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ADB:Wolzogen, Caroline von

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Artikel „Wolzogen, Karoline von“ von Ernst Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 44 (1898), S. 202–205, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wolzogen,_Caroline_von&oldid=- (Version vom 4. Dezember 2024, 06:11 Uhr UTC)
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Wolzogen: Karoline von W., Schiller’s Schwägerin ist am 3. Februar 1763 als die älteste Tochter des Oberlandjägermeisters v. Lengefeld († 1776) in Rudolstadt geboren. Ihre Mutter war eine geb. v. Wurmb. Mit 16 Jahren ward Karoline die Braut des Freiherrn v. Beulwitz. Im J. 1783 begab sie sich mit ihrer Mutter und Schwester Charlotte (1790 Schillers Gattin), von ihrem Bräutigam begleitet, nach der französischen Schweiz (Vevey). Auf der Hinreise besuchten sie in Stuttgart eine mit ihnen verwandte Dame, die bekannte Gönnerin Schiller’s, Henriette v. Wolzogen. Da lernte Karoline zuerst ihren späteren zweiten Gatten, ihren Vetter Wilhelm v. Wolzogen, kennen. Auch Schiller’s Eltern auf der Solitude wurden besucht. Der Schweizer Aufenthalt war für Karoline sehr bildend. Auch mit Lavater kam sie in Berührung. Durch ein Bad im kalten Genfersee zog sie sich freilich ein langwieriges Nervenleiden zu. Auf der Rückreise im Sommer 1784 besuchten sie Schiller in Mannheim [203] (vgl. Schiller’s Brief an H. v. Wolzogen v. 7. Juni 1784). Bald nach der Rückkehr fand die Hochzeit statt. Herr v. Beulwitz war inzwischen Geheimer Legationsrath geworden. Die Ehe war nicht glücklich, da der Gatte, obgleich hochgebildet und kenntnißreich, dem hohen idealen Geistesflug seiner Frau nicht folgen konnte. Bald trat daher gegenseitige Erkältung ein. Eine gewisse Entschädigung gewährte Karoline die Freundschaft mit W. v. Humboldt’s späterer Gemahlin Caroline v. Dachröden. Durch diese hinwiederum lernte sie auch den Coadjutor des Mainzer Kurfürsten, den damaligen Statthalter von Erfurt, Karl v. Dalberg kennen, und bald verband sie aufrichtige Freundschaft mit ihm. Im J. 1787 trat ihr, von Wilhelm v. Wolzogen eingeführt, Schiller näher. Rasch entwickelte sich zwischen ihnen eine innige, ja leidenschaftliche Freundschaft, der vielleicht, wenn Karoline nicht schon verheirathet gewesen wäre, die eheliche Verbindung gefolgt wäre. Währenddem führte Karoline einen längst gehegten Plan aus: sie trennte sich von ihrem Gatten und zog sich nach Schwaben (Gaisburg, Cannstatt) zurück. Ihre Mußezeit füllte sie mit litterarischen Arbeiten aus. Sie veröffentlichte in Sophie La Roche’s Pomona „Briefe aus der Schweiz“ und 1792 in Schiller’s Neuer Thalia das Schauspiel „Der Leukadische Fels“. Das Jahr darauf brachte ihr Schiller’s Aufenthalt in Schwaben eine angenehme Unterbrechung ihres einsamen Lebens. Sie ließ sich nun auch gerichtlich von ihrem Manne scheiden (1794), da sie es „billig fand, einem von vielen Seiten achtungswürdigen Manne durch eine Trennung seine Freiheit wieder zu geben“. Die Ehe war kinderlos geblieben. – Noch im Herbst desselben Jahres (1794) verheirathete sie sich zum zweiten Male mit ihrem Vetter Wilhelm v. Wolzogen, der mit ihr 1797 als Kammerherr nach Weimar zog. Damit erfüllten sich ihre kühnsten Wünsche; sie kam Schiller und ihrer Schwester in Jena wieder näher.

Ein gewisses Spiegelbild von Karolinens Leben in jener Zeit gibt uns ihr Roman „Agnes von Lilien“. Es ist der beste, den sie geschrieben. Er erschien zuerst anonym in Schiller’s Horen 1796 und zwei Jahre nachher, ebenfalls anonym, bei Unger in Berlin. In den zwei nächsten Jahren erschienen noch zwei Nachdrucke davon. 1881 hat ihn Ludwig Salomon mit einer biographischen Einleitung neu herausgegeben. Das Werk machte großes Aufsehen. Die Gebrüder Schlegel[WS 1] hielten es für ein Product Goethe’s, der sich allerdings lebhaft dafür interessirte (vgl. Schiller’s Brief an Goethe v. 6. Dec. 1796 u. Goethe’s Brief an Schiller v. 3. Febr. 1798). In diesen Roman hat Karoline ihre ganze Lebensgeschichte verflochten, ihre Jugendzeit, ihre Heirath mit Beulwitz, ihr Verhältniß zu Schiller und schließlich ihre Heirath mit Wolzogen. Alles läßt sich darin bei aufmerksamen Lesen leicht nachweisen. Agnes ist ganz Karoline, Amalie als Gegenstück ihre Schwester Charlotte. Zum Grafen Nordheim haben Wilhelm v. Wolzogen und Schiller als Vorbild gedient.

Ende 1799 siedelte Schiller nach Weimar über. Nun wurde das Wolzogen’sche Haus der Mittelpunkt für die ganze Weimarer Geistesaristokratie. Goethe, Wieland, Fichte, Schelling, W. v. Humboldt, Dalberg u. A. verkehrten darin zugleich mit dem Hofe. Es war „ein schönes Asyl für gemüthvollen und ungezwungenen Geistesaustausch“. Der Herzog Karl August, seine Gemahlin Luise und seine Mutter, die geistreiche Herzogin Amalie, fühlten sich unendlich wohl in diesem Kreise.

Durch Schiller’s Nähe wurde Karoline zu lebhafter litterarischer Thätigkeit angespornt. Davon zeugt ein dickes Heft aus ihrem Nachlaß, das im Marbacher Schillerarchiv sich befindet. Es hat die Aufschrift „Livre de plans“ und enthält etwa 50 größere und kleinere Pläne zu Erzählungen, Romanen etc. Manche davon hat Karoline selbst ausgeführt, wie z. B. „Die Zigeuner“ und „Walther und Nanny“, die in Cotta’s Taschenkalender für Damen, 1800–1802, erschienen [204] (vgl. auch Jonas, Schillers Briefe, Bd. VII, S. 292), letztere Geschichte auch besonders, Berlin 1802; andere harren noch der Ausführung. Karoline schrieb in das Buch: „Schiller hat mir dieses Buch geschenkt anno 1801. – Mögen alle Plane werth seiner Sinnesart sein – das Schöne und Edle aussprechend und belebend nach Vermögen“. Auf eines der letzten Blätter im Heft schrieb sie am 31. November 1825: „Nur auf Gott, auf sein Wort durch Christus, auf die Ewigkeit, die es verkündet, ist meine Seele gerichtet. Die Blüthen sind mit dem Glauben an Erdenglück von meiner Seele gefallen. – Auch soll die Poesie nur aufs ewige deuten. In diesem Sinn arbeite ein anderer Geist diese Plane aus“. Zu bemerken ist, daß diese Pläne häufig unserem modernen Empfinden fremd erscheinen. Unsere Anschauungen und Anforderungen an den Roman sind eben vielfach andere geworden.

Karoline hatte auch jetzt viel freie Zeit zu litterarischen Arbeiten; sie hatte nur ein einziges Kind, Adolf (1825 auf der Jagd verunglückt), und ihr Mann war häufig in diplomatischen Geschäften abwesend. So hat er bekanntlich 1804 die Heirath des Weimarischen Erbprinzen mit der russischen Großfürstin Maria Paulowna zu vermitteln gehabt. Im J. 1807 führte ihn sein Diplomatenberuf nach Paris. Karoline begleitete ihn diesmal selbst. Es war für sie ein sehr gewinnreicher Aufenthalt. Aber leider mußte sie bald wieder mit ihrem Mann nach der Heimath zurückkehren; seine Gesundheit war durch seine vielen Reisen geschwächt und er mußte in Bädern Heilung suchen; allein vergeblich. Er starb am 17. December 1809. Hatte Karoline schon Schiller’s Tod, 1805, gewaltig erschüttert, so war ihr jetzt die Welt „wie verödet“. Sie zog sich nun immer mehr zurück von der Oeffentlichkeit, abwechselnd lebend in Weimar, Bauerbach und auf ihrem Gut Bösleben. Nach ihres Adolf’s Tod siedelte sie nach Jena über und lebte ganz für sich. Nur einzelne Reisen unterbrachen die Stille ihres jetzigen Daseins. Ihre Mußezeit verwendete sie zu anhaltender schriftstellerischer Thätigkeit. Schon 1826 f. ließ sie zwei Bände „Erzählungen“ erscheinen. Ein Jahr darauf begann sie Schiller’s Biographie; sie wollte dem geliebten Schwager ein Denkmal stiften. Sie arbeitete mit größter Sorgfalt daran; 1830 erschien es bei Cotta unter dem Titel: „Schillers Leben. Verfaßt aus Erinnerungen der Familie, seinen eigenen Briefen und den Nachrichten seines Freundes Körner“. Das Werk wird stets eine der Hauptquellen für Schiller’s Leben bleiben; nur die beigegebenen Briefe sind, wie begreiflich, nicht immmer zuverlässig genau. Nun wandte sie sich wieder dem Roman zu. Sie wählte dazu die Zeit der Freiheitskriege. Sie wollte „das große Weltleben und das Familienleben in ihrer Wechselwirkung“ darstellen. Auch das schon in ihrer „Agnes von Lilien“ behandelte Thema der Convenienzheirath wurde beigezogen. Fast 10 Jahre arbeitete sie an dem Werk. Erst im J. 1840 ließ sie ihre „Cordelia“ – das ist der Titel des Romans – in zwei Bänden (Leipzig) erscheinen. Der Roman ist reich an Reflexionen, wie alle Producte Karoline’s, jedoch arm an Handlung; aber als Werk einer 77jährigen Frau verdient er Bewunderung. Aus jener Zeit sind noch zu erwähnen: „Adele“ (Mundt’s Delphin 1839) und die Novelle „Das neue Jahr“ (Urania 1842). Nach der „Cordelia“ begann sie noch einen Roman „Alma“, aber er blieb unvollendet. Dazwischen hinein beschäftigte sie sich auch mit Dalberg’s Leben, aber sie konnte es leider nicht mehr durchführen. Doch hat sich neuestens ein Anfang davon im Marbacher Schillerarchiv gefunden. An weiteren Arbeiten hinderte sie ihr hohes Alter. Ihre geistigen und körperlichen Kräfte nahmen stetig ab. Ende 1846 konnte sie das Bett nicht mehr verlassen. Am 11. Januar 1847, also fast 84jährig, entschlief sie sanft.

Ihr litterarischer Nachlaß war groß; ein Theil davon wurde ihrer Bestimmung gemäß vernichtet, einen andern Theil gab Kirchenrath Karl Hase in Jena in zwei Bänden heraus: „Literarischer Nachlaß der Frau Caroline von [205] Wolzogen“, 1. Aufl. 1848, 2. Aufl. 1867. Er enthält neben einer Biographie von Abeken hauptsächlich Briefe und dann Mittheilungen aus ihrem Tagebuch und „Gedankenlese aus hinterlassenen Blättern“. Einen dritten Theil erbte ihre langjährige treue Dienerin Wilhelmine Schwenke. Aus deren Nachlaß stammt wol das bisher unbekannte und ungedruckte Marbacher Material. Es enthält außer dem schon Erwähnten: Briefe Karoline’s an ihren Sohn, Betrachtungen über religiöse und historische Dinge, eine unvollendete Ritterdichtung etc., sodann einen reichen Briefwechsel mit den Freunden des Wolzogen’schen Hauses. Das Wichtigste davon werde ich in kurzem veröffentlichen.

Vgl. Meusel, Gel. Teutschl. VIII, 622. X, 842. – Schindel, Deutsch. Schriftstellerinnen d. 19. Jhs. 2, 457 ff. – N. Nekrol. d. Dtschn. 1847. 25, 20 ff. – A. v. Wolzogen, Gesch. d. v. Wolzogenschen Geschlechtes, 1859. II, 129–188; – Ders.: Wilhelm u. Karoline v. Wolzogen in Prutz’ deutschem Museum 1857, Nr. 37 f. – P. Schwenke, Kl. Beiträge z. Schillerlitteratur (Festgr. f. d. Geh. Staatsrat Dr. J. Schomburg zu s. 50j. Doctorjubiläum, 20. Juni 1890). P. Schwenke, Großneffe von Wilhelmine Schwenke besitzt ebenfalls einen Theil von deren Wolzogen’schen Nachlaß. – Ernst Müller, K. v. Wolzogen i. d. Münch. Allg. Ztg. 1897, Nr. 133, Beil. – J. Burggraff, Schillers Frauengestalten, 1897.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gebrüder Schlegel: August Wilhelm und Friedrich