengeleisen einer Brechmaschine zu, deren Gewicht, beiläufig bemerkt, 15,000 Kilogramm beträgt und zu deren Betrieb etwa zwölf Pferdekräfte erforderlich sind (vergl. Abbildung I). Dafür knackt sie die Steine aber auch wie Nüsse, und was der erste Steinbrecher begonnen, führt ein zweiter kleineren Kalibers weiter aus. Von Maschine zu Maschine sich fortbewegend, verwandelte sich das zuerst so unzerbrechlich erscheinende Material vor meinen Augen in Körner von verschiedener Größe, bis zum feinsten Mehl (vergl. Abbildung II). Der zermahlene Schmirgel gelangte nach dieser Procedur auf große Siebwerke, welche denselben in gleichmäßige Körnungen von etwa dreißig verschiedenen Arten sortirten.

Man sollte glauben, dieses Verfahren müsse einen fortwährenden undurchdringlichen Staub erzeugen, zu meinem Erstaunen fand ich aber die Luft fast völlig frei von diesem schleichenden Feinde der menschlichen Lungen. Mittelst Saugmaschinen wird in sinnreicher Weise der Staub aufgefangen und dadurch die den Arbeiter bedrohende Gefahr bedeutend gemindert, gleichzeitig aber auch ein Vortheil im Betriebe erzielt: der also gewonnene Staub ist ja auch Schmirgel und kann als solcher in der Fabrikation verwendet werden.

Der in Pulver und Körner verwandelte Schmirgel wird in Fässer verpackt und gelangt zum Theil in dieser Gestalt zur Versendung, und zwar setzt die Fabrik gegenwärtig auf diese Weise im Durchschnitt pro Tag 2500 Kilogramm ab. Dies ist jedoch nur die eine Seite des Verbrauches; eine andere nicht minder bedeutende ist die zur Anfertigung des Schmirgelleinens und Schmirgelpapiers. Dieser Fabrikationszweig ist in Verbindung mit der Herstellung des Glas- und Flintsteinpapiers einer der interessantesten Punkte des an Ueberraschungen reichen Etablissements, und es ist dafür ein eigenes Gebäude hergerichtet. [145] Zunächst führte man mich in einen Saal, in dessen Mitte ein Glasgehäuse die für diesen Specialbetrieb angelegte Dampfmaschine umschließt. Dieselbe erhält das Räderwerk des Getriebes in einem so vortrefflichen und geregelten Gange, daß kein unnützer Schritt, kein vergeblicher Handgriff gethan wird, obgleich es im Saale webt und schwirrt wie in einem Bienenstocke. Ein denkender Geist, eine organisatorische Kraft hatte hier die Arbeit der menschlichen Hand und der Maschine zu einem wunderbar in einander greifenden Ganzen vereinigt. Zunächst freilich schien die letztere der ersteren völlig entrathen zu können.

Eine auf der linken Seite des Saales befindliche Maschine wickelt große Rollen von Nessel oder Papier ab, führt sodann den Stoff einer Druckmaschine zu, welche ihn in geeigneten Zwischenräumen mit dem Fabrikstempel versteht, und sendet ihn von da großen Walzen zu, die aus einem darunter befindlichen Kasten mittelst Rotation flüssigen Leim auftragen, während andere Vorrichtungen den pulverisirten Schmirgel darüber streuen. Nunmehr erfaßt ein höchst sinnreich construirter Apparat das Leinen oder Papier, hängt es zum Trocknen an der Decke des Saales auf und bringt es in gleichmäßigem Vorwärtsbewegen zu einer andern Maschine, die es herabholt und in einzelne Blätter zerschneidet. Erst von diesem Moment an bemächtigt sich die menschliche Hand des bis dahin sehr empfindlichen Fabrikats, indem sie die Blätter abzählt und je zu fünfundzwanzig Stück den Packern zuträgt, die sie zu Hunderten und Tausenden in Rahmen pressen und schnüren. In den anstoßenden Räumen wird der Leim aufgelöst und für seine Zwecke verarbeitet.

In ganz derselben Weise wie das Schmirgelleinen wird an der rechten Seite des Saales durch eine zweite Maschine das Flintstein- und Glaspapier hergestellt. Das Material zu dem erstern liefert der sehr harte Flint- und Feuerstein, zu dem letztern zumeist zerbrochene gläserne Wein- und Bierflaschen.

In der Schmirgelfabrik: Mahlmaschinen.
Nach der Natur aufgenommen.

Zur Fortsetzung meiner Wanderung nahm mich nunmehr ein Fahrstuhl auf, den ich bisher mit Materialien beschwert und in beständigem Auf- und Niedersteigen gesehen hatte. Er beförderte mich in die oberen Räume, wo mich plötzlich eine von dem betäubenden Lärm im Fabriksaale wohlthätig abstechende Stille umfing. Hier lagern viele Hunderte von Papierrollen von je sechs- bis siebenhundert Meter Länge, hoch aufgeschichtete Stöße von Leinenstücken, drei bis vier Etagen hohe Reihen von Körben und Säcken, die mit Leim gefüllt sind, Chemikalien und anderes zur Fabrikation erforderliche Material. In dem anstoßenden Saale ging es wieder laut genug zu. Hier wurden Emballagen angefertigt, und die Kreissäge knirschte, um die für die Verpackung erforderlichen Holzplatten, Rahmen und Kisten zu schneiden.

Durch den Fahrstuhl wieder zur ebenen Erde befördert, verließ ich, geleitet von meinem freundlichen Führer, das Gebäude und betrat ein anderes, dessen Beschaffenheit mich zuerst an eine große Waschküche gemahnte; ich befand mich in der sogenannten chemischen Abtheilung. Hier wird gemahlen, gesiebt, gekocht, geklärt, geglüht, destillirt, getrocknet.

„Was denn aber?“ so fragte ich.

Die Antwort lautete:

„Sämmtliche chemische Bestandtheile, welche für die Herstellung von Schmirgelscheiben, Feilen etc. erforderlich sind.“

Die Masse wird nach gehöriger Zubereitung in eiserne Formen der mannigfachsten Art gebracht und durch hydraulische Pressen, je nach Größe und Erforderniß, einem Druck bis zu zwölftausend Centnern ausgesetzt. Die so geformten Scheiben, Feilen, Rädchen etc. gelangen hierauf in den Trockenraum, um die nöthige Härte zu erwerben. Die Schmirgelscheiben werden zuletzt noch auf Maschinen durch schwarze Diamanten justirt und centrirt, das heißt darauf hin geprüft, ob sie die richtige Schwere haben und ob ihre zur Aufnahme der Achse bestimmte Oeffnung sich gerade im Mittelpunkt [146] der Scheibe befindet. Zur Prüfung ihrer Festigkeit unterwirft man sie zuletzt noch auf einer Maschine einer äußerst rapiden Umdrehung, was das Zerspringen der Scheibe zur Folge hat, sofern sich an derselben irgend ein Fehler befindet. Angebrachte Sicherheitsvorrichtungen schützen den Arbeiter, welcher diese Prüfung vorzunehmen hat, vor Verletzungen durch die abspringenden Stücke.

Die Anwendung dieser Schmirgelscheiben in den Schleifereien erfordert Maschinen, welche denselben eine große Umdrehungsgeschwindigkeit geben, und die Fabrik beschäftigt sich neuerdings auch mit Herstellung solcher Maschinen in verschiedener, dem Zwecke entsprechender Construction. Es ist zu diesem Behufe eine mit allen Hülfsmitteln ausgerüstete Werkstatt eingerichtet, die ich ebenfalls besichtigte. Damit war der Rundgang aber noch nicht beendet. Aus dem Kesselhause ließ man mich durch eine Verbindungsthür in ein hohes mit Mettlacher Fliesen belegtes Gemach treten. Hier schlug das Herz des ganzen großen Werkes. Beinahe geräuschlos arbeitete eine mächtige Dampfmaschine, welche sämmtliche in Betrieb befindliche Maschinen, mit Ausnahme der im Saale für die Schmirgelpapierfabrikation aufgestellten, in Gang setzt.

Wiederholt hatte ich meinen Führer nach dem Zwecke der verschiedenen Erzeugnisse, die ich vor meinen Augen entstehen sah, gefragt, aber immer die Antwort erhalten:

„Erst sehen Sie, was und wie Alles geschaffen wird! Dann sollen Sie Näheres über die Anwendung hören.“

Nachdem wir noch das kaufmännische und technische Bureau besichtigt hatten und nun ausruhend in einem kleinen wohnlichen Zimmer neben dem ersteren saßen, ward mir der gewünschte Bescheid:

Schmirgel in seinen zweiunddreißig verschiedenen Körnungsabstufungen dient zum Abschleifen und Poliren aller Metallgegenstände in Maschinen- und Gewehrfabriken, Metall- und Kanonengießereien, Glas- und Spiegelmanufacturen, zum Schleifen der Glasplatten in Krystallglasfabriken, zu Herstellung der Facetten an Pokalen etc., zum Schleifen der Nähnadeln etc. Zierlich in Dosen verpackt, mit Etiquette versehen, gelangt er als Putzpulver für Messer und Gabel in den Haushalt; fein geschlemmt, braucht man ihn in optischen und mechanischen Werkstätten, in Marmorschleifereien und bei der Anfertigung von Schmuckgegenständen. Das durch Auftragen von Schmirgel auf Stoff oder Papier hergestellte Schmirgelpapier oder Schmirgelleinen findet in der Metallbearbeitung ebenfalls die ausgedehnteste Anwendung, ebenso bei der Fabrikation von Sammet und von Seidenhüten.

Schmirgelschleifscheiben werden benutzt zum Schleifen von Eisen, Stahl und Messing, Glas, Horn, Email, Perlmutter, sowie zum Ausschleifen der Zähne an Sägen. Die Schmirgelfeilen und kleineren Scheiben dienen als Schleifmittel in der Uhren- und Bijouteriefabrikation; es benutzt sie der Zahnarzt, der Optiker und Mechaniker.

Das Glas- und Flintsteinpapier endlich findet die verschiedenartigste Verwendung zum Bearbeiten von Holz und Leder und ist dem Tischler, Lackirer, Maler, Bildhauer ebenso unentbehrlich wie in Gold- und Schuhleistenfabriken etc.

Die Schmirgelfabrik von Oppenheim u. Comp. beschäftigt gegenwärtig an Beamten, Ingenieuren und Reisenden ein Personal von circa zwanzig Personen, ferner fünf Meister und achtzig Arbeiter und Arbeiterinnen; sie verbraucht jährlich an Rohmaterialien rund 20,000 Centner Schmirgel, Feuerstein und Glasscherben, 3500 Centner Rollenpapier, 1500 Centner Kölner Leim und 500,000 Meter Rohleinen, woraus 20 Millionen Bogen Papier und Leinen, mehrere Tausende Schmirgelscheiben und eine entsprechende Anzahl kleiner Geräthschaften fabricirt werden, während der zur Versendung kommende pulverisirte Schmirgel sich pro Jahr etwa auf 9500 Centner beläuft.

Und dabei ist diese Fabrik keineswegs die einzige ihrer Art in Deutschland; denn es giebt deren noch einige in der Provinz Hannover, in Holstein, Sachsen, Schlesien, in der Rheinprovinz und in Hessen-Nassau. Freilich ist auch das Absatzgebiet ein sehr ausgedehntes; es umfaßt ganz Europa und erweitert sich mit dem Fortschreiten der Civilisation nach allen Ländern der Erde.

Wir verließen die Fabrik, um nach dem Wohnhause zurückzukehren; zuvor wurde mir aber, als ich auf den Hof hinaustrat, noch eine eigenartige Ueberraschung zu Theil, nämlich das Exercitium einer wohlgeschulten Feuerwehr, welche die Herren Oppenheim u. Comp. aus ihren Arbeitern herausgebildet haben und die in schmucker Uniform mit bewundernswerther Geschicklichkeit manövrirte. Diese Einrichtung ist in Anbetracht der Entfernung der Fabrik von der Stadt sehr wichtig und hat sich trefflich bewährt.

Noch ein Tag des Verweilens inmitten der liebenswürdigen Familien war mir vergönnt – dann mußte geschieden sein. Beim Abschiede erbat ich die Erlaubniß, das Gesehene für weitere Kreise schildern und mit Benutzung der mir geschenkten Photographien auch bildlich veranschaulichen lassen zu dürfen. Nur zögernd wurde mir die Zustimmung ertheilt; ich hatte zuvor den der Bescheidenheit entstammenden Widerstand durch die Vorstellung zu besiegen, der Aufsatz solle zur Belehrung dienen; er solle sehr Vielen, welche täglich in einer oder der anderen Weise von dem Fabrikate, das sie nicht kennen, Nutzen ziehen, die Frage beantworten: „Was ist Schmirgel?“

J. Hirsch.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: noch
  2. Das Werk ist heute Sitz der Vereinigten Schmirgel- und Maschinen-Fabriken